Wieviel Vielfalt bieten die Schweizer Medien?

26. Januar 2017 • Qualität & Ethik • von

Wie Studien des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög) zeigen, bieten die öffentlichen Radio-, TV- und Online-Angebote die höchste Themenvielfalt unter den Medien in der Schweiz, während in den Boulevardzeitungen Softnews aus Sport und Human Interest dominieren, die andere Themenfelder an den Rand drängen.

Die politischen Ränder qualifizieren die etablierten Medien als „Mainstreammedien“ ab. Stattdessen reklamieren neue Informationsplayer für sich, unterdrückte Wahrheiten aufzudecken und den „fehlenden Part” beizusteuern. Die Aufmerksamkeit für Informationsjournalismus schwindet. Stattdessen nimmt unterhaltungsorientierter Content, der in einer unermesslichen Fülle über die digitalen Medien bereitgestellt wird, die Aufmerksamkeit des Publikums in Beschlag. Die Standards des professionellen Journalismus geraten unter Druck. Stattdessen bahnen sich postfaktische Geschichten den Weg in die Köpfe der Mediennutzerinnen und -nutzer.

Angesichts dieser Unübersichtlichkeit, die sich in der digitalisierten Öffentlichkeit tagtäglich erneuert, ist es hilfreich, das Angebot, das die Medien den Mediennutzern machen, kritisch auf seine Qualität hin zu prüfen. Die Qualitätsforschung des fög tut das seit nunmehr sieben Jahren für die Schweiz und veröffentlicht seine Ergebnisse in seinem Jahrbuch Qualität der Medien.

Welche Vielfalt bieten die Medientypen?

General Interest-Medien erheben den Anspruch, die relevanten Themen und Ereignisse abzudecken, die eine Gesellschaft zum aktuellen Zeitpunkt beschäftigt, und verschiedene Akteure mit ihren Meinungen zu Wort kommen. Eine wichtige Frage der Qualitätsforschung, an der sich die Medienmacher zu messen haben, lautet daher: Welche Vielfalt bieten die Medientypen?

Für die Qualitätsprüfung wurden 25.389 Beiträge in 64 Schweizer Medien ausgewertet. Dabei wurde die Vielfalt der behandelten Themenfelder und abgedeckten geografischen Bezugsräume erfasst. Außerdem wurde untersucht, ob die Medientitel verschiedene Perspektiven einnehmen und einen Mix aus aktuellen Meldungen und thematischen Einordnungen bieten (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Qualitätsscores für Vielfalt – Ranking der Medientypen (Skala 0-10)

Der Service public – Radio, Online, TV – bietet die höchste Vielfalt. Es zeigt sich, dass die öffentlich-rechtlichen Angebote insbesondere Hardnews aus Politik und Wirtschaft breit abdecken und dabei unterschiedliche Perspektiven berücksichtigen. Mit einigem Abstand folgen die Abonnementszeitungen und deren Websites, die einen Schwerpunkt auf die Einordnung politischer Ereignisse legen. Überdurchschnittlich ist die Vielfalt noch in den Sonntagszeitungen und Magazinen, die aufgrund ihres wöchentlichen Erscheinungsrhythmus weniger aktuelle Meldungen bringen, sondern mehr auf thematische Einordnungen setzen. Unterdurchschnittlich sind die Scores hingegen im Privatrundfunk, in der Pendlerpresse und im Boulevard. In diesen Medien dominieren Softnews aus Sport und Human Interest, die andere Themenfelder an den Rand drängen.

Welche Vielfalt kommt bei den Mediennutzern an?

Angesichts des medialen Angebots, das durchaus unterschiedliche Vielfaltsqualität bietet, stellt sich die zweite Frage: Welche Vielfalt kommt bei den Mediennutzern an?

In einer jährlichen Studie werden rund 3.400 Schweizerinnen und Schweizer gefragt, über welche Medien sie sich informieren. Daraus wird das persönliche Newsrepertoire bestimmt. In der Schweiz lassen sich sechs Repertoiretypen unterscheiden.

Drei Repertoiretypen haben bereits sehr stark die neuen Onlinemedien und insbesondere Social Media in ihre Newsrepertoires eingebaut: „Intensivnutzer“ investieren sehr viel Zeit in Nachrichten. Ihr Newsrepertoire beinhaltet mehrere Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen, auch Onlinemedien und Social Media werden ausgiebig genutzt. Die Hauptquelle sind jedoch die traditionellen Medien Fernsehen, Radio und die Tageszeitung. Bei diesem Typ sind Männer, ältere Nutzer und Personen mit höherer Bildung übervertreten.

„Global Surfer“ nutzen vergleichsweise stark internationale Medien, um sich mit Nachrichten zu versorgen. Onlineangebote und Social Media spielen eine überdurchschnittliche Rolle im Informationsverhalten. Es fällt auf, dass dieser Typ Bezahlangebote äußerst selten nutzt. Print wird praktisch nur in Form der kostenlosen Pendlerpresse gelesen. Bei „Global Surfern“ sind berufstätige Männer im mittleren Alter übervertreten. Der Anteil der Personen mit höherer Ausbildung und mit einem Migrationshintergrund aus den westlichen Zentrumsnationen ist sehr hoch.

„News-Deprivierte“ verwenden nur wenig Zeit auf Nachrichten. Die genutzten Informationsmedien sind in der Regel kostenlos verfügbar. Der Anteil von Social Media als Hauptquelle ist bei ihnen am größten. Bei diesem Repertoiretyp dominieren junge Nutzer sowie Frauen. Höhere Bildungsabschlüsse sind selten. Der zugespitzte Begriff der „Deprivation“ hebt hervor, dass die Unterversorgung mit News gesellschaftspolitisch bedenklich ist. Durch den Verzicht auf professionellen Informationsjournalismus wird es schwierig, Standpunkte abzuwägen und eine eigene Meinung auszubilden. Es ist anzunehmen, dass sich „News-Deprivierte“ tendenziell aus der öffentlichen Sphäre zurückziehen oder aber besonders anfällig sind für verkürzte und irrationale Weltbilder.

Die Vielfaltsbilanzen der Mediennutzer lassen sich kalkulieren, indem die Qualitätsscores der genutzten Medien verrechnet werden. Die beste Vielfaltsbilanz erreichen die „Intensivnutzer“, die in allen Gattungen die Qualitätsangebote suchen und finden. Die „News-Deprivierten“ belegen abgeschlagen den letzten Platz. Sie sind sowohl quantitativ mit News als auch qualitativ mit Vielfalt unterversorgt. Die „Global Surfer“ schneiden etwas besser ab, reichen aber dennoch nicht an die vielfältig informierten „Intensivnutzer“ heran (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Vielfaltsbilanzen ausgewählter Repertoiretypen (Skala 0-100)

Knapp zwei Drittel der Nutzerinnen und Nutzer haben die neuen Medien bereits umfassend in ihre Newsrepertoires eingebaut: „Intensivnutzer“ (11%), „Global Surfer“ (21%) und „News-Deprivierte“ (31%). Allerdings erreichen die qualitativ hochwertigen Newsangebote, die auch in der „neuen Medienwelt“ vorhanden sind, fast ausschließlich die Minderheit der „Intensivnutzer“. Die Mehrheit – „Global Surfer“ und insbesondere „News-Deprivierte“ – nutzt hingegen qualitativ minderwertige Newsangebote. Traditionelle Qualitätsmedien sind in deren Newsrepertoires so gut wie nicht mehr vorhanden. Und neue Qualitätsangebote haben sie in ihre Newsrepertoires bislang kaum bzw. gar nicht integriert.

Welche Rolle spielt die Vielfalt der Medientitel für die Wahrnehmung der Nutzer? 

Da sich die Vielfaltsbilanzen so stark unterscheiden, schließt sich eine dritte Frage nach den Effekten der Mediennutzung an: Nehmen die Mediennutzer die Welt unterschiedlich wahr, je nachdem welche Vielfalt die genutzten Medientitel bieten?

Von den Mediennutzern werden die Themen und Ereignissen erfragt, die sie besonders intensiv verfolgt haben. Dazu wird eine Liste der resonanzstärksten Kommunikationsereignisse vorgelegt.

Die Themenagenden der „Intensivnutzer“ sind stark durch relevante politische und wirtschaftliche Kommunikationsereignisse geprägt. Internationale Vorgänge und Themen, die auf der Agenda der breiten Bevölkerung eher auf hinteren Plätzen landen, werden ebenfalls überdurchschnittlich intensiv verfolgt. Weniger stark wahrgenommen werden Krisen und Katastrophen.

Die Agenden der „Global Surfer“sind äußerst disparat. Auffällig ist die fehlende Wahrnehmung der regionalen und nationalen Themen. Es findet ein Rückzug aus der schweizerischen Themenagenda statt zugunsten einer globalen Perspektive. Diese gut ausgebildeten Berufstätigen, von denen viele Migranten sind, nehmen an den gesellschaftspolitischen Debatten der Schweiz kaum Anteil. Es ist bedenklich, dass sich diese Personen größtenteils aus der nationalen Öffentlichkeit „ausklinken“. Dass viele „Global Surfer“ nicht abstimmungsberechtigt sind, trägt sicher zu diesem Desinteresse bei.

Die „News-Deprivierten“ richten ihre Aufmerksamkeit auf Softnews, Einzelereignisse und personalisierte Storys. Hardnews, Entwicklungen und Themenzusammenhänge werden kaum wahrgenommen. Bedrohliche Ereignisse stehen besonders oft im Fokus. Dieser von Bedrohungsbildern geprägte Blick auf die Gesellschaft und die Welt, verbunden mit der geradezu systematischen Ausblendung politischer Prozesse und Zusammenhänge, macht die „News-Deprivierten“ in besonderem Masse anfällig für populistische Angstpolitik mit ihren scheinbar einfachen Lösungen.

Einordnende Vielfalt als Markenkern des professionellen Journalismus

Journalismus muss sich daran messen lassen, inwieweit er Vielfalt bietet und damit eine Qualität bereitstellt, die Mediennutzer nachfragen. Die um die knappe Aufmerksamkeit der Mediennutzer konkurrierenden Angebote aus der neuen Medienwelt liefern noch immer vor allem vereinzelte Blicke auf die Welt. Der Mediennutzer sieht sich vor die Aufgabe gestellt, sich aus der Fülle der vereinzelten Angebote ein vielfältiges Bild zu machen. Die digitalen Algorithmen der Themenselektion verbünden sich dabei in unguter Weise mit der allzu menschlichen Neigung, konsistente Weltbilder sicherzustellen. Informationen und Interpretationen, die diesem Weltbild widersprechen, werden ausgeblendet. Doch wird sich der Mediennutzer auf Dauer in diesen Echokammern wohl fühlen? Dass der Ausbruch aus den Echokammern eine Qualität darstellt, die in den kommenden Jahren mehr und mehr nachgefragt werden könnte, ist eine Chance für den professionellen Journalismus. Wenn Journalismus Vielfalt bietet und es vermag, die vielfältigen Perspektiven auf die Welt einzuordnen, schafft er sich einen Markenkern, den ihm konkurrierende Content-Anbieter bis auf weiteres nicht streitig machen können.

 

Schneider, Jörg / Eisenegger, Mark, 2016: Wie Mediennutzer in die Welt schauen: Die Newsrepertoires der Schweizerinnen und Schweizer und ihre Themenagenden, Studien Qualität der Medien 2/2016 [PDF E-Book], Basel: Schwabe.

fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (Hrsg.), 2016: Jahrbuch 2016 Qualität der Medien. Schweiz – Suisse – Svizzera, Basel: Schwabe.

 

Bildquelle: arileu/Flickr CC: pink on blue; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

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1 Responses to Wieviel Vielfalt bieten die Schweizer Medien?

  1. Christian Caire sagt:

    Das Loblied auf Breite, Vielfalt angebotener Sichtweisen und Reichweite der ÖRR – Anstalten unterliegt einem stark verzerrend wirkenden und in der hier vorgestellten Betrachtung völlig unbeachtet gebliebenen Faktum:

    Die vom Mainstream abweichenden, mitunter auch kritischen Programminhalte finden sich meist in den absoluten Randzeiten der Mediennutzung, mit Einschaltqoten von bestenfalls einem niedrigen einstelligen Prozent-, gelegentlich auch Promillebereich. Der einschlägige Rezipient einer Qualtätszeitung hat keinerlei Wahrnehmungshindernisse im Rahmen seiner Lektüre. Da es keine Zeitpräferenzen bzw. Zugangshindernisse gibt.

    Eine saubere Gewichtung der o.a. Kriterien beim ÖRR würde mit Sicherheit zu anderen Ergebnissen führen.

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