Stephan Russ-Mohl bemängelt fehlende Quellentransparenz im Journalismus: Journalisten, die PR-Quellen verschweigen, machen sich zu deren Handlangern.
In jüngster Zeit wird im Journalismus viel über Haltung diskutiert. Dabei geht es meist um die ebenso fundamentale wie triviale Frage, ob und inwieweit Journalisten Aktivisten sein dürfen, sich also für eine Sache, die sie für gut halten, einsetzen sollten – also etwa für den Klimaschutz (überall), für bilaterale Verträge mit der EU (in der Schweiz) oder für eine türkis-grüne Koalition (in Österreich). Merkwürdigerweise scheint sich diesbezüglich das Meinungsklima innerhalb des Journalismus zu verschieben: Tendenziell wird mehr Aktivismus und mehr Meinungsmache toleriert.
Dabei besteht doch die hohe Kunst des Nachrichtenjournalismus in einer überkomplexen Welt mit all ihren Einfallstoren für Desinformation eigentlich darin, Distanz zu wahren und stets im Hinterkopf zu behalten, dass Journalisten vor allem Dienstleister und nicht etwa Missionare ihres Publikums sein sollten: Letzeres sollte die Möglichkeit erhalten, dank ergebnisoffener journalistischer Recherche und adäquater, ausgewogener Hintergrundinformation sich selbst eine Meinung zu bilden, statt einseitig informiert und damit manipuliert zu werden. Johannes Gross plädierte dereinst für einen „Journalismus, der nichts will“. Noch stärker ist die Ermahnung von Joachim Friedrichs haften geblieben, ein Journalist solle sich mit „keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten“.
Im Alltagsgeschäft des Nachrichtenjournalismus verdiente indes eine viel trivialere Frage als die nach der Haltung von Journalisten mehr Aufmerksamkeit: die nach der Quellentransparenz. Denn egal, ob ein Journalist sich als Aktivist oder doch eher als Dienstleister-Profi versteht: der allergrößte Teil der Meldungen, die Journalisten verarbeiten, stammt aus Pressestellen und PR-Abteilungen – und ist damit per definitionem einseitig und interessengeleitet. Schon in den 80er Jahren, als Barbara Baerns in Deutschland und René Grossenbacher in der Schweiz dazu ihre ersten empirischen Forschungsergebnisse vorlegten, wurden knapp zwei Drittel aller Meldungen in PR-Küchen vorgegart. Ergänzungs- und Zusatz-Recherchen aufseiten der Journalisten gab es nur äußerst selten. Da sich seither die PR-Experten rapide professionalisiert und zahlenmäßig gegenüber den Journalisten vervielfacht haben, dürfen wir davon ausgehen, dass der Anteil inzwischen eher bei 80 oder gar 90 Prozent liegt und die Fernsteuerung des Journalismus durch Öffentlichkeitsarbeit heute nahezu wie geschmiert funktioniert.
Was indes im Journalismus sehr häufig fehlt, ist Aufklärung über genau diesen Sachverhalt – sowie die Beantwortung der vielleicht wichtigsten W-Frage, um beurteilen zu können, wie glaubhaft eine Information ist. Auf die Frage „Woher?“ bekommt das Publikum sehr häufig keine Antwort. Es ist auch am Ende des Jahres 2019 noch gängige Praxis, dass Journalisten – statt Ross und Reiter zu nennen – „aktivistisch“ ihre Quelle verschleiern und ihren eigenen Namen oder ihr Kürzel unter einen Text setzen, den sie nicht selbst recherchiert und verfasst, sondern oft nur mit ein paar Copy paste-Befehlen „redigiert“ haben.
Marlene Nunnendorf, Sprecherin der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA), spricht vom „Mimikry“ – also von Tarnung und Täuschung aufseiten der Journalisten. Eigentlich spürt ihre medienkritische Nicht-Regierungsorganisation verdienstvollerweise den blinden Flecken des Journalismus nach, also jenen Themen, die von der deutschen Medienberichterstattung vernachlässigt werden. Zwischen Non-Reporting und fehlender Quellentransparenz besteht indes vermutlich ein enger Zusammenhang: Themen, die es nicht in die öffentliche Agenda schaffen, werden schlichtweg nicht von PR-Leuten promotet. Kümmern sich Experten für Öffentlichkeitsarbeit dagegen um ein Thema, verschleiern dies viele Journalisten dann allzu oft, um ihre Eigenleistung stärker herauszustreichen. Diesen Kollegen und Kolleginnnen ist offenbar nicht bewusst, dass die Manipulation des Lesers, Hörers oder Zuschauers bereits an diesem Punkt einsetzt. Journalisten, die PR-Quellen verschweigen, machen sich zu deren Handlangern. Sie kaschieren die Wirkungsmacht von PR, statt ihrem Publikum mit der Quellenangabe auch eine Einschätzung der jeweiligen Quelle zu ermöglichen.
Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 6/2019
Schlagwörter:Mimikry, PR, Quellentransparenz