Wenn sie sich eine politische Meinung bilden, dann reicht der Horizont der meisten Menschen in Deutschland zwar über Facebook & Co. hinaus, aber deren Wirkung ist dennoch beträchtlich.
Kurz vor der Bundestagswahl mag ja erleichtern, dass Nutzer in der politischen Mitte sich offenbar nicht in Echokammern einrichten, wo sie nur erreicht, was ihrer Meinung entspricht und von personalisierten Quellen, also quasi aus dem eigenen Kreis stammt; sie sehen weiterhin abweichende Ansichten und klassische Nachrichten- und Informationsquellen. Noch entscheidender als dieser vom Team um die Mainzer Publizistikprofessorin Birgit Stark und die Landesanstalt für Medien NRW in ihrer Studie „Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung“ als zentral betonte Befund sind aber die Grautöne.
Die Forscher wollten herausfinden, wie soziale Netzwerke als Informationsübermittler (Intermediäre) im Unterschied zu klassischen Nachrichtenquellen wirken. Dazu befragten sie Nutzer online, zeichneten Daten ihrer Internetnutzung auf und diskutierten mit einigen von ihnen. Das ergab ein differenziertes Bild: Facebook & Co. engen zwar nicht das Spektrum der Themen ein, die die Nutzer wahrnehmen, beeinflussen aber ihre Meinungsbildung. Denn die Nutzer halten jene Themen, die dort intensiv diskutiert und geteilt werden, für besonders bedeutsam, und sie lassen sich vom Klima der Diskussionen beeinflussen. Das hat zur Folge, dass viele eher schweigen, sobald – wie oft – Diskussionen im Netz sich emotional und moralisch aufladen. Und das erklärt, dass hier ein Einfallstor ist, über das jene, die über gefälschte Konten und Automatisierungsgehilfen wie Social Bots Themen puschen, aufhetzen, desinformieren wollen, in Windeseile große Wirkung entfalten können. Diese verpufft übrigens am ehesten bei selbstbewussten, an Politik sowie Diskurs interessierten Nutzern.
Was lehrt dies? Plattformbetreiber prägen durchweg öffentliche Meinung und müssen endlich wie Medienunternehmen in die Pflicht genommen werden. Und Journalisten tun gut daran, mit ihrem Publikum konstruktiv im Gespräch zu bleiben, es systematisch über Digitales aufzuklären und zudem selber auf die eine oder andere Netz-Diskussion gelassener zu reagieren, statt ihre Wirkung auf das Meinungsklima noch aufzubauschen.
Quelle: Birgit Stark, Melanie Magin, Pascal Jürgens. LfM, 2017: Ganz meine Meinung? Informationsintermediäre und Meinungsbildung – Eine Mehrmethodenstudie am Beispiel von Facebook. LfM Dokumentation, Band 55. http://lfmpublikationen.lfm-nrw.de/index.php?view=product_detail&product_id=492
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 3. September 2017
Bildquelle: pixabay.de
Schlagwörter:Birgit Stark, Facebook, Landesanstalt für Medien NRW, Social Media, soziale Netzwerke