Alle sagen, Journalismus habe keine Zukunft. Warum zum Teufel wollen dann alle Journalisten werden?
Es war eine Hausmitteilung, und sie ging vorletzte Woche auch an die tausend Journalisten des Hauses. Die Hausmitteilung tönte recht harmlos: „Tamedia prüft verschiedene Szenarien für Zeitungsredaktionen.“
Nun sind die Journalisten des Medienhauses Tamedia inzwischen erfahren darin, harmlose Hausmitteilungen in Klartext zu übersetzen. In diesem Fall war die Übersetzung einfach: „Tamedia baut auf den Zeitungredaktionen Stellen ab. Es wird noch gerechnet, wie viele.“
Ich schätze mal, es werden gegen hundert redaktionelle Stellen sein, die in näherer Zukunft wegfallen. Man baut ab, indem man aus Redaktionsstrukturen Konzernstrukturen macht. Journalistische Ressorts und Inhalte, aber auch Dienstleistungen wie Grafik und Korrektorat werden zentralisiert und künftig nicht mehr von den einzelnen Titeln separat bespielt.
In den letzten zehn Jahren hat Tamedia bereits 350 journalistische Arbeitsplätze auf den Printredaktionen gestrichen. Das Bild ist aber nur vollständig, wenn man weiß, dass das Haus zugleich 150 neue Journalisten für die Online-Newsrooms eingestellt hat.
Tamedia ist zwar Schweizermeister im journalistischen Personalabbau, aber keine Ausnahme. Auch Ringier, etwa im Blick-Verbund, die AZ Medien und die NZZ-Gruppe, die allerdings in deutlich geringerem Ausmaß streichen Stellen.
Ergänzt wird das kommerzielle Bild der Düsternis durch die kulturelle Düsternis. Die klassische Medienbranche schrumpft nicht nur bei der Kopfzahl, sondern ebenso beim Renommee. Nur noch 27 Prozent der Bevölkerung vertrauen laut Umfragen dem Berufsstand der Journalisten. Tröstlich ist immerhin, dass es bei den Politikern gar nur 19 Prozent sind.
Und jetzt kommt der Überraschungseffekt in diesem bisher langweiligen Text: Noch nie war der Beruf des Journalisten so attraktiv wie heute.
Allein an den Hochschulen der Deutschschweiz haben sich derzeit 2500 Studenten im Fachbereich von Medien und Kommunikation eingeschrieben. Die Medien-Fakultäten, so stöhnen die Universitäten, würden völlig überrannt. Allein die Uni Zürich zählt 1100 Publizistik-Studenten, selbst im ländlichen Freiburg sind es noch 450.
Wenn die Ringier-Journalistenschule jeweils ihren Ausbildungsgang ausschreibt, bewerben sich über zweihundert Möchtegern-Journalisten, viele davon schon mit Hochschulabschluss in Publizistik. Zwanzig werden aufgenommen. Die MAZ-Journalistenschule in Luzern meldet ebenfalls einen neuen Rekord. Über tausend Kursteilnehmer zählte sie im letzten Jahr.
Die Faszination ist zu erklären. Journalismus fällt immer noch ins Klischee der Traumberufe. Traumberufe sind dadurch definiert, dass sie von jungen Leuten gezielt angestrebt werden. Kaum jemand will Sachbearbeiter einer Schadensversicherung werden, aber Tausende werden es dann trotzdem. Im Journalismus ist es eher umgekehrt.
Das Klischee des Traumberufs ist begründet. Es hat mit dem hohen Freiheitsgrad und den eher geringen Anforderungen dieser Arbeit zu tun.
Tatsächlich ist Journalismus auch heute noch weit von üblichen Stressjobs entfernt. Man kommt Mitte Morgen auf die Redaktion, albert im Büro ein bisschen herum (das nennt man Themenfindung), telefoniert ein bisschen herum (das nennt man Recherche), palavert ein bisschen herum (das nennt man Qualitätssicherung) und schreibt dann ein paar tausend Anschläge (das nennt man Publizistik). Das war’s dann.
Das war’s dann. Ich bin inzwischen auch bei 3500 Anschlägen angelangt. Ich verabschiede mich darum für heute aus dem Traumberuf.
Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 11. Mai 2017
Bildquelle: pixabay.com
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