“Lalleluja” – eine Aufrechnung

7. April 2010 • Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt vom 6. April 2010

Man hüte sich vor Pauschalisierung: Nicht alle Prominenten sind Zicken mit Kontrollwahn und nicht alle Medienschaffenden sensationsgierige Prominentenschinder. Aber es gibt sie. Immer öfter. Eine Aufrechnung aus aktuellem Anlass.

Im Februar Margot Kässmann, im März Jörg Kachelmann, im April, so ist zu befürchten, wird medienöffentlich über eine andere öffentliche Person zu Gericht gesessen. Grund für den Pranger-Journalismus: Die Beklagten sind prominent. 

So geht das nicht.

Was um Himmels willen möchte uns die Redaktion von „Glanz und Gloria“ im Schweizer Fernsehen sagen, wenn sie den Bericht über Jörg Kachelmann mit alten Bildern schmückt, auf denen er sich schminkt, ehe er vor die Kamera tritt? Dass er was zu verbergen hat? Der Wetter-Entertainer und -Unternehmer sitzt in Untersuchungshaft, weil er seine Freundin vergewaltigt haben soll. Sein Gesicht ist durch seine Fernsehauftritte bekannt. Davon profitiert er und nun bezahlt er dafür: Bei ihm wird ein Verdacht zur Nachricht und zur Riesengeschichte; bei ihm ist nachvollziehbar, dass Medien ihn beim vollem Namen nennen.

Aber in Ordnung ist dies nicht. Er ist weder der Bundeskanzler noch die Landesbischöfin. Er muss kein moralisches Vorbild  sein. Sollte er eine Straftat begangen haben, muss dies nicht die Kirche, das Land oder der Sender ausbaden, sondern  Privatmann Kachelmann. Und herausfinden, was er getan hat, müssen die Ermittler der Polizei, nicht Journalisten. Medien sollen auch nicht therapieren, psychologisieren oder Kläger spielen. Tun sie aber. Immer wieder.

Weshalb in aller Welt brauchte es eine Schlagzeile wie „Lalleluja“ („Berliner Kurier“)? Sie war Gipfel des Zynismus der Medienberichte, als die Trunkenheitsfahrt der damaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland bekannt wurde. Ja, Margot Kässmann war betrunken Auto gefahren; das Strafmaß hierfür sind Führerscheinentzug und Geldbuße. Sie selbst auferlegte sich zusätzlich den Rücktritt – auch, weil ihr Amt eine besondere moralische Verpflichtung einschließt.

Das ist nachvollziehbar, das ist ihre Entscheidung. Und das ist in Ordnung. Die mediale Verhandlung über ihren Fehler, die teils zudem zur Psychoanalyse wurde, ist es nicht. Viele Medien verurteilten sie voller Häme, fast als sei ihr Fehler am Steuer eine Art von Gottes Strafe für die klaren Positionen etwa zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, mit denen die Bischöfin nicht nur Freude weckte.

Gewiss, die Personen Kässmann und Kachelmann sind grundverschieden. Nicht vergleichbar ist, wessen sie angeklagt sind. Zudem: Kachelmann bestreitet bislang seine Schuld. Kässmann steht zu ihrer Alkoholfahrt. Gemeinsam ist das Strickmuster der medialen Herangehensweise.

Doch die Beziehungsgeschichte von Medienleuten und Prominenten ist nicht vollständig, wenn man auslässt, wie manche Prominente mit Medien umspringen. Wer „Personen der relativen Zeitgeschichte“ interviewen will, kann zwei Lieder singen: Ein fröhliches über jene, die zeitig antworten, sich  die vereinbarte Zeit zum vereinbarten Zeitpunkt am vereinbarten Ort  nehmen…

Das andere Lied klingt schrill, traurig und hat viele Variationen. Eine klassische ist diese: Auf die Anfrage um ein Interview folgt Funkstille, auf Nachhaken kommen Mails der Sekretärin oder Kommunikationsbeauftragten, der Chef / die Chefin befinde sich auf Drehtermin (im Urlaub, in Sitzungen…) Schließlich kommt es zum Termin. Der wird am Tag zuvor (oder noch später) abgesagt; in günstigen Fällen mit der Floskel, man melde sich. Man muss jetzt wissen, dass „man“ heißt, der Journalist muss sich melden, will er je wieder etwas hören. Irgendwann kommt ein Termin zustande. Dann heißt es nur noch, Wartezeit einplanen, Unterbrechungen durch Handytelefonate stoisch aushalten…

Die „Süddeutsche Zeitung“ machte jetzt öffentlich, wie es ihr mit Bestellerautor Eckart von Hirschhausen erging. Er wollte vor dem Interview einen Knebelvertrag, der ihm auch Korrekturen der Sichtweise erlaubt hätte (mehr dazu unter http://www.stefan-niggemeier.de/blog/eckart-von-hirschhausens-hybris/)  Nun soll das nur auf dem Mist seiner Managerin gewachsen sein, und man will niemals an Zensur gedacht haben…

Das ist kein Einzelfall. Und ein anderes Beispiel, ebenfalls aus jüngerer Zeit, wirkt wie der i-Punkt. Dieses liefert ausgerechnet die im Umgang mit bockigen Promis geübte “Bunte”-Chefredakteurin Patricia Riekel, die zudem durch den Verdacht, Politiker privat regelrecht beschattet zu haben, in die Schlagzeilen kam. Sie gab nach einem Gespräch mit dem „Zeit“-Magazin die Zitate nicht frei und verbot, Fotos von ihr zu drucken. Denn sie hatte Angst, der Text käme schlecht für sie raus. Das “Zeit-Magazin” schwieg aber nicht. So erfuhr die Leserschaft, was ablief: Im Heft stand der Text – ohne Zitate, ohne Bilder und mit Weissraum, wo gedruckt stand, was man gesehen hätte, wenn…

Medienschaffende und Prominente sind voneinander abhängig. Beide wollen verkaufen: der eine seine Geschichte, der andere seine Politik, sein Buch, seine CD. Der Eine braucht O-Töne, der andere Aufmerksamkeit. Jeder hat einen Auftrag: Der eine etwa durch sein politisches Mandat, der andere durch seine Selbstverpflichtung: Ein Journalist muss informieren, kritisieren, kontrollieren. Wäre das anders, wäre eine Demokratie in den Grundfesten erschüttert. Beide sind Geschäftspartner. Doch viele von ihnen haben mit ehrbaren Kaufleuten wenig gemein. Sie respektieren sich nicht, sondern sitzen zu Gericht, gängeln und beschämen einander. Oft. Viel zu oft.

Was tun? Es helfen nur die alten Tugenden: Respekt, Haltung und Anstand. Vorher, nicht erst, wenn die mediale Empörung bereits hochgekocht ist. Oder wenn ein Interview mit geschwärzten Passagen erschienen ist.

Anders geht das nicht.

Bildquelle: dierk schäfer / Flickr CC

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