Mit einem Toolkit gegen Fake News

4. März 2019 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Innovative Formate der Medienbildung stehen im Fokus des Projekts „Media Navigator” der Medien-NGO n-ost. Online-Übungen in russischer Sprache sollen die Medienkompetenz in verschiedenen Ländern stärken.

Das Projekt „Media Navigator” der Medien-NGO n-ost bringt Journalisten, Medienexperten und Pädagogen in einen praxisorientierten Erfahrungsaustausch: Im Rahmen von Workshops sprechen sie über aktuelle Medienthemen und diskutieren didaktische Ansätze sowie innovative Formate der Medienbildung. Aus dem Austausch entstand 2017 ein russischsprachiges Online-Toolkit mit über 40 Übungen zur Vermittlung von Medienkompetenz. Projektkoordinatorin Elizaveta Kucherova zieht im EJO-Interview eine Bilanz und gibt Einblick in die Zukunftspläne von Media Navigator.

EJO: Wen wollen Sie mit Ihrem Projekt „Media Navigator“ erreichen?

Elizaveta Kucherova: Wir sehen uns natürlich als Teil einer globalen Bewegung, die Medienkompetenz stärken möchte, aber unsere konkrete Zielgruppe befindet sich hauptsächlich in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das Projekt zielt darauf ab, Experten und Praktiker – also die Multiplikatoren – zu vernetzen und zu stärken, um dadurch die Bevölkerung in diesen Ländern medienkompetenter zu machen. Die Projektsprache ist Russisch – nach wie vor lingua franca der Region. Wir haben Projektpartner und -teilnehmer in Russland, der Ukraine, Belarus, Moldau, Georgien, Armenien und Kirgistan.

Projektkoordinatorin Elizaveta Kucherova

Aus welchen Bereichen kommen Ihre Projektpartner und -teilnehmer?

Die Akteure, die an unserem Projekt mitwirken, kommen aus sehr unterschiedlichen Bereichen, diese Vernetzung über disziplinäre, nationale und regionale Grenzen hinweg steht im Zentrum unseres Projektes. Unter unseren Teilnehmern sind Journalisten, Uni-Dozenten, Lehrer, Trainer aus dem Bereich Medienbildung oder Erwachsenenbildung und NGO-Projektleiter. Ein Teilnehmer hat einen Verlag, der Inhalte zu Medienkompetenz für Kinder herausgibt. Diese Vielfalt resultiert daraus, dass sich die Art und Weise der Vermittlung von Medienkompetenz in unseren Projektländern sehr unterschiedlich gestaltet.

In Russland zum Beispiel beschäftigen sich in erster Linie Universitäten mit dem Thema Medienbildung und Medienkompetenz, in der Ukraine sind es in erster Linie Schulen, in Georgien und Armenien sind es eher NGOs und teilweise journalistische Organisationen. Unser Ziel ist es aber, mit dem Toolkit so viele Leute wie möglich zu erreichen. Die Übungen sind so gemacht, dass sie auch von Menschen ohne professionelle pädagogische oder journalistische Bildung durchgeführt werden können. Das Toolkit soll also in Russland nicht nur an den Universitäten und in der Ukraine nicht nur an den Schulen eingesetzt werden, sondern tatsächlich über diese Grenzen hinaus und auch im Bereich der nicht-formalen Bildung. Die Übungen sind so konzipiert, dass man sie mit mehreren Leuten machen kann, aber es gibt auch einige Übungen, die in kleineren Gruppen oder einzeln gemacht werden müssen. Unser Motto ist: Bring dir selbst Medienkompetenz bei und hilf anderen dabei.

Wie gut klappt die Umsetzung in den jeweiligen Ländern?

Das klappt ziemlich gut, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, was wiederum viel mit der unterschiedlichen sozio-politischen Situation in den jeweiligen Ländern zu tun hat. Die Ukraine war vor ein paar Jahren ein richtiger Vorreiter auf dem Gebiet, auch weil die Medienbildung innerhalb des schulischen Systems sehr stark gefördert wird, was natürlich viel mit der Krim-Annexion und den dazugehörigen Entwicklungen zu tun hat, obgleich es selbstverständlich auch da Grenzen und Schwierigkeiten gibt. In den Nachbarstaaten, etwa in Russland und Belarus, entwickeln sich die Dinge aber auch sehr schnell, auch wenn man da im Allgemeinen vorsichtiger agieren muss.

Geht Ihr Online-Toolkit darauf ein, dass in den verschiedenen Ländern ein unterschiedliches Verständnis von Medienbildung und Medienkompetenz herrscht?   

Die Zusammenstellung der Übungen war ein langer Prozess, in dem wir auch diese ganzen Unterschiede herauskristallisiert haben: in mehreren Runden und in unterschiedlichem Ausmaß haben sich im Grunde alle Projektteilnehmer daran beteiligt. Die Übungen im Toolkit sind allerdings nicht länderspezifisch, was aber meistens gar kein Problem ist, weil die Leute, die selbst schon Erfahrung in dem Bereich haben, die Übungen sehr schnell anpassen. Sie sind auch so konstruiert, dass man die Beispiele relativ einfach ersetzen kann. Wir haben uns darum bemüht, universelle Beispiele zu nehmen und Beispiele, die nicht so politisch brisant sind, dass sie Probleme verursachen könnten. Wir bleiben aber natürlich immer bei den Fakten.

Können Sie die Übungen aus dem Toolkit etwas näher beschreiben?

Die Übungen sind sehr abwechslungsreich, wobei zugegebenermaßen ein großer Teil sich mit Desinformation und Fakes beschäftigt. Die Übungen sind sortiert nach drei Altersgruppen und zwei Schwierigkeitsstufen. In einer Übung für Jugendliche und Erwachsene geht es zum Beispiel um Foto-Fakes. Hier wird an mehreren konkreten Beispielen aus Presse- und Online-Angeboten gezeigt, wie ein Foto manipuliert wird, wie einfach das geht und vor allem, wie man das erkennt.

Eine Übung, die sich an Kinder richtet, geht auf Stärken und Schwächen verschiedener Medien ein und das auf eine sehr spielerische Art und Weise. Hierfür liest der Trainer zuerst einen Ausschnitt aus einem Märchen vor, zum Beispiel Rotkäppchen, und schaut sich dann mit den Kindern eine Stelle aus dem entsprechenden Zeichentrickfilm an. Aufgabe ist es, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen einem Text und seiner Interpretation zu finden. Der Trainer fragt die Kinder zum Beispiel, ob sie sich die Hauptfiguren so vorgestellt haben, wie sie in der Verfilmung aussehen, mit welchen Mitteln die verschiedenen Medien Informationen weitergeben und welche Aspekte im Film besser rüberkommen als im Originaltext. Im Anschluss wird diskutiert, wie verschiedene Medien gleiche Informationen weitergeben. Das Ergebnis dieser Diskussion soll die Grundlage für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Auseinanderhalten von Original und Interpretation bieten.

Jede Übung wird sehr ausführlich dargestellt, es gibt eine didaktische Beschreibung und theoretischen Hintergrund für den Trainer sowie weiterführenden Links. Für die Art und Weise der Aufbereitung haben wir von unseren Nutzern viel positives Feedback bekommen.

Haben Sie vor, Ihr Online-Toolkit in anderen Sprachen anzubieten, um damit noch mehr Menschen erreichen zu können?

Der Bedarf, das Toolkit auch in den jeweiligen Ländersprachen anzubieten, ist auf alle Fälle da, und entsprechende Maßnahmen sind für das Jahr 2019 geplant. Wir starten nämlich gerade in das neue Projektjahr. Viele unserer Trainer übersetzen die Übungen auch schnell selber aus dem Russischen oder führen zum Beispiel das Training auf Ukrainisch durch und zeigen die Beispiele auf Russisch, das ist in der Praxis nicht besonders problematisch.

Ein Wunsch von uns wäre auch eine Erweiterung unserer Projektländer. Unser Toolkit hat aber auch schon so über die Projektländer hinaus zahlreiche Nutzer gefunden. Die meisten Nutzer kommen aus Russland, der Ukraine und Belarus – gefolgt von Anwendern aus den USA, Frankreich, Kasachstan, Kirgistan, Deutschland, Brasilien und Lettland. Wir werden auch immer wieder gefragt, warum wir unser Toolkit nicht auf Englisch anbieten. Da sehen wir einfach nicht den Bedarf, da es bereits sehr viele Materialien auf Englisch zum Thema Medienkompetenz gibt. Das Thema ist ja nicht neu, nur seit drei, vier Jahren extrem ‚in‘. 

Gibt es Ihrer Meinung nach Länder in Ihrem Projekt, auf die ein Schwerpunkt bei der Vermittlung von Medienkompetenz gelegt werden sollte? 

Nein, das glaube ich nicht, ich denke, dass Medienkompetenz eine Sache ist, mit der sich die ganze Welt beschäftigen sollte. Man sollte auch auf gar keinen Fall eine Trennlinie zwischen West- und Osteuropa ziehen und sagen, die Osteuropäer sollen es so machen wie die Westeuropäer, weil die das alles so toll hinbekommen. Das entspricht einfach nicht der Realität, denn auch in Westeuropa herrscht noch viel Nachholbedarf in Sachen Medienkompetenz. Es geht nicht nur darum, zu wissen, aha, das ist eine Fake News und der darf ich nicht glauben. Medienkompetenz geht viel tiefer. Es geht um Kenntnisse der Medienlandschaft, darum, wem welche Medien gehören und was unabhängige Medien kennzeichnet.

Man muss ein Verständnis dafür entwickeln, dass man keine Information einfach für bare Münze nehmen, sondern immer kritisch reflektieren sollte, was man sieht, wer einem etwas zeigt, warum es einem gezeigt wird. Man sollte gewisse Mechanismen für sich entwickeln, wie man vertrauenswürdige Quellen findet und welche Quellen man nutzt, um ein mehr oder weniger klares Bild vermittelt zu bekommen. Solche Kenntnisse sind aus meiner Sicht überall absolut notwendig.

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