„Narrative“ sind bei Journalisten wie bei Politikern und PR-Experten beliebt, ähnlich wie das sogenannte „Framing“.
Beide stehen für die Kontextualisierung aktueller Informationen und Fakten aus einer – meist einseitigen und voreingenommen – Perspektive. Inzwischen ist oft auch von „Storytelling“ als vielsprechende Kommunikationsmethode die Rede, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, Deutungshoheit zu erlangen und Wirkung beim Wähler, Kunden oder Nutzer zu erzielen.
Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sind Narrative medienvermittelte Erzählungen mit identifizierbarem Anfang, Mittelteil und Ende, die Informationen über Handlungsorte, handelnde Charaktere und ungelöste Konflikte enthalten. Narrative enthalten unbeantwortete Fragen und bieten Problemlösungen an. So lautet jedenfalls die Arbeitsdefinition von Corinna Oschatz (Universität Koblenz-Landau) und Caroline Marker (Universität Würzburg), die sich mit der Wirkung solcher Erzählungen auf Einstellungen, Meinungen und Verhalten beschäftigt haben.*
In einer Meta-Analyse von insgesamt 14 experimentellen Studien mit vergleichbaren Fragestellungen und Methoden konnten sie bestätigen, dass Narrative insgesamt überzeugender auf die Meinung und Handlungsabsichten der Probanden wirken als vergleichbare, konventionelle Kommunikation in Form von schlichter Faktenpräsentation, von Argumenten und Erklärungen. Darüber hinaus konnten sie erstmals zeigen, dass diese stärkeren Effekte nicht nur kurzfristig wirkten, sondern auch bis zu sechs Monate nach der Nutzung narrativer Inhalte nachweisbar waren. Die Forscherinnen führen dies vor allem auf die stärkere Identifikation der Nutzer mit den Charakteren und Verknüpfung eigener Erfahrungen mit dem. was in den Erzählungen vorkommt, zurück.
Aus den Untersuchungsergebnissen kann man eine Menge für die Konzeption von Kampagnen und effektiven Meinungsjournalismus lernen. Im fakten- und ereignisbasierten Nachrichtenjournalismus sollten Narrative angesichts ihrer Wirkmächtigkeit dagegen nichts verloren haben – es sei denn, sie sind der Gegenstand der Berichterstattung.
* Corinna Oschatz, Caroline Marker, Long-term Persuasive Effects in Narrative Communication Research: A Meta-Analysis, Journal of Communication, Volume 70, Issue 4, August 2020, Pages 473–496, https://doi.org/10.1093/joc/jqaa017
Erstveröffentlichung: tagesspiegel.de vom 10. August 2020
Bildquelle: Pikist
Schlagwörter:Journalismus, Narrative, Storytelling