Ein Bärendienst für die Demokratie

24. Juli 2017 • Qualität & Ethik • von

Die Schweizer Debatte über den medialen Service Public fördert die gesellschaftliche Medienkompetenz und das Medienvertrauen bisher nur wenig. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW in Winterthur.

Eine qualitative, öffentliche Medienkritik trägt dazu bei, seitens des Publikums die Medienkompetenz zu verbessern und das Vertrauen in die Medien zu stärken. Der Erwerb von Medienkompetenz hat im Schweizer Bildungssystem bisher keine Priorität und muss deshalb auch anderweitig unterstützt werden. Medienkritik wird dann als kompetenz- und vertrauensfördernd – und damit als demokratiefördernd – angesehen, wenn sie neben dem reinen Kritikanteil auch konstruktive, lösungsorientierte Elemente enthält. Dazu zählen konkrete Verbesserungsvorschläge, das Aufzeigen von vorbildhaften Pionierprojekten, weiterführende Ideen zur Finanzierung des Journalismus, das Aufarbeiten medienpolitischer oder medienwissenschaftlicher Erkenntnisse oder auch die Skizzierung visionärer Vorstellungen zur Entwicklung der Medienbranche.

Vertrauensfördernd können Metainformationen über die Medienbranche und die journalistische Arbeitsweise sein: Welche Rahmenbedingungen beeinflussen die journalistische Produktion? Welche Einschränkungen erfahren Journalisten bei der Arbeit? Kann Journalismus die Realität abbilden, so wie sie ist? Sich von der eigenen Kritikermeinung zu lösen und die Argumentation auf allgemein akzeptierte Grundlagen zu stellen, macht Kritik nachvollziehbar und ihrerseits kritisierbar. Solche Grundlagen können Vorgaben der Medienpolitik, des Medienrechts, medienethischer Kodizes, aber auch Ergebnisse aus der Medienforschung und der Mediengeschichte sein.

Wenig demokratiefördernde Medienkritik

Wie sieht es mit der medienkompetenz- und medienvertrauensfördernden Wirkung der laufenden Service Public-Debatte aus? Um diese Frage zu beantworten wurden im ersten Quartal 2016 rund vierhundert medienkritische Online-Beiträge untersucht. Im medialen Diskurs zeigen sich deutliche Anzeichen dafür, dass in denjenigen Medien, in denen keine Ressorts oder personelle Zuständigkeiten für Medienkritik vorhanden sind, eher wenig demokratiefördernde Medienkritik hervorgebracht wird. Beiträge aus solchen Medien weisen eine überwiegend negative Tonalität auf, berufen sich meist auf individuelle Meinungspräferenzen von Autoren oder befragten Quellen und sind seltener lösungsorientiert.

Auch Online-Fachpublikationen (z.B. digitale Branchenmagazine oder Branchennewsportale), die am zweithäufigsten kritisch über den Service Public schreiben und bei denen Medienkritik zum Tagesgeschäft gehört, haben vergleichbar geringe Werte bei all diesen Qualitätskriterien. Zwischen 30 und 40 Prozent der Beiträge besitzen bei beiden Akteurstypen demokratiefördernden Charakter. Aufgrund dieser Werte ist es kritisch zu sehen, dass Kanäle mit nicht-institutionalisierter Medienkritik und Online-Fachpublikationen mehr als 80% der medienkritischen Inhalte zur Debatte beitragen.

Grafik 1: Anteil Beiträge mit demokratiefördernden Medienkritik-Elementen in % (Vergleich zwischen den Akteurstypen „Publikationen des nicht-institutionalisierten, massenmedialen Journalismus“ und „Online-Fachpublikationen“)

Wissenschaft verpasst Chance

Kommt man aufgrund dieser Daten zum Schluss, dass die bisherige Medienkritikleistung von Massenmedien und Fachmedien defizitär ist, stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Verantwortung die Medien- und Kommunikationswissenschaft (MuKW) übernimmt, um die Situation zu ändern. Als Stimme ist die MuKW in weniger als fünfzehn Prozent aller medienkritischen Beiträge zur Service Public-Debatte präsent. Durch eine solch marginale Rolle verspielt die Wissenschaft durchaus Potenzial, die öffentliche Debatte zu bereichern, da die lösungsorientierten Anteile und der Bezug auf allgemeinakzeptierte Grundlagen signifikant zunehmen, wenn die Wissenschaft als Akteur in den Beiträgen vorkommt. In beiden Fällen steigt der Anteil entsprechender Beiträge um mehr als das Doppelte an. Lediglich bei der Tonalität der Beiträge bleiben die Anteile vergleichbar – nämlich überwiegend negativ – was mit dem Rationalitätspostulat der Wissenschaft zusammenhängen mag.

Natürlich fließt wissenschaftliches Wissen zusätzlich auch indirekt in die Debatte ein. Im Rahmen von Wissenschaftlern, die für andere medienkritische Akteure tätig sind wie das Bundesamt für Kommunikation BAKOM, die Eidgenössische Medienkommission EMEK oder medienkritische Vereine beispielsweise. Inwiefern das Publikum die MuKW in diesen Fällen als eigeständigen Akteur wahrnimmt, bleibt offen. In Zeiten von Fake News sind Vertrauen eine wichtige Währung für die öffentliche Kommunikation. Vertrauensbildend wirken unaufgeregte, sachlich reflektierende Beiträge von unabhängiger Seite. Merkmale, die typischerweise der Wissenschaft zugeschrieben werden.

Grafik 2: Anteil Beiträge mit demokratiefördernden Medienkritik-Elementen in % (Vergleich zwischen dem gesamten Beitragssample und den Beiträgen mit MuKW-Präsenz)

Auffällig ist, dass Wissenschaft nur selten als eine Stimme unter vielen in einem Beitrag vorhanden ist, sondern wenn, dann die Hauptfunktion bzw. die Hauptargumentation übernimmt. Wissenschaft scheint damit kein Akteur zu sein, den man nebenbei einbaut. Dies deutet darauf hin, dass der Wissenschaft als Quelle insgesamt ein hoher Stellenwert beigemessen wird, aber Hindernisse das häufigere Einbauen von Wissenschaft verhindern. Möglicherweise geht es dabei um zu wenig rasch verfügbares oder zugängliches Datenmaterial und Hemmungen im Umgang mit Forschern.

Wie viel darf’s denn sein?

Sowohl in den meisten Massenmedien als auch bei Fachakteuren ist der Anteil demokratiefördernder Medienkritik deutlich in der Minderheit und im Falle der Massenmedien generell eine minimale kritische Auseinandersetzung mit der Thematik festzustellen. Aber die Frage, wie viel Medienkritik – und wie viel demokratiefördernde Medienkritik – ausreichend wäre für eine Gesellschaft, ist ungeklärt. Lösungsorientierter Journalismus wird innerhalb der Strömung des „konstruktiven Journalismus“ seit längerem gefordert. Der Ansatz steht jedoch auch in der Kritik, weil eine Lösungsorientierung dazu führen kann, dass der Journalismus seine Objektivität verliert, da man beginnt, sich mit Lösungsideen zu identifizieren. Zu fordern ist in diesem Sinne nicht, dass sämtliche Medienkritikbeiträge lösungsorientiert sein sollen, sondern dass dieses Konzept regelmässig eingebaut und dann für das Publikum auch explizit deklariert wird.

Das Publikum selbst liefert zur „idealen Menge“ an Medienkritik bisher auch keine Antwort; es ist unklar, wie medienkritische Beiträge rezipiert werden. Da in der vorliegenden Analyse vorausgesetzt wurde, dass qualitative Medienkritik das Medienvertrauen und die Medienkompetenz positiv beeinflussen, könnten Ergebnisse entsprechender Vertrauens- und Kompetenzstudien ein Anhaltspunkt für eine Bewertungsskala sein. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2016 zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung durchaus Vertrauen in ihre Programmangebote von öffentlichen und privaten Medien hat. Die Crux bei diesem Ansatz: Bisher fehlen breitflächige empirische Daten und eine verlässliche Messung von Medienkompetenz erweist sich als schwierig. Als Alternative bietet sich an, einen medialen Demokratieförderungsindex zu erstellen, der sich auf die diskutierten textlichen Elemente medialer Berichterstattung stützt. Anhand eines solchen Index ließe sich zumindest erkennen, ob die Entwicklung über die Zeit positiv oder negativ ausfällt.

Von der Medienwissenschaft wird seit längerem gefordert, im Sinne einer „wissenschaftlichen Medienkritik“ verstärkt in laufende Medienkritik-Debatten einzugreifen. Dies soll im Rahmen der Schweizer Service Public-Debatte geschehen. Für die vorliegende Quartalsanalyse wurden 393 online zugängliche, medienkritische Beiträge untersucht.

 

Zum Thema auf EJO:

Der mediale Service Public als Geschäft

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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