Erstveröffentlichung: Die Presse
Die Debatte schwelt: Print ist tot, es lebe Online? „Die Presse“ konfrontierte einen Medienberater, der Newsrooms und Medienlandschaften in Österreich wie international kennt, mit gängigen Klischees.
Andy Kaltenbrunner: In Österreich jedenfalls ist das noch Schimäre: Nicht einmal jeder zehnte Zeitungsjournalist publiziert auch für Web, Radio, TV. Wer aber z.B. die dänische „Nordjyske“ besucht, sieht dort, dass 90 Prozent der Journalisten wahlweise für Zeitung, Radio, Lokal-TV oder Online arbeiten können. „Nordjyske Medier“ hat der Wandel sieben Jahre gekostet: vom lokalen Print-Platzhirschen zum Multimedia-Haus. Wenn die Krise diesen Wandel jetzt aber als Spar- und Zuchtprogramm für eierlegende Wollmilchsäue des Journalismus missbraucht, geht das schief.
Was bleibt den Print-Titeln, die die Entwicklung verschlafen haben, sonst übrig?
Kaltenbrunner: Schnelle Nachricht und tägliche Analyse sind unabhängig von der Vertriebsform. Die Dichte entsteht aus der Vernetzung aller Formate, ob analog oder digital. Das bedeutet allerdings Blut, Schweiß, Tränen.
These 2: Das Zeitungssterben, das in den USA grassiert, wird sich über Europa ausbreiten.
Kaltenbrunner: Es ist wie mit der Schweinegrippe: eine Pandemie, die aber nicht immer mortal ist. Gesundheits- und Mediensysteme in den USA und Europa sind sehr unterschiedlich. Also: Wenn die angesehene „Rocky Mountain News“ stirbt, ist das für „Presse“, „Standard“ einmal eine Warnung.
Wie sieht diese „Warnung“ aus?
Kaltenbrunner: Deutsche Zeitungen kürzen derzeit massiv Stellen – da besetzen aber drei Mal so viele Journalisten eine Position wie hier. Unser Problem ist ein durch medienpolitische Regulierungsfeigheit ruinierter Medienmarkt. Andererseits haben wir viel Flexibilität und Geschick bei der Mängelverwaltung entwickelt. Das hilft bei der Immunisierung gegen das Print-Killervirus. Jetzt heißt es schneller, flexibler, crossmedialer werden. Einige wird es trotzdem erwischen.
Ist der (relativ gut dotierte) Journalisten-Kollektivvertrag an allem schuld?
Kaltenbrunner: Der Kollektivvertrag hätte in besseren Zeiten konsensual massiv verändert gehört. In Österreich haben wir jetzt eine Dreiklassengesellschaft: wenige Topverdiener, eine große Gruppe, die alle fünf Jahre automatisch zehn Prozent dazu bekommt – und ein publizistisches Prekariat. Berufsdefinitionen und Verträge bilden die Realität nicht mehr ab. Der KV ist also nur Ausdruck des verknöcherten Systems. Eine Aufkündigung löst jetzt aber keine Probleme.
These 3: Der Qualitätsjournalismus ist bald nicht mehr finanzierbar, höchstens in einem öffentlich-rechtlichen oder Stiftungs-Modell.
Kaltenbrunner: Öffentlich-rechtlich inklusive Stiftung haben wir bereits beim ORF, mit gehörigen Orientierungsproblemen. Im Print funktioniert das nicht. Medien-Stiftungsmodelle haben hierzulande keine Tradition.
Was also tun in schlechten Zeiten?
Kaltenbrunner: Wenn in Medien nichts in Verbesserung und Reflexion investiert wurde, sondern in guten Zeiten abgeschöpft und jetzt totgespart wird, verschwindet nicht der Qualitätsjournalismus, sondern nur seine Fata Morgana. Echte Qualitätsoasen bleiben bestehen und neue werden entstehen.
Wie schafft bzw. erhält man sich diese Oase?
Kaltenbrunner: Blicken wir nach Deutschland: Zielgruppentitel wie „Brand eins“ funktionieren. „Zeit“ und „Spiegel“ halten sich solide. Kuriose, aber attraktiv gemachte Erfindungen wie „Landlust“ steigern ihren Verkauf. Existenzängste haben jene, die weder eine mehrmediale Perspektive noch eine spezifische Qualität entwickelt haben.
These 4: Für Onlinezeitungen wird es auch weiterhin kein Geschäftsmodell geben.
Kaltenbrunner: Wenn Onlinemedien als Abbild eines Printproduktes verstanden werden: ja. Wer noch nicht versteht, dass konvergent gedacht werden muss, ist todgeweiht.
„Konvergent gedacht“ – wie ist das gemeint?
Kaltenbrunner: Arthur Ochs Sulzberger, Verleger der „New York Times“ (NYT), beschreibt das so: Es sei ihm „egal“, wenn die „Times“ demnächst nur mehr online erscheint. Das Publikum holt sich längst von jeder Plattform, was ihm passt. Die Medienmacher – Verleger wie Journalisten – sind aber extrem konservativ und würden sich am liebsten gar nicht bewegen. Nur: Der 1:1-Transfer von „Zeitung“ ins Internet funktioniert nicht. Onlinemedien müssten also traditionelle Tugenden wie Recherchequalität und Nachrichtenselektion in die digitale Welt übertragen – und dabei ganz anders kommunizieren.
D.h. von Usern generierte Inhalte, Bürgerjournalismus, personalisierte News anbieten?
Kaltenbrunner: Auf Bürgerjournalismus muss man sich unbedingt einlassen – aber mit Verständnis. Bloggern und Laien die Arbeitsweise der Profijournalisten aufzuzwingen, funktioniert nicht. In der „NYT“ gibt es jetzt z.B. einen „Social Media Editor“. In der skandinavischen Journalistenschule Update ist das Trainingsprogramm CAR besonders beliebt: Computer Assisted Research. Da werden soziale Netzwerke und Datenbanken im Web ausgewertet. Ein neues Zauberwort ist „digitale Transparenz“: Das Publikum nimmt virtuell an Redaktionskonferenzen teil, Quellen werden online deutlicher gekennzeichnet, Web-Leserbeiräte diskutieren Qualitätsstandards. Allerdings: Die Website der spanischen „El Mundo“ ist zwar prall voll mit multimedialem Content von Usern aus aller Welt. Der „El Mundo“-Newsroom ist drei Fußballfelder groß. Für Interaktives und Multimedia sind dann aber nur ein paar Spezialisten auf ein paar Quadratmetern zuständig.
Gibt es Beispiele im deutschen Sprachraum?
Kaltenbrunner: In Deutschland haben die Tageszeitungen die Entwicklung verschlafen: Diese Lücke hat der „Spiegel Online“ genützt. Er machte 2008 mit 100 Mitarbeitern immerhin schon vier Mio. Euro Gewinn.
These 5: Die „Content-Agentur“, die Audio-/Video-/Text-Inhalte innerhalb eines Multimedia-Verlagshauses verteilt, ist die Zukunft.
Kaltenbrunner: Mehrmediale Informationsverwertung ist sexy: Der „Daily Telegraph“ hat gerade spektakulär den Spesenskandal unter englischen Abgeordneten aufgedeckt. Die 20 damit befassten Journalisten saßen für Geheimrecherchen monatelang fernab des Multimedia-Newsrooms. Verkauft wird die Geschichte jetzt aber auf allen Plattformen, online, sogar als Buch. Der „Telegraph“ verkauft nun täglich fast 100.000 Zeitungen mehr als früher. Auch Konkurrent „Guardian“ hat eben einen mehrmedialen Newsroom in einem coolen Verlagshaus bezogen. Die machen jetzt z.B. ausgezeichnete Podcasts. Dort riecht man die Freude am Medienmachen.
These 6: Die BBC ist „State of the Art“ in Sachen öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Kaltenbrunner: Da ist vieles inzwischen Mythos. Die BBC ist die weltweit größte öffentlich-rechtliche Anstalt, hat allein 250 Onlineredakteure. Sie gilt aber auch als bürokratischer Großapparat. Wie lang das wohl noch gut geht? 3000 Jobs wurden gestrichen – vor der Wirtschaftskrise. Die Moderatoren-Honorare sollen um 40 Prozent gekürzt werden – kolportierte Gehaltsbasis sind aber bis zu 5,8 Mio. Euro im Jahr. Der angeblich vorbildliche crossmediale BBC-Newsroom ist in der Realität mehr Neben- als Miteinander. Allerdings: Das frühere „Board of Governors“ mit seinen zwölf Mitgliedern galt als unabhängig, weil diese mehr persönliche Reputation zu verlieren hatten, als sie durch politische Gefälligkeiten hätten gewinnen können. Auf wie viele der ORF-Stiftungsräte trifft das zu?
Weiteres zum Thema: García-Avilés, José/Meier, Klaus/Kaltenbrunner, Andy/Carvajal, Miguel/Kraus, Daniela (2009): Newsroom Integration in Austria, Spain and Germany: Models of Media Convergence. In: Journalism Practice 3/2009.)
Schlagwörter:Andy Kaltenbrunner, Medienhaus Wien, Newsroom, Online, Österreich, Print