Das kroatische Mediensystem ist vulnerabel und laut Wissenschaftlern besonders anfällig für Korruption und Einflüsse von außen. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vertrauen weniger Menschen als den privaten Sendern.
In einem Taxi in Kroatiens Hauptstadt Zagreb.
„Haben Sie eine Lieblingszeitung?“
Der Fahrer lacht.
„Oder lesen Sie keine Zeitung?“
Er spricht deutsch. „Doch, tue ich. Aber die sind nicht objektiv.”
EJO: Wie ist es um das Medienvertrauen in Kroatien bestellt und gibt es bestimmte Gruppen, die den Medien besonders stark oder besonders wenig vertrauen?
Prof. Dr. Gordana Vilović: Die Taxi-Szene, die sie beschreiben, ist bezeichnend. Die kroatischen Zeitungen kämpfen um Leser; ihre Auflagen schrumpfen stetig und die Corona-Pandemie hat diese ganze Situation noch verschlechtert.
Die junge Generation liest kaum Zeitung. Ein Beispiel aus erster Hand: Von hundert Journalismus-Studenten im ersten Semester gaben nur acht an, dass sie dann und wann Zeitung lesen. Die Menschen in Kroatien lesen immer seltener Zeitungen, nicht weil diese nicht objektiv, fair oder ehrlich berichten, sondern weil sich die meisten Menschen bereits digitalen Medien und sozialen Medien zugewandt haben.
Beim Vertrauen kroatischer Bürger in verschiedene Berufsgruppen liegen Journalisten etwa in der Mitte der Skala. Das größte Vertrauen genießen Mediziner und Ärzte, auf dem letzten Platz liegen Politiker. Das ist das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2020, durchgeführt von Prof. Dr. Igor Kanižaj und Prof. Dr. Tena Perišin von der Universität Zagreb.
Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben: Ich denke, dass der Begriff „Objektivität“ nicht mehr passend ist, nicht nur in Kroatien, sondern überall auf der Welt. Ein Reporter, der ja auch nur ein Mensch ist, kann nicht absolut objektiv sein. Wir leben in einer Welt, in der wir mit Nachrichten überhäuft werden: Es ist nicht leicht, sich ein tatsächliches Bild von all dem zu machen, was auf der Welt passiert.
An der Ampel. Der Fahrer greift nach seinem Handy und öffnet BILD.de.
„Das lese ich, weil die viel zum Ukraine-Krieg schreiben.“
EJO: Gibt es in Kroatien Medien, die besonders sensationalistisch berichten, und wenn ja, wie schätzen Sie deren Bedeutung und Einfluss ein?
Vilović: Die meisten kroatischen Zeitungen haben einen Hang zum Sensationalistischen. Einige von ihnen sind eher liberal, andere konservativ, manche national, andere lokal. Nur „24sata“ ist eine reine Boulevardzeitung. Sie hat eine recht gute Auflage und sie ist die günstigste Zeitung. „24sata“ wird insbesondere von älteren Menschen gelesen. Online gehört sie zu den erfolgreichsten Medien. Die Artikel sind kurz und die Schlagzeilen einprägsam. Das macht die Zeitung beliebt. Sie hat keinen hervorgehobenen politischen Einfluss, aber im Vergleich zu anderen Zeitungen ist „24sata“ ein durchaus erfolgreiches Medium.
Ein Blick aus dem Fenster des Taxis offenbart Zagrebs post-sozialistisches Stadtbild: grauer Brutalismus aus der Zeit, als das Land noch ein Teil Jugoslawiens war. Ob der Sozialismus auch Spuren im Mediensystem hinterlassen hat, beispielsweise in Form oligarchischer Eigentümerstrukturen?
EJO: In einigen postsozialistischen Ländern (z. B. Ukraine, Ungarn) beobachten wir monopolistisch-oligarchische Strukturen auf dem Medienmarkt. Wie pluralistisch ist die kroatische Medienlandschaft?
Vilović: Es gibt durchaus monopolistische Strukturen auf dem kroatischen Medienmarkt. Die Besitzverhältnisse sind seit jeher fragwürdig. Wir haben in den letzten zwanzig Jahren mehrere Untersuchungen durchgeführt und dabei auch den ein oder anderen Skandal ausgelöst, dennoch liegen noch immer nicht alle Daten über Eigentümer und Firmengeflechte vor.
Redakteure sind nicht mehr nur Redakteure, sondern Diener der Medieneigentümer, die mit hochrangigen Personen in Wirtschaft, Politik oder anderen elitären Gruppen bekannt sind, fürchte ich. Wir können das an den Medieninhalten sehen. Und jene unabhängigen Zeitungen und Nachrichtenportale, die den Mut haben, zu Korruption und Intransparenz zu recherchieren und ein Zeichen für Medienpluralismus zu setzen, haben wirtschaftlich betrachtet leider kaum eine Überlebenschance.
EJO: Laut einem Reporter von HRT gelangen mehr und mehr kroatische Medienunternehmen in ausländisches Eigentum. Ist das Ihrer Ansicht nach eine positive oder eine negative Entwicklung?
Vilović: Diese ausländischen Medienunternehmen sind nicht nach Kroatien gekommen, um seriösen Journalismus zu machen, sondern in erster Linie für den Profit. Mit seriösen Medien kann man kein Geld verdienen, nicht in Kroatien. Diese Entwicklung überrascht also kaum.
EJO: Wie steht es um die lokalen Zeitungen und Radiosender in Kroatien? Schätzen die Menschen lokale Nachrichten? Sind sie bereit, dafür zu bezahlen? Oder ist der lokale Medienmarkt – wie in Deutschland – rückläufig?
Vilović: In kleineren Städten in Kroatien gibt es lokale Zeitungen, die aber zu den größeren nationalen oder regionalen Medienunternehmen gehören. Die Auflagen schrumpfen von Jahr zu Jahr. Das Radio ist immer noch ein wichtiges Medium, und es gibt viele lokale Sender in Kroatien, aber sie sind nicht auf die Produktion von Nachrichten ausgerichtet. Der Großteil ist Musik.
EJO: In Deutschland sind einige Menschen sehr kritisch gegenüber dem Rundfunkbeitrag. In Frankreich will Macron sie abschaffen. Wie blicken die Menschen hier in Kroatien auf die Gebühr für die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt HRT?
Vilović: Ich bin kein großer Fan von HRT, weil das Politikressort die Regierungspartei in vielerlei Hinsicht unterstützt. Wir brauchen mehr kritische Berichterstattung über die Regierung. Ich weiß, dass manche öffentlich-rechtliche Medien in anderen Ländern Europas ebenso die Politik des Staates unterstützen, aber hier in Kroatien ist das schon sehr stark ausgeprägt.
Ich weiß nicht, wie hoch der Prozentsatz jener ist, die nicht bereit sind, jeden Monat den Rundfunk-Beitrag von achtzig Kuna [Anm. d. Red.: ca. 11 Euro] an HRT zu zahlen. Die Debatte um dieses Geld dauert jedenfalls an. Nicht alle sind einverstanden.
Zur Person
Dr. Gordana Vilović ist Professorin für Medienwissenschaften an der Fakultät für Politologie der Universität Zagreb. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Ethik des Journalismus.
Literatur
Center for Media Pluralism and Media Freedom (2016). Croatia. https://cmpf.eui.eu/media-pluralism-monitor/mpm-2016-results/croatia/
Reuters Institute for the Study of Journalism (2021). Digital News Report 2021. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2022
Reuters Institute for the Study of Journalism (2022). Digital News Report 2021. https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2021
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