Wie die Corona-Krise der Psyche von Journalisten schadet

28. Juni 2021 • Qualität & Ethik • von

Das EJO hat mit Journalistinnen und Journalisten über die Auswirkungen ihrer Berichterstattung zu Covid-19 auf ihre psychische Gesundheit gesprochen.

Endlose Stunden vor dem Computerbildschirm, eine kurze Mittagspause in der Küche ein paar Meter weiter, dann zurück zur Arbeit, bis die Sonne untergeht und man ins Bett geht, nur um Tag für Tag die gleiche Routine zu wiederholen – höchstens unterbrochen von einem kurzen Spaziergang im Freien, um den Geist zu beruhigen.

Das Steigen der Infektionsraten auf der ganzen Welt hinterlässt ein andauerndes Gefühl des Grauens. Vielleicht ist man ganz allein, vielleicht hat man einen Partner, der einen tröstet, oder Kinder, die einem auf den Schoß krabbeln und einen zu beschwichtigen versuchen.

Nach mehr als einem Jahr Leben mit einer Pandemie, die die Welt lahmgelegt hat, sind dies nur allzu bekannte Szenarien. Und während in vielen Ländern Lockdowns allmählich aufgehoben werden, wächst die Besorgnis über eine drohende psychische Krise, die durch ein Jahr der Massenisolation, Unsicherheit und endlosen Angst ausgelöst wird.

Journalistinnen und Journalisten sind besonders anfällig für die Auswirkungen dessen, was die Psychologin Esther Perel als „psychosoziale Katastrophe“ bezeichnet hat. Perel bezieht sich dabei auf das kollektive Trauma, das aus den Sorgen, der Einsamkeit und der Trauer resultiert, die durch die Fremdartigkeit des Alltags und der Arbeit an einem einzigen Ort verstärkt werden.

Perel sprach über diese Probleme im Podcast „Breaking news has broken us“, in dem sie betonte, dass Journalisten es besonders schwer haben, Ruhe und Unterstützung zu finden. „Redaktionen befinden sich in einem Zustand der Trauer und haben im letzten Jahr enorme Verluste erlitten. Sie befinden sich in einem Zustand des kollektiven Traumas, und die Journalisten sind erschöpft”, sagt sie. „Sie sind Teil der Geschichte, über die sie berichten.“

Die Pandemie-Blase

Perel ist nicht die Einzige, die auf diese Herausforderung hinweist. Immer mehr Journalisten klagen über Burnout und ernsthafte psychische Probleme und plädieren für mehr Unterstützung am Arbeitsplatz – darunter auch John Crowley, ein Journalist mit über 20 Jahren Berufserfahrung und Mitautor des Berichts „Journalism in the time of Covid“, in dem Erfahrungen von 130 Journalisten aus aller Welt während der Corona-Pandemie zusammengetragen wurden. Alle berichteten, sich gestresst und ausgebrannt zu fühlen.

„Viele der Journalisten, mit denen ich sprach, hatten das Gefühl, sich in einer ‚Pandemie-Blase’ zu befinden. Viele hatten das Gefühl, dass es schwierig war, den unaufhörlichen schlechten Nachrichten zu entkommen, über die sie berichten sollten“, sagte er dem European Journalism Observatory (EJO). „Die Journalisten sprachen zwar mit Menschen, aber niemand hat sich nach ihrem Befinden erkundigt“, fügte er hinzu.

Diese Beschwerde äußerten im Gespräch mit dem EJO viele der Journalisten, die aufgrund der Corona-Pandemie mit ihrer psychischen Gesundheit zu kämpfen haben.

„Die Journalisten haben im vergangenen Jahr extrem hart gearbeitet, mit unterschiedlichem Maß an persönlicher Gefährdung. Aber die Pandemie hing über uns allen und es gab kein Entrinnen”, sagt eine Zeitungsjournalistin, die von Asien aus über die Pandemie berichtete.

„Ich empfand die Tatsache, dass sich das Virus in Wellen um die Welt bewegte, als eine Art Zeitlupen-Crash. Von Asien aus konnte ich sehen, dass das Virus unweigerlich nach Europa und in die USA gelangen würde, aber diese Länder handelten nicht, schlossen weder die Grenzen noch führten sie bei den Bürgern Temperaturmessungen durch. Ein Freund in Großbritannien schickte mir Masken, und ich riet meiner Familie, Desinfektionstücher zu kaufen, um sich vorzubereiten. Mein Freund hatte sich vorbereitet, aber die meisten Leute hatten keine Ahnung“, sagt sie.

Ihre Herausforderungen wurden durch die Einstellungen am Arbeitsplatz verschlimmert. Sie gaben ihr das Gefühl, nicht unterstützt, dafür unterbewertet zu werden. Sie glaubt, dass die „Macho-Kultur“ des Journalismus teilweise schuld daran sei.

„Die Personalabteilung schickte eine Reihe von E-Mails mit Tipps herum. Aber einer davon war, abzuschalten und die Nachrichten zu meiden, was als Journalistin, die über die Pandemie berichtet, unmöglich ist. In unserer Redaktion herrscht die Einstellung, dass wir uns auf die spannenden Geschichten stürzen und uns später, wenn überhaupt, mit den Folgen beschäftigen sollten. Egal wie traumatisch sie sein mögen“, sagt sie und fügt hinzu, dass sie das Gefühl habe, dass die stressigen Auswirkungen heruntergespielt würden.

„Meine Redakteure wiesen die Vorstellung zurück, dass das ständige Ausschauhalten nach Nachrichten über das Virus und seine verschiedenen Auswirkungen irgendeine Auswirkung auf mich haben könnten, und mir wurde gesagt, dass es Impfstoffe und auch gute Nachrichten gebe, es sei also nicht alles deprimierend“, erzählt sie.

Sie führt einen Großteil der Gedankenlosigkeit des Managements auf die männlich dominierte Kultur in ihrer Redaktion zurück und beklagt sich auch darüber, dass das Virus oft als eine triviale Angelegenheit behandelt wurde. „Ich glaube tatsächlich, dass unsere männlichen Kollegen sich nicht so oft die Hände waschen, was dazu führte, dass ich das Büro meiden wollte“, fügt sie hinzu.

Maximale Katastrophe

Der Journalist John Crowley hat auch das Gefühl, dass die überholte Macho-Kultur des Journalismus zu der psychischen Krise beigetragen habe, in der sich viele Journalisten nun befinden. Sie seien zermürbt von einem Jahr der Covid-19-Berichterstattung und geschädigt von einer Vielzahl begleitender struktureller und gesellschaftlicher Probleme, die die Branche heimsuchen.

„Journalisten haben sich im letzten Jahrzehnt inmitten einer maximalen Katastrophe wiedergefunden. Scheiternde Geschäftsmodelle, unsichere Arbeitsplätze, Traumata, Desinformation, Online-Belästigung und der Druck, ständig ‚on‘ zu sein, haben ihren Tribut gefordert. Und dann kam die Pandemie. Das sind branchenweite Probleme, die sich nur noch weiter verschärfen werden. Irgendetwas muss passieren“, sagt er.

Die Scheuklappen der Medien im Umgang mit den Symptomen von Stress und Trauma sind sicherlich nicht hilfreich, fügt er hinzu. Redaktionen auf der ganzen Welt würden den Kopf in den Sand stecken, wenn es darum ginge, eine drohende Krise der psychischen Gesundheit zu bewältigen.

„Redaktionen neigen dazu, unglaublich machohaft zu sein. Das liegt daran, dass viele von ihnen immer noch von weißen Männern mittleren Alters geleitet werden, die ihr Handwerk gelernt haben, indem sie ‚harte Arbeit’ geleistet haben. Dazu gehörte wahrscheinlich, dass sie schikaniert und schlecht behandelt wurden und dass von ihnen erwartet wurde, Überstunden zu machen. Sie können nun gut verstehen, warum einige denken: ‚Wenn ich so gelernt habe, dann sollten neue Mitarbeiter das auch tun. Das wird sie abhärten.’ Was ich sagen würde, ist: Schauen Sie sich um. Die Welt verändert sich.”

Crowley fügt hinzu, dass die jüngere Generation inzwischen besser über psychische Gesundheit Bescheid wisse und ihre Bedürfnisse besser artikulieren könne, was bedeute, dass sie sich die Behandlung, die seine Generation habe ertragen müsse, viel weniger gefallen lassen werde.

„Wir können nicht unendlich lange auf diese Weise weitermachen. Um eine Veränderung herbeizuführen, müssen wir dafür sorgen, dass unsere Stimmen gehört werden. Wenn das bedeutet, laut zu sein, dann soll es so sein“, sagt er.

Ein Marathon ohne Ziellinie

Wie Crowley beschrieb, ist der Stress der Pandemie nur die Spitze des Eisbergs, denn viele Journalisten haben bereits mit den Auswirkungen früherer Erfahrungen mit traumatisierenden Ereignissen in der Berichterstattung zu kämpfen.

Einer von ihnen ist Jarrod Watt, ein erfahrener australischer Reporter, der derzeit als Specialist Digital Editor bei der South China Morning Post in Hongkong arbeitet. Er berichtet über die Pandemie, während er gleichzeitig mit den Erfahrungen der Berichterstattung über die erschütternden Unruhen des letzten Jahres in Hongkong zu kämpfen hat – ganz zu schweigen von der Bewältigung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die bei ihm durch die Berichterstattung über die Buschfeuer jeden Sommer für die Australian Broadcast Corporation ausgelöst wurde.

„Ich habe mehr als ein Jahrzehnt damit verbracht, über die Buschfeuer zu berichten und die Berichterstattung zu koordinieren, und ich habe Jahre damit verbracht, mit der PTBS umzugehen, die dadurch entstand, dass ich jeden Sommer vier Monate lang in ständiger Alarmbereitschaft war und ständig Karten und Wettermeldungen nach möglichen Bedrohungen für Städte und Gemeinden durchsucht habe“, sagte er dem EJO.

„Der einst jährliche Sprint wurde durch einen Marathon ohne klare Ziellinie ersetzt, und es war eine ganz neue Herausforderung, jeden Tag durch die Nachrichten-Feeds zu scrollen, die Fehlinformationen auf Social Media zu verfolgen, zu beobachten, wie die Dinge im Heimatland meines Partners wirklich schlimm wurden, und zu sehen, wie meine Freunde und Familie in Melbourne einen sehr intensiven Lockdown durchmachten“, sagt er.

„PTBS bei Journalisten wird als nicht existent angesehen, es sei denn, man war in einem Krieg. Aber es existiert“, sagt er. „Ich habe gesehen, wie im Jahr 2019 so viele großartige junge Journalisten in Hongkong einfach am Ende ihrer Kräfte waren und das Geschäft verlassen haben“, fügt er hinzu. Diejenigen, die dabeigeblieben sind, um über Covid-19 zu berichten, so wie Watt, müssen sich nun auch mit dem Erbe der Ereignisse des letzten Jahres und dem schockierenden Ausmaß an Brutalität auf den Straßen auseinandersetzen, die bis dahin mit zu den sichersten der Welt zählten.

Eine junge Reporterin aus Hongkong leidet immer noch unter dem, was sie als eine ausgedehnte Trauerphase beschrieb, nachdem sie über die Proteste im Auftrag eines „alternativen Online-Mediums“ berichtet hatte, das weder Training noch Schutzausrüstung für die feindliche Umgebung zur Verfügung stellte. Als zweisprachige Journalistin sah sie sich mit viel zu viel Arbeit und viel zu wenig Unterstützung konfrontiert – eine Konstellation, die auch lokalen Journalisten nicht fremd ist.

„Ein Teil des Problems war, dass es sich um ein kleines Medium handelte und der Chef nicht erwartete, dass ich so ausführlich über die Proteste berichte, aber zugleich war da auch die Annahme, dass man, wenn man jung ist und berichten will, die Arbeit allein wegen der Erfahrung macht… Dass ich die einzige Person im Büro war, die Kantonesisch sprach und die Hauptlast der Berichterstattung trug, und dass ich wirklich ausgebrannt war, das war, glaube ich, meinen Chefs damals gar nicht wirklich bewusst“, fügte sie hinzu.

Die hohe Arbeitsbelastung und der Stress sorgten bei der Journalistin für zunehmende Erschöpfung – bis sie in einem öffentlichen Verkehrsmittel ohnmächtig wurde. Sie ist dann zu einer größeren Organisation gewechselt, wo sie jetzt über Nachrichten aus aller Welt berichtet. Aber ihre Erinnerungen an die Unruhen des letzten Jahres verfolgen sie immer noch.

„Bei der Arbeit beschäftige ich mich jetzt hauptsächlich mit internationalen Nachrichten, aber hin und wieder ertappe ich mich dabei, wie ich an meinem Schreibtisch sitze und weine, wenn ich mir internationale Nachrichtensendungen anhöre und nur das Geräusch von Tränengas zu hören ist.”

Genug ist genug

Die Frage ist nun, welche Schritte unternommen werden können, um Traumata in Nachrichtenredaktionen zu bekämpfen und eine Umgebung zu schaffen, in der sich Talente in einem sicheren Umfeld entfalten können.

Perel schlägt im Podcast vor, Trauma nicht mehr als eine Erfahrung zu betrachten, die ein Einzelner bewältigen muss, sondern unterstützende Beziehungen innerhalb und außerhalb der Arbeit zu stärken.

„Wir hören viel über Meditation und Achtsamkeit, während es bei einem kollektiven Trauma vor allem darum geht, die Ressourcen anderer Menschen anzuzapfen”, sagt sie. In der Tat betonten alle vom EJO befragten Journalistinnen und Journalisten, wie wichtig es sei, sich an Freunde, Familie und Partner zu wenden, um Unterstützung zu erhalten.

Für Crowley liegt die Verantwortung bei den Redaktionsleitern. Sie sollten sich besser um ihre Reporterinnen und Reporter kümmern und sicherstellen, dass ihr Wohlbefinden Priorität habe. „Redaktionsleiter und Management müssen die Verantwortung für das Problem übernehmen. Ja, es gibt bemerkenswerte Ausnahmen, in denen aufgeklärte Nachrichtenunternehmen an das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter denken. Aber generell werden eher die Köpfe in den Sand gesteckt“, sagt der Journalist.

„Genug ist genug“, so Crowley. „Es ist an der Zeit, dass die Branche eine Bestandsaufnahme macht und auf ihre wertvollste Ressource hört – ihre Mitarbeiter. Man kann dem Journalismus vorwerfen, dass er es in den letzten zwei Jahrzehnten versäumt hat, sich an das Internet und die veränderten Nutzungsgewohnheiten anzupassen. Lassen Sie uns nicht den gleichen Fehler bei unserer Arbeitskultur machen.“

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.

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