Bei Fake News sind die Schulen hilflos

25. Oktober 2017 • Qualität & Ethik • von

Eine Studie zeigt: Im Unterricht ist die Vermittlung von Nachrichtenkompetenz bislang kaum vorgesehen. Auch soziale Netzwerke spielen als Thema praktisch keine Rolle. 

Ein Vorschlag zur Bekämpfung von Fake News leuchtet unmittelbar ein – ja er findet überall, auf lokaler wie transnationaler Ebene, Zustimmung: „Berlin braucht mehr digitale Bildung“, hieß es beispielsweise kürzlich im Tagesspiegel, und selbst das eher schwerfällige EU-Parlament ist mit einer Resolution bereits auf den fahrenden Zug aufgesprungen.

Mehr „Bullshiterkennungskompetenz“ hat auch der Publizist Milsocz Matuschek gefordert. Dazu gehören Versuche, Nutzern online beizubringen, welche Fragen sie zur Überprüfungsrecherche an Nachrichten zu stellen hätten, obschon wir doch inzwischen wissen, dass selbst für Profi-Journalisten genau diese Prüfkompetenz immer mehr zur Herausforderung wird. Der Crash-Kurs zum Nulltarif – solche Bildungsangebote könnten schon deshalb ihre Tücken haben, weil derjenige, der sie nutzt und verinnerlicht, womöglich glaubt, von nun an im Desinformations-Dschungel auf eigene Faust klar zu kommen und sich elegant wie Tarzan von Liane zu Liane schwingen zu können.

Experten fordern mehr Medienkunde an Schulen

Völlig zu recht fordern viele Experten mehr Medienkunde an Schulen. Das allerdings ist leichter gesagt als getan. Die Dresdner Kommunikationswissenschafler Lutz M. Hagen, Rebecca Renatus und Anja Obermüller haben im Auftrag der deutschen Stiftervereinigung der Presse ermittelt, wie es um die „Nachrichtenkompetenz an Schulen“ bestellt ist. Sie haben Erschreckendes zutage gefördert – und damit, trotz Wahlkampf und hoher Brisanz der Studie, erschreckend wenig Medienecho in Deutschlands überregionaler Presse erzielt.

Schon eine erste Dokumentenanalyse auf der obersten Ebene, der Kultusministerkonferenz (KMK), ergab weithin Fehlanzeige. Die KMK ist im föderalistischen System dafür zuständig, ein Minimum an Vereinheitlichung der Lehrangebote durchzusetzen. Die Forscher haben herausgefunden, Medienkompetenz sei zwar als Zielvorgabe in verschiedenen KMK-Papieren „umfassend verankert“, aber die Förderung von Nachrichtenkompetenz spiele dabei „nur eine untergeordnete Rolle“. Meist gehe es um den vermehrten Einsatz digitaler Technologie im Unterricht, statt um die Vermittlung von mehr Kompetenz im Umgang mit Nachrichten und Fake News. Zu  ähnlichen Ergebnissen kam eine zweite Teilstudie der Dresdner Wissenschaftler, welche Dokumente zur Lehrerbildung unter die Lupe nahm.

207 Lehrpläne unter die Lupe genommen

Sodann haben Hagen und sein Team insgesamt 207 Lehrpläne für den Deutsch-, Sozialkunde-, Ethik- und Geschichtsunterricht genauer analysiert. Auch dort fanden sich nur wenige Vorgaben zur Nachrichtenkompetenz: Vergleichsweise stark thematisiert wird das Thema in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Saarland, vergleichsweise wenig dagegen in Bayern, Bremen und Baden Württemberg. Das ist auch deshalb ein spannendes Ergebnis, weil sich das Ranking „weder durch die politische Couleur der Landesregierungen noch durch die Grösse der Bundesländer erklären“ lässt, so die Forscher.

Spannend und verstörend ist nicht zuletzt, dass nur drei Prozent der Lehrpläne Aussagen zu den sozialen Netzwerken enthalten: Facebook und Twitter sind also als Nachrichtenmedien in den Unterrichtsvorgaben derzeit noch inexistent. Dabei wissen wir längst, dass sich ein großer und von Jahr zu Jahr steigender Anteil der Schüler genau dort mit Nachrichten versorgt.

Ähnlich sieht es auch bei den 361 Schulbüchern aus, welche die Dresdner Forscher untersuchten. Sie mussten sich hierbei auf drei Bundesländer beschränken – je ein Flächenstaat in Ost- und Westdeutschland sowie ein Stadtstaat (Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Berlin). Nur die Hälfte von ihnen widmet der Nachrichtenkompetenz überhaupt Aufmerksamkeit. Wenn das Thema angeschnitten wird, geht jedenfalls nicht darum, ein Grundverständnis des Mediensystems und des Journalismus zu entwickeln und etwa den Schülern die öffentliche Aufgabe der Presse nahezubringen.

“Vollkommen falsche Vorstellungen von der Arbeitsweise des Journalismus”

Für alle, die sich noch aus ihrer eigenen Schulzeit an engagierte Lehrerinnen und Lehrer erinnern, bleibt freilich ein Hoffnungsschimmer. Die Dresdner Forscher befragten auch 83 Lehramtsstudenten, die kurz vor dem Studienabschluss stehen. Sie stuften nahezu ausnahmslos Nachrichtenkompetenz als sehr wichtiges Lernziel und Thema des Schulunterrichts ein. Solch hohe Motivation nützt allerdings wenig, wenn die Absolventen selbst nicht über das nötige Wissen verfügen. Die Wissenschaftler fühlten ihnen auf den Zahn und fanden heraus, dass sie das Mediennutzungsverhalten von Schülern völlig falsch einschätzten. Ebenso waren sie erstaunlich ahnungslos, als sie nach den Aufgaben von Journalisten oder nach der Rolle von Nachrichtenmedien in der Demokratie gefragt wurden oder Profi-Journalisten von Bloggern und „Bürgerjournalisten“ abgrenzen sollten. Das seien, so Hagen, „blinde Flecken“.

Summa summarum  halten die Dresdner Forscher fest, dass „Fake News hoffähig werden“ und Kritik an der „vermeintlichen Lügenpresse“ oftmals „auf vollkommen falschen Vorstellungen von der Arbeitsweise des Journalismus“ beruht. Wir sollten die Erwartungen an die Medienkompetenz-Vermittlung von Schulen nicht allzu hoch schrauben. Wichtiger wäre womöglich, dass der Journalismus und die anspruchsvolleren Medien selbst ihre diesbezügliche Verantwortung verstärkt wahrnehmen: Solange Mediennutzer Qualitätsunterschiede von Medienangeboten kaum zu beurteilen vermögen, wird es nämlich auch kaum vermehrte Zahlungsbereitschaft für hochwertigen Journalismus geben.

Hagen, Lutz M./ Renatus, Rebecca/Obermüller, Anja (2017): Nachrichtenkompetenz durch die Schule. Abschlussbericht für die Stiftervereinigung der Deutschen Presse, Dresden: MS

Bildquelle: pixabay.com

Eine gekürzte Version dieses Beitrags wurde zuerst auf tagesspiegel.de vom 24. Oktober veröffentlicht. 

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