Robert Enke hat sich vor zehn Jahren das Leben genommen. Etliche deutsche Medien rollen deshalb auf, was damals Gesprächsstoff war: Den Selbstmord, die Depression. Wie sie das machen, spiegelt zweierlei wider: Erstens scheinen manche Medien nie etwas zu lernen. Zweitens aber könnte der Anlass zu einer weiteren Versachlichung beitragen.
Das Ärgernis zuerst: Die Bild-Zeitung startete am Donnerstag eine Serie zum zehnten Todestag von Robert Enke. Überschrift: „Die letzte 50 Stunden des Robert Enke.“ Der Text strotzt vor Vermutungen, „boulevardesker Psychoanalyse“ und vor Details. Jeder, der professionellen Journalismus betreibt, den Pressekodex und den Werther-Effekt kennt, wonach eine genaue Schilderung von Ort und Umständen eines Suizids bei Menschen mit Suizidgedanken einen Impuls auslösen kann, weiß, dass solches Ausbreiten verantwortungslos ist. Manchen Journalisten ist das egal, einem Teil des Publikums leider auch. Dabei wiesen Studien als sogenannten „Enke-Effekt“ sogar nach, dass der Schienensuizid, den Enke begangen hatte, damals als Suizidart stark zunahm, eine Folge offenbar der breiten und auch sehr detaillierten Berichterstattung vor zehn Jahren.
Nun zur Chance: Bereits damals, am Tag nach dem Tod ihres Mannes, erklärte Teresa Enke die Hintergründe: Enke litt seit Jahren an Depressionen. Mittlerweile ist sie das Gesicht einer Stiftung, die darüber aufklären will, was Depression bedeutet, über eine Hotline oder eine App Hilfen anbietet und Forschung anstoßen will. Träger sind Deutscher Fußball-Bund, Deutsche Fußball Liga und Enkes ehemaliger Bundesligaclub Hannover 96, zu den Unterstützern zählt auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Zudem gibt es mittlerweile ein Netz an Sportpsychologen als Anlaufstellen.
Denn Enkes Krankheit offenbart auch ein Systemproblem. Er wagte nicht, öffentlich zu machen, wenn und warum es ihm schlecht ging. Die Fans, der Trainer, das Management, die Medien – in solchen Situationen gibt es viele Unwägbarkeiten, die Reaktionen sind schwer vorhersehbar.
In anderen Bereichen, z.B. in Politik oder Kultur, wird es allmählich möglich, auch „krank sein zu dürfen“. Dass es im Sport weiterhin anders ist, hängt mit einer Logik zusammen, die bis heute gilt: Gesundheit wird vorausgesetzt, vor allen Dingen psychische Gesundheit. Alle wollen Helden sehen, keine Typen mit Schwächen. „Intakte Spieler“ sind zudem Teil des Geschäftsmodells Fußball: Schwächen, Krankheiten können dazu führen, dass jemand ausgepfiffen wird oder eher auf der Ersatzbank sitzen muss. Solche Schwächen können Faktoren sein, die den Wert eines Spielers auf dem internationalen Markt reduzieren…
Aber auch Lebensstile, z.B. ein offenes Bekenntnis zu einer homosexuellen Orientierung können im Sport weiterhin „wertmindernd“ wirken und stigmatisierend, während dies in anderen Bereichen ebenfalls zunehmend einfach als eine Information akzeptiert wird. Hierfür gilt es, Bewusstsein zu schaffen. Sportjournalisten und Sportjournalistinnen tragen da eine besondere Verantwortung und auch dafür, zu versachlichen und die Kritik auf sportliche Leistungen zu richten statt auf Personen zu schießen.
Hinzukommen als neuer Druck-Faktor die teilweise sehr verletzenden Attacken, die über soziale Medien auf Sportlerinnen und Sportler zielen. Ihnen müssen Vereine und insbesondere Sportpsychologen frühzeitig erklären, wie sie damit umgehen können und wann weitere Hilfe nötig wird.
Erstveröffentlichung: persoenlich.com vom 11. November 2019
Bildquelle: mightymightymatze/Flickr CC: Enke; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/
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