„Ich arbeite dort nicht wegen des Geldes.“ Diesen Satz hört man immer wieder, wenn man mit Fotojournalisten spricht, die in Konflikt- und Kriegsregionen arbeiten. In der Praxis bedeutet dies oft: keine festen Aufträge und keine adäquate Absicherung. Warum sie trotzdem unter diesen Umständen arbeiten, erklären zwei Fotografen, die seit fünf Jahren den Krieg in der Ostukraine dokumentieren.
Er wollte nie ein Kriegsfotograf sein. Florian Bachmeier, freier Fotojournalist aus Süddeutschland, fotografierte vor fünf Jahren die weltweit beachteten Maidan-Proteste in der Ukraine. Als kurz danach im Osten des Landes ein bewaffneter Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee ausbrach, begann er, dort die Ereignisse zu dokumentieren. Auch Anatolii Stepanov konnte sich nicht vorstellen, einen Krieg zu fotografieren – bis Teile seines eigenen Landes zu einem Kriegsgebiet wurden. Schon während der Arbeit auf dem Maidan in seiner Heimatstadt Kiew wurde er mit massiver Gewalt konfrontiert. Seit fünf Jahren arbeitet er unter hohem persönlichen Risiko immer wieder in den Konfliktgebieten im Osten der Ukraine.
Die Bilder der beiden genannten Fotografen erscheinen manchmal in großen Magazinen, aber sie arbeiten selten im Auftrag dieser Medien. Sie begreifen ihre Arbeit eher als persönliches Projekt. Viele ihrer Geschichten bleiben daher vorerst unveröffentlicht. Freelancer*innen ohne feste Verträge, wie Bachmeier und Stepanov, machen inzwischen einen großen Teil der Fotograf*innen aus, die in Kriegs- oder Krisengebieten arbeiten. Sie haben oft nur Absichtserklärungen für eine bezahlte Veröffentlichung ihrer Geschichten oder verkaufen ihr Material erst später und oft zu niedrigen Preisen. Die Bilder werden, obwohl sie unter gefährlichen Bedingungen entstehen, zu den in Deutschland inzwischen üblichen Preisen ab 40 Euro angekauft.
Neben der geringen und unsicheren Honorierung sind sie meistens auch noch schlechter abgesichert als ihre Kolleg*innen, die im Auftrag von Magazinen oder Agenturen unterwegs sind. Auf die Frage, wie er versichert ist, wenn er direkt an der Front arbeitet, sagt Anatolii Stepanov: „Ich bin Freelancer, ich habe keine Versicherung“. Dieser Zusammenhang, der da wie selbstverständlich hergestellt wird, betrifft aber nicht nur Fotograf*innen aus einkommensschwachen Ländern wie der Ukraine. Auch westeuropäische Fotograf*innen, die ohne Auftrag in Konfliktgebieten arbeiten, wollen oder können sich die speziellen Policen oft nicht leisten. Normale Auslands- oder Lebensversicherungen kommen aber für Schäden in bewaffneten Konflikten nicht auf. Wenn es dann tatsächlich zu einem ernsthaften Zwischenfall kommt, bedeutet das für die Fotograf*innen nicht nur, dass sie dann möglicherweise keine adäquate medizinische Behandlung erhalten oder ein erforderlicher Rücktransport nicht erfolgen kann, sondern auch, dass eine folgende Berufsunfähigkeit nicht aufgefangen wird oder, im schlimmsten Fall des Todes, die Angehörigen keinerlei Unterstützung erhalten.
Höhere Honorare bei Arbeit im Auftrag von Redaktionen
Große deutsche Magazine und Zeitungen, wie der Spiegel oder die Zeit, achten darauf, die Risiken für Fotograf*innen, die sie für Reportagen in Krisenregionen beauftragen, so gering wie möglich zu halten. Daher arbeiten sie nach Möglichkeit mit Fotograf*innen zusammen, die viel Erfahrung haben und für solche Einsätze entsprechend versichert sind. Falls Fotograf*innen keine Versicherung haben, wird ihnen angeboten, temporär eine solche abzuschließen. Die Kosten werden in beiden Fällen entweder anteilig oder komplett übernommen. Außerdem werden für die Arbeit direkt in Kriegsgebieten höhere Honorare gezahlt oder die Recherchekosten großzügiger bemessen.
Der deutsche Fotograf Christian Werner, der für große Magazine in Ländern wie dem Irak, Syrien, der Zentralafrikanischen Republik, Somalia und El Salvador fotografiert hat, sagt: „Konfliktgebiete bereise ich nur im Auftrag. Es macht für mich überhaupt keinen Sinn, ein so immenses Risiko, auch finanziell, einzugehen und am Ende wird das Material vielleicht nicht einmal veröffentlicht.“ Was also motiviert freie Fotograf*innen, ohne Versicherung, ohne adäquate Honorierung und ohne die Aussicht auf eine gesicherte Publikation, in einem Konfliktgebiet zu arbeiten?
„Es ist wie ein Instinkt, besonders wenn solche Ereignisse im eigenen Land stattfinden. Wenn einer eine Kamera halten kann, dann muss er das dokumentieren“, entgegnet Anatolii Stepanov in einem Film über seine Arbeit auf dem Maidan auf diese Frage. Für viele freie, international arbeitende Fotograf*innen, wie Florian Bachmeier, ist es wichtig, Kriege und das Leid der von ihm betroffenen Menschen jenseits der singulär stehenden Newsbilder zu dokumentieren. Freie Fotograf*innen ohne Auftrag fühlen sich einem Thema, einer Region oder den Menschen in einem bestimmten Konflikt verpflichtet. Sie nehmen sich die Freiheit, dieser Leidenschaft mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst zu folgen. Oft finanzieren sie diese idealistische Arbeit sogar mit Honoraren aus anderen Aufträgen.
Als der Konflikt in der Ostukraine 2014 begann, war das für viele ukrainische und auch europäische Fotograf*innen die erste Begegnung mit einem Krieg und seinen Folgen. Für die internationalen Medien tauchte ein neues Berichtsland auf. Die Ukraine stand plötzlich im Fokus der internationalen Presse, die Bilder ukrainischer Fotograf*innen wurden weltweit veröffentlicht. Sie mussten sich ohne große Vorbereitung mit einer Arbeit unter extrem gefährlichen Bedingungen vertraut machen. Das ukrainische Verteidigungsministerium machte für ukrainische Fotograf*innen immerhin ein Basis-Sicherheitstraining verpflichtend, um eine Akkreditierung für die Konfliktzone zu erhalten. Außerdem können sich in- und ausländische Journalist*innen zum Beispiel beim Ukraine Crisis Media Center oder beim Institut für Masseninformation kostenlos schusssichere Westen und Helme ausleihen und sich Fixer vermitteln lassen.
Training und Equipment auf eigene Kosten
Anatolii Stepanov hat sich bereits 2014 auf eigene Kosten Sicherheitsequipment angeschafft. Das für die Akkreditierung verpflichtende Training hält er für unzureichend und hat deswegen zusätzlich ein Erste-Hilfe-Seminar der britischen Organisation Rory Peck Foundation in der Ukraine besucht. Ein militärisches Sicherheitstraining, wie es zum Beispiel von der Deutschen Bundeswehr in Hammelburg angeboten wird, hat er dagegen nie absolviert. Er verlässt sich, wie Florian Bachmeier und viele andere, auf die eigene langjährige Erfahrung und auf Kontakte und Informationsquellen vor Ort, um die Lage richtig einschätzen zu können. Darüber hinaus ist Stepanov fast ausschließlich mit der ukrainischen Armee oder mit deren Wissen unterwegs und verlässt sich auf die militärischen Sicherheitsabläufe. Florian Bachmeier hingegen, der äußerst selten mit dem Militär reist, wäre bei einem Zwischenfall auf Kolleg*innen oder Kontaktpersonen vor Ort angewiesen, die über seine Pläne informiert sind.
Dass die Gefahr real und trotz aller Erfahrung nie ganz kalkulierbar ist, zeigen die drei bisher getöteten Fotojournalist*innen und hunderte verletze Medienvertreter*innen im Krieg in der Ostukraine. Johann Bihr, Ukraine-Experte von Reporter ohne Grenzen attestiert dem Krieg in dieser Hinsicht die Charakteristik moderner Konflikte. So werden Medienvertreter*innen in vielen Fällen nicht zufällig Ziel von Angriffen – es wird vermutet, dass zumindest zwei der drei getöteten Fotojournalist*innen gezielt wegen ihrer Arbeit unter Beschuss genommen wurden. Auch Anatolii Stepanov und Florian Bachmeier haben während ihrer Arbeit in der Ostukraine gefährliche Grenzsituationen erlebt. Trotzdem werden sie weiter dort fotografieren. „Für mich ist es wichtig, dahin zu gehen, wo die Menschen, denen die Arbeit ja letztendlich gewidmet ist, unter Krieg und Gewalt leiden“, sagt Florian Bachmeier.
Florian Bachmeier, geboren 1974, studierte Fotografie und Geschichte in Pamplona, Spanien und München. Seit 2010 arbeitet er als selbständiger Fotograf und ist seit 2012 Mitglied im n-ost Nachrichtennetzwerk für Osteuropa. Seine Arbeiten aus der Ukraine seit 2013 sind zu sehen unter www.florianbachmeier.com/portfolio#/ukraine-20132018/
Anatolii Stepanov, geboren 1969, arbeitete nach dem Studium an der Polytechnischen Hochschule in Kiew als Elektroingenieur. 2004 Abschluss an der Fotografieschule von Victor Marushchenko. Seitdem arbeitet er als freier Fotojournalist für Nachrichtenagenturen und Magazine. Ein Bericht von Anatolii Stepanov über seine Erlebnisse am Maidan findet sich hier.
Ukraine Crisis Media Center (UCMC) Diese Institution bietet Aktivist*innen, Expert*innen, Politiker*innen, Regierungsvertreter*innen, Diplomat*innen und internationalen Organisationen die Möglichkeit, Pressekonferenzen über Ereignisse in der Ukraine und im Ausland durchzuführen. Das UCMC ist das einzige Pressezentrum in der Ukraine, das ohne kommerziellen Hintergrund und gemeinwohlorientiert vollwertige Pressearbeit unterstützt.
Rory Peck Trust Eine vom Rory Peck Trust zusammengestellte Übersicht verschiedener Anbieter privater Sicherheitskurse vor allem aus Großbritannien und den USA findet sich hier.
Diese weiteren Artikel sind in der Serie bei EJO erschienen: – Der Journalismus und die Kriegsfotografie – Kriegsreporter – Mythos und Wirklichkeit eines Berufsbildes – Eine Kamera ist wie eine Waffe: alle haben Angst – Journalismus machen, der zeigt, was ist – „Wir wollen neue Perspektiven zeigen“ – Ausbildung für die Kriegsfotografie?
Schlagwörter:Anatolii Stepanov, Florian Bachmeier, Fotojournalisten, Krieg, Kriegsfotografie, Ostukraine