Der hindunationalistischen indischen Regierungspartei Partei BJP wird nachgesagt, dass sie besonders teure und gut koordinierte Desinformationskampagnen durchführe. Allein im Bundesstaat Westbengalen gab sie zwischen dem 10. Februar und 10. Mai 2021 mehr als 280.000 US-Dollar für politische Facebook-Werbung aus. Dennoch haben es die Communities in den Social Media und die „No Vote to BJP“-Kampagne geschafft, sich gegen die Agenda der BJP zu stellen und das politische Narrativ zu beeinflussen.
Indien hat eine zutiefst polarisierte politische und mediale Landschaft. Sie wurde jüngst Zeuge des Aufstiegs einer überparteilichen, regionalen Bewegung, die im April die Regionalwahl im Bundesstaat Bengalen mit einer einfachen Wahlkampfbotschaft beeinflusste: „Wählt jede Partei außer der konservativen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi“. Die „No Vote to BJP“-Bewegung, die von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Kulturaktivisten angeführt wurde, hat ihr Ziel erreicht: die BJP verlor gegen die Partei Trinamul Congress, die dort seit 2011 an der Macht ist. Die BJP hatte in den vergangenen Jahren versucht, mit einer umstrittenen Politik, die Muslime diskriminieren und die Wähler entlang religiöser Linien polarisieren sollte, in Westbengalen, einem der wenigen Bundesstaaten, in denen sie noch nicht an der Macht ist, politisch Fuß zu fassen.
Man hatte erwartet, dass die hindunationalistische Regierungspartei mit ihren weitgehend gefügigen Mainstream-Medien und einem kolossalen Wahlbudget gewinnen würde. Doch die „No Vote to BJP“-Bewegung setzte ihr Humor, Parodie, Satire entgegen und erinnerte die 100 Millionen Menschen, die in Westbengalen leben und von denen etwa 27 Prozent einen muslimischen Hintergrund haben, an die politische und kulturelle Vergangenheit ihres Staats. Ihr Hauptinstrument: Musikvideos auf Bengalisch, die im Internet viral gingen und Millionen mal geklickt wurden.
Im Musikvideo „Prison Song“ wurden das Leiden und die Verfolgung unzähliger Bengalen im nordöstlichen Bundesstaat Assam thematisiert. Dort hatte die BJP-geführte Landesregierung 2018 ein Bürgerregister eingeführt und damit etwa 1,9 Millionen Menschen zu illegalen Einwanderern in ihrem eigenen Land erklärt, die beweisen mussten, dass ihre Familien schon vor der Staatsgründung des an Assam grenzenden Nachbarlandes Bangladesch im Jahr 1971 in Indien lebten – sonst drohte ihnen eine Abschiebung nach Bangladesch oder die Unterbringung in Internierungslagern.
Bessere Zeiten?
2014 hatte die BJP mit einer populären Kampagne gesiegt, die „achhe din“ – bessere Zeiten – versprach, es wurde zum Schlagwort für wirtschaftliche Entwicklung, das die wachsende Mittelschicht des Landes ansprach. Während in den letzten Jahren eine offenkundig hindunationalistische Agenda ihre einstige Wahlbotschaft überschattete, blieben in Westbengalen die wirtschaftliche Entwicklung und eine korruptionsfreie Regierungsführung Schlüsselthemen des BJP-Wahlkampfs. Das Musikvideo „Oh Geliebte, was sind ‚bessere Zeiten’?“, eine Parodie eines Liedes des bengalischen Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore, verspottete die einst beliebte Erzählung von „achhe din“ und zeigte auf, was die Menschen wirklich unter einer BJP-Regierung erwartete: Schmerz, Leid und den Verlust von Einkommen, Rechten und Freiheiten. In einem anderen Video tanzten junge Leute auf der Straße zu einem bengalischen Hit und machten auf Probleme wie steigende Arbeitslosigkeit, Preiserhöhungen bei lebenswichtigen Gütern wie Kochgas und eine sich verschlimmernde Wirtschaftskrise aufmerksam.
In einem weiteren Video trat eine Frau für die gleichberechtigte Rolle der Frau in der Gesellschaft ein. Mit Berichten unabhängiger Agenturen sollte der Berichterstattung der Mainstream-Medien entgegengewirkt und bewiesen werden, dass die Alphabetisierungsrate von Frauen in nicht von der BJP regierten Bundesstaaten höher ist und in diesen Regionen auch weniger Verbrechen an Frauen begangen wurden. Die Videos der Bewegung erzählten auch die persönlichen Geschichten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen – der sich abmühenden Jugend in den Vorstädten, der älteren Menschen mit dürftiger Rentenunterstützung und der Gelegenheitsarbeiter – die unter der unmenschlichen Politik der indischen Zentralregierung leiden. Bilder von sterbenden Bauern, die aus Medienberichten entnommen wurden, wurden denen von Premierminister Modi, der gerade Yoga praktiziert oder den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump umarmt, gegenübergestellt.
Ein anderes Musikvideo griff Gedichte, Lieder und Slogans von bengalischen kulturellen Ikonen auf, die sich als Anführer von Volksbewegungen für soziokulturelle Reformen eingesetzt hatten. In den Videos der „No Vote to BJP“-Bewegung tauchten auch immer wieder Bilder von landesweiten Protesten gegen die Staatsbürgerschaftspolitik der Zentralregierung auf, die vor ein paar Jahren stattgefunden hatten, um die Entschlossenheit der Menschen zu bekräftigen, die BJP in Westbengalen zu besiegen.
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Schlagwörter:BJP, Indien, Westbengalen, „No Vote to BJP“-Kampagne