Die serbische Regierung reagierte auf die Corona-Krise, indem sie versuchte, den Informationsfluss der Medien noch strenger zu kontrollieren.
Der Anfang Mai erschienene Bericht „Nations in Transit“ der NGO Freedom House kommt zu dem Schluss, dass Serbien sowie Montenegro und Ungarn nicht mehr als Demokratien betrachtet werden können. Eines der Kriterien, an denen Freedom House die Qualität der Demokratie in einem Land misst, ist die Medienfreiheit.
Der Ausbruch von Covid-19 in Serbien hat die äußerst restriktive Haltung der Regierung gegenüber den Medien deutlich gemacht. Sie versucht, den Informationsfluss zu kontrollieren, bevorzugt regierungsfreundliche Medien und ist unabhängigen Medien gegenüber generell sehr feindselig eingestellt.
Verbreitung von Fake News und Unterdrückung von Fakten
Zu Beginn der Corona-Pandemie, als das Virus nur in China, Südkorea und Iran als ernstes Problem angesehen wurde, berichteten viele serbische Medien hauptsächlich sensationslüstern und verbreiteten viele Fake News und Verschwörungstheorien. Selbst als es dann im nahen Italien zu dem schweren Ausbruch kam, versuchten sowohl die Behörden als auch die Mainstream-Medien, den Ernst der Lage herunterzuspielen.
Sie gaben leichtfertigen Äußerungen von prominenten Ärzten und Mitgliedern des Pandemie-Krisenteams der Regierung Raum. So zitierten sie einen Facharzt, der auf einer Pressekonferenz das Coronavirus als „das lächerlichste Virus“ beschrieb und serbischen Frauen riet, in Italien einkaufen und auf Schnäppchenjagd zu gehen.
Die Medien verbreiteten auch Verschwörungstheorien, wie etwa die, der zufolge das Coronavirus „der Betrug des Jahrhunderts“ sei. Diese Story erschien am 7. März auf der Titelseite einer Boulevardzeitung, einen Tag nachdem Serbiens erster Fall von Covid-19 offiziell bestätigt worden war. Dazu muss man wissen, dass in Serbien mehrere Boulevardzeitungen im Rahmen eines Medien-Finanzierungsprogramms Geld aus dem Staatshaushalt erhalten – diese Regelung wirkt sich negativ auf die journalistische Ethik und die Medienfreiheit aus.
Am 15. März wurde der Ausnahmezustand verhängt, wodurch Präsident Aleksandar Vučić weitreichende Befugnisse erhielt, eine Reihe restriktiver Maßnahmen einzuführen, die die Ausbreitung des Virus stoppen sollen.
In der Zwischenzeit hatten unabhängige Medien in Serbien recherchiert, ob das Land auf den Ausbruch einer Epidemie vorbereitet war, ob es genügend Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte, Medikamente usw. gab. Die meisten Institutionen, denen im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes (FOIA) Anfragen gestellt worden waren, ignorierten diese. Regierungsbeamte antworten in Serbien sowieso nur noch auf Anfragen von regierungsnahen Medien.
Vor allem in Punkto Atemschutzgeräte weigerten sich die Behörden entweder, Informationen weiterzugeben oder lieferten nicht genügend Informationen, um Journalisten ein genaues Bild der tatsächlichen Lage zu ermöglichen. Präsident Vučić und Premierministerin Ana Brnabić bestanden darauf, dass solche Informationen „vertraulich“ seien und unter das „Staatsgeheimnis“ fielen.
Die serbischen Behörden nutzten die Situation, um auch andere FOIA-Anfragen nicht beantworten zu müssen – diese könnten erst nach Beendigung des Ausnahmezustands bearbeitet werden, hieß es.
All das bildete aber erst den Auftakt zu einer noch strengeren Kontrolle des Informationsflusses in Serbien.
Hartes Durchgreifen gegen die Medien
Am 29. März verabschiedete die serbische Regierung einen Erlass, mit dem zum einen gewährleistet werden sollte, dass Journalisten ihre Informationen nur noch zentralisiert vom Pandemie-Krisenteam der Regierung beziehen und zum anderen Journalisten die Botschaft vermittelt werden sollte, dass die Nutzung inoffizieller Quellen strafbar sei.
Es dauerte nicht lange, bis ein Journalist mit diesem Erlass in Konflikt geriet. Am 1. April veröffentlichte die Journalistin Ana Lalić auf der Nachrichtenwebsite Nova.rs einen Artikel über die schlechten Arbeitsbedingungen und den Mangel an Schutzausrüstung für das Personal eines Krankenhauses in Novi Sad, der Hauptstadt der nordserbischen Provinz Vojvodina. Wenige Stunden nach Erscheinen des Artikels erstattete das Gesundheitssekretariat der Provinz Strafanzeige, und kurz danach wurde Lalic verhaftet.
Die Polizei beschlagnahmte ihr Mobiltelefon und ihren Computer, und Lalić verbrachte eine Nacht in Haft. Sie wurde angeklagt, Panik und Unruhe verursacht zu haben. Der Vorfall löste einen internationalen Aufschrei aus, wobei der Europarat und verschiedene Medienfreiheitsorganisationen gegen die Festnahme von Lalić protestierten. Am 2. April entschuldigte sich Premierministerin Ana Brnabić für die Verabschiedung des Erlasses, der die Nutzung von Informationen aus inoffiziellen Quellen unter Strafe stellt, und versprach, ihn unverzüglich aufzuheben. Doch erst am 27. April wurde die Strafanzeige gegen Lalic fallen gelassen.
Sowohl die Verhängung des Ausnahmezustands als auch die Verabschiedung dieses Erlasses zur Kontrolle des Informationsflusses werfen ernsthafte Bedenken bezüglich der Medienfreiheit Serbiens auf – insbesondere angesichts der Tatsache, dass Präsident Vučić von 1998 bis 2000 den Posten des Informationsministers innehatte. In dieser Zeit, als Slobodan Milošević Präsident des damaligen Jugoslawiens war, unterlagen die Medien einer sehr restriktiven Gesetzgebung.
Im Jahr 1998 verhängte die Regierung ein strenges Informationsgesetz, das beinhaltete, dass diejenigen, die die Medien verklagten, ihre Behauptungen nicht beweisen mussten. Die Medien selbst hatten aber nur 24 Stunden Zeit, um Beweise für Aussagen vorzulegen, die sie in ihrer Berichterstattung getroffen hatten. Medienunternehmen, die den Fall verloren, mussten hohe Geldstrafen zahlen – in Folge dessen wurden viele mit enormen Schulden belastet und einige hatten keine andere Wahl als nachzugeben.
Im März 1999, als die NATO mit der Bombardierung Jugoslawiens begann, wurde eine strenge Zensur verhängt. Im darauffolgenden Monat wurde der prominente regierungskritische Journalist Slavko Ćuruvija vor seinem Wohnhaus ermordet. Erst 20 Jahre später, im April 2019, wurden vier ehemalige Staatssicherheitsbeamte für seine Ermordung verurteilt.
Pressekonferenzen ohne Presse
Von Mitte März bis Anfang Mai hielt die Regierung tägliche Pressekonferenzen über die Corona-Krise ab. Zwar durften zu Beginn theoretisch alle Journalisten an diesen Konferenzen teilnehmen – im Laufe der Zeit wurden aber immer mehr Beschränkungen eingeführt, um die Zahl der Anwesenden im Saal zu begrenzen.
Schließlich beschloss der Krisenstab am 10. April, Journalisten ganz von den Pressekonferenzen auszuschließen. Einer der angeführten Gründe war, dass sich einige Medienvertreter mit dem Virus infiziert hatten. Den Journalisten wurde mitgeteilt, dass sie ihre Fragen fortan im Voraus per E-Mail einreichen müssten.
Vom ersten Tag an traten Probleme auf: Von einigen Medien wurden die eingereichten Fragen ignoriert, während andere Medien im Voraus wussten, welche Regierungsvertreter wann anwesend sein würden. Es dauerte nicht lange, bis die meisten unabhängigen Medien ankündigten, dass sie keine Fragen mehr per E-Mail einreichen würden.
Ab 21. April durften Journalisten wieder an den Pressekonferenzen teilnehmen, und am 4. Mai wurden die täglichen Pressekonferenzen eingestellt. Am 6. Mai hob das Parlament den Ausnahmezustand auf.
Der Einfluss Chinas
Der Ausbruch von Covid-19 hat einen weiteren Trend aufgezeigt, der sich in Serbien seit Jahren verstärkt: der wachsende Einfluss Chinas (neben dem Russlands, der schon immer ausgeprägt war). Die Präsenz Chinas in Serbien – in Form von Investitionen, Darlehen, Überwachungskameras und Diplomatie – hat in den letzten Jahren zugenommen. Am selben Tag, an dem Präsident Vučić die Verhängung des Ausnahmezustands in Serbien ankündigte, erklärte er, dass „europäische Solidarität nicht existiert“ und lobte China für seine Hilfe.
Der öffentliche Rundfunksender Radio-Televizija Srbije (RTS) berichtete live über die Ankunft der medizinischen Hilfsgüter, Ausrüstung und Personal aus China in Serbien. Vučić hielt eine seiner Ansprachen an die Medien in Begleitung des chinesischen Botschafters in Serbien, Chen Bo, und des chinesischen medizinischen Personals, die dann von RTS und anderen Medien interviewt wurden. Serbische regierungsfreundliche Boulevardzeitungen nehmen eine äußerst positive Haltung gegenüber China ein, und auf ihren Titelseiten bringen sie regelmäßig Beiträge über China, das „einen Impfstoff nach Serbien schickt“.
Bot-Angriffe
Seit die Serbische Fortschrittspartei (SNS) 2012 an die Macht kam, setzt sie als Hauptinstrument zur Manipulation des Informationsflusses, der Medien und der öffentlichen Meinung Bots ein, sowohl auf Nachrichtenwebsites, wo sie Beiträge kommentieren oder sich mit den Kommentaren anderer Leute auseinandersetzen, als auch in sozialen Netzwerken, meist Twitter, wo sie regierungsfreundliche Inhalte und Reaktionen platzieren. In der Regel wird dabei der Präsident oder ein anderes Regierungsmitglied verherrlicht oder es werden Regierungskritiker und unabhängige Medien attackiert.
Am 2. April gab Twitter bekannt, dass es fast 9.000 Konten entfernt habe, die mithilfe von Bots die serbische Regierungspartei unterstützten.
Eine Analyse vom Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zeigt, dass Tweets von nur fünf der gelöschten Konten in Beiträge eingebettet waren, die von einigen regierungsfreundlichen Boulevardzeitungen mindestens 23 Mal veröffentlicht wurden, was darauf hindeutet, dass die Gesamtzahl innerhalb des Netzwerks in die Hunderte gehen könnte.
Obwohl die Konten von Twitter stillgelegt wurden, gibt es Anzeichen dafür, dass die Bots nicht besiegt wurden, sondern nun über andere Konten die Meinungsbildung manipulieren – und inmitten der Corona-Pandemie für die Linie der Regierung werben.
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