Neues Tool hilft Journalisten bei der Expertensuche

4. Februar 2021 • Ressorts • von

Die Suche nach Experten kann mühsam sein: Die Webapplikation ExpertExplorer soll Journalisten dabei unterstützen, sich in der wissenschaftlichen Expertenwelt zurechtzufinden. Sie liefert nach Eingabe eines Stichwortes eine Expertenliste, inklusive Kontaktdetails.

Die Startseite des ExpertExplorers

Wissenschaftliche Expertinnen und Experten sind gegenwärtig, zur Zeit der Corona-Pandemie, in der Medienberichterstattung so prominent vertreten, wie sie es vielleicht nie zuvor waren. Mehrere Studien, wie etwa die Pionierstudie von Goodell aus dem Jahr 1977, haben sich mit der Frage beschäftigt, ob Journalistinnen und Journalisten bei der Auswahl wissenschaftlicher Experten deren fachliche Expertise auch wirklich berücksichtigen. Auch eine aktuellere Analyse von Lehmkuhl und Leidecker-Sandmann, die die Expertenauswahl durch deutsche und US-amerikanische Medientitel untersucht, deutet darauf hin, dass es insbesondere außerhalb der Wissenschaftsressorts nach wie vor Probleme gibt, wissenschaftliche Experten zu recherchieren und zu finden, die auch zu den Themen forschen, zu denen sie sich äußern – selbst in renommierten Titeln wie der Süddeutschen Zeitung oder der Welt . Dies könnte auch daran liegen, dass es bisher keine einfachen Tools gibt, um diese Experten zu finden. Die Recherche fachlich ausgewiesener Experten stellt ein komplexes Recherche- und Auswahlproblem dar – allein schon die Frage, an welchem Kriterium sich die Journalisten orientieren sollten, um die fachliche Expertise einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers einschätzen zu können, ist nicht trivial.

Aus diesem Grund haben wir in einem Kooperationsprojekt zwischen der Freien Universität Berlin und dem Science Media Center (Köln) die Webapplikation ExpertExplorer entwickelt, die stichwortbasiert biomedizinische Experten findet und abhängig von der Zahl und dem Impact ihrer Veröffentlichungen gruppiert. Das Projekt wurde durch Mittel des BMBF im Rahmen des Förderprogramms „InfectControl 2020“ gefördert.

Die Begrenzung auf die Biomedizin erklärt sich durch die Architektur dieses Tools. Es ist über eine API mit der lizenzfreien Literaturdatenbank Pubmed Europe verknüpft, die im Wesentlichen beschränkt ist auf Publikationen aus den Lebenswissenschaften. Aus dieser Verknüpfung ergibt sich zugleich, dass diese Suchmaschine nur englisch versteht.

Das Grundprinzip des ExpertExplorers ist einfach: Er sammelt in einem ersten Schritt alle Publikationen aus Pubmed Europe ein, die im Titel oder im Abstract das eingegebene Suchwort enthalten. In einem zweiten Schritt extrahiert und sortiert er die Stichwörter, die genaueren Aufschluss darüber ermöglichen, worum es in den Publikationen geht. Und er extrahiert und gruppiert die Autorinnen und Autoren, so dass eine gerankte Liste von Akteuren auf dem Schirm des Anwenders erscheint.

Ergebnis einer Suchanfrage zum Thema Antibiotika-Resistenz. Wenn man den Suchbegriff antibiotic* resistan* eingibt, sammelt die Maschine sämtliche Publikationen ein, die entweder im Titel oder im Abstract zur Suchanfrage passen. Der Anwender bekommt zunächst eine – in diesem Fall – lange Liste mit Stichwörtern geliefert, die der Algorithmus aus den Publikationen extrahiert hat. Man kann nun im Wege des Drag and Drop einen oder mehrere dieser „tags“ auswählen und so seine Suche spezifizieren. Zum Beispiel wie in der Abbildung den tag „prevalence“. Die Maschine wählt in einem solchen Fall unter allen zwischengespeicherten Publikationen nur jene aus, die zum Stichwort „prevalence“ passen und zeigt auch nur die unter allen Experten an, die Aufsätze veröffentlicht haben, in denen es um Prävalenz geht, das sind in diesem Beispiel 736. Man hat jetzt zusätzlich die Möglichkeit, ein Land zu favorisieren, in diesem Beispiel haben wir Deutschland gewählt. Als Ergebnis enthält man eine Liste mit Expertinnen und Experten, die man gezielt anwählen kann, um weitere Informationen zu erhalten, etwa um ihre Publikationsliste zu sehen oder ihre E-Mail-Adresse.

Wir haben in der Entwicklungsphase die Treffergenauigkeit dieser Anwendung am Beispiel des Themengebietes „Antibiotika-Resistenz“ bestimmt. Geprüft wurde, ob die durch den ExpertExplorer identifizierten gut 3300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit auch tatsächlich einschlägige Forschungsarbeiten veröffentlicht haben. Für 203 Personen konnte das nicht bestätigt werden. Damit liegt die Präzision der Abfrage bei knapp 94 Prozent, d.h. auf 94 Prozent der Treffer dieses Tools traf das gesuchte Kriterium auch tatsächlich zu.

Eine Kernfunktion der Anwendung ist die Gruppierung der Autoren. Die werden abhängig von der Institution, für die sie tätig sind, Ländern zugeordnet. Wer also nur Experten aus Deutschland auswählt, bekommt Akteure auf den Schirm, die für eine deutsche Institution tätig sind oder waren, was nicht unbedingt bedeutet, dass diese Akteure Deutsche sind. Wichtiger ist aber die Gruppierung nach Relevanz. Der ExpertExplorer favorisiert solche Wissenschaftler, die in einer Autorenliste als erste oder als letzte genannt werden. Das führt dazu, dass selbst Akteure, die dutzende Male als zweit- oder drittgenannter auf einer Publikation verzeichnet sind, im Ranking nicht auftauchen. Darüber hinaus rankt der Algorithmus die Experten hinsichtlich des Impacts, den ihre Arbeiten bislang hatten, wobei nur jene Arbeiten in die Betrachtung einbezogen werden, die zuvor als thematisch einschlägig spezifiziert worden sind.

Das Flowchart illustriert, was die Maschine macht, nachdem ein Stichwort in die Suchmaske eingegeben worden ist.

Dieses Verfahren der Expertenextraktion ist damit optimiert auf eine ganz spezielle Form der Publikationskultur, die zwar in den Biowissenschaften verbreitet, gleichwohl aber nicht allein gültig ist. Denn es ist in den Biowissenschaften (und nicht nur dort) zwar üblich, dass der oder die Erstgenannte der- bzw. diejenige ist, der/die ein Forschungsergebnis letztlich hervorgebracht hat und dass der/die Letztgenannte als Chefin oder Chef einer Arbeitsgruppe vorsteht. Es gibt aber in den Biowissenschaften trotzdem eine nicht zu beziffernde Zahl von Publikationen, deren Autorenreihung dieser Logik nicht folgt. De facto führt der Algorithmus zu einem „verzerrten“ Abbild der Expertenwelt, die etwa Doktoranden oder Post-Docs (häufig die Erstautoren) und die Professoren (häufig die letztgenannten Autoren) begünstigt. Dies lässt sich dadurch rechtfertigen, dass insbesondere die Professorenschaft zu den favorisierten Quellen innerhalb des Journalismus gehört, weil das jene Gruppe ist, die am ehesten gewillt und in der Lage ist, über den Tellerrand einzelner Studienergebnisse hinauszublicken und Meinungen zum Forschungsstand zu äußern.

Eine Vorversion dieser Webapplikation, die noch relativ langsam war, wurde durch 12 Testnutzer ausprobiert, allesamt Wissenschaftsjournalisten, die für große Titel regelmäßig mit der Recherche von Experten befasst sind. Die Rückmeldungen der Testnutzer reichen von sehr positiven Aussagen wie „Also ich finde den Explorer toll. Ich nutze ihn für meine Arbeit. Das einzige Problem, das ich habe, ist, dass es etwas länger dauert…“. bis hin zu kritischeren wie „..die Idee finde ich großartig. Aber bei der Recherche geholfen hat mir der Explorer nicht“.

Zusammengenommen lassen sich die Erfahrungsberichte so deuten, dass dieses Tool zwar nützliche Dienste leisten kann, allerdings nicht jedes Problem löst, das Wissenschaftsjournalisten bei der Expertenauswahl haben. So ist der Explorer aus Sicht der Anwender eher nicht geeignet, wenn man noch nicht genau weiß, welchen Dreh eine Geschichte bekommen soll.

Letztlich dürfte aber die Haupthürde des ExpertExplorers in der Gruppe der Wissenschaftsjournalisten vor allem darin bestehen, sich gegenüber schon etablierten Routinen der Recherche als überlegen zu erweisen. Es gilt: Probieren geht über Studieren!

Der ExpertExplorer wird vom Science Media Center betrieben und ist unter http://webapp.expertexplorer.de/#/ zu erreichen.

 

Literatur

Goodell, R. (1977). The visible scientists. Boston, Toronto: Little, Brown & Co.

Lehmkuhl, M., & Leidecker-Sandmann, M. (2019). Visible scientists revisited: Zum Zusammenhang von wissenschaftlicher Reputation und öffentlicher Präsenz wissenschaftlicher Experten. Publizistik, 64, 479-502.

 

 

Bildquelle: pixabay.com

 

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