Druck auf tschechische Medien: Alte Tendenzen zeigen sich bis heute

20. Oktober 2023 • Aktuelle Beiträge, MediaDelCom • von

Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.

Bildquelle: Wikimedia Commons

von Charlotte Groß-Hohnacker, Tom Manzelmann und Carlotta Vogelpohl

Im Jahr 2022 konnte die Tschechische Republik in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen um 20 Plätze nach oben klettern, bis 2023 dann erneut um vier, und liegt derzeit auf Rang 14. Dennoch steht das tschechische Mediensystem vor zahlreichen Herausforderungen, um diese positive Entwicklung fortsetzen zu können.

In den letzten Jahren hatten die tschechischen Medien und die tschechischen Medienschaffenden mit zahlreichen Problemen im Zusammenhang mit der Pressefreiheit zu kämpfen. Unter anderem verspottete der tschechische Präsident Milos Zeeman öffentlich Journalist:innen und der SDP-Vorsitzenden Tomio Okamura plante, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verstaatlichen.  Auch die Eigentumsstruktur der Medien erschwert die Situation: Viele Medien sind im Besitz wohlhabender Geschäftsleute, darunter Andrej Babis, der frühere Ministerpräsident der Tschechischen Republik.  Daher wird das Land, das einst eine führende Rolle in Sachen Pressefreiheit einnahm, in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen für die Jahre 2019 bis 2021 nur auf Platz 40 geführt. Wie eng die Verbindung von Politik und Medien teils waren zeigte sich unter anderem dadurch, dass öffentlich-rechtliche Journalist:innen nach der Veröffentlichung einer kritischen investigativen Recherche über Babis vom Rundfunkdirektor gerügt wurden.

Seit dem Rücktritt von Babis Ende 2021 ist Tschechien in der Rangliste kontinuierlich aufgestiegen. Bedingt durch die Geschichte des Landes und aktuelle Ereignisse bleiben verschiedene Herausforderungen allerdings bestehen, darunter auch Risiken in Bezug auf staatliche Einflussnahme.

Diese kritischen Punkte wurden im Rahmen des von der EU finanzierten Forschungsprojekts Mediadelcom identifiziert, in dem es sich Forscher:innen zur Aufgabe gemacht haben, Risiken und Chancen für die Medien in 17 teilnehmenden EU-Ländern zu ermitteln. Für die Tschechische Republik untersuchten die Forscher:innen 709 Dokumente, darunter veröffentlichte Fachtexte, studentische Arbeiten (Bachelorarbeiten, Dissertationen usw.) sowie Daten von Medienunternehmen und Nichtregierungsorganisationen.

Mangel an Selbstregulierung

Eine der Hauptschwächen des Mediensystems ist die lückenhafte Anwendung ethischer Regeln, ebenso wie der Wille zur Selbstregulierung. Diese Tendenz wurde vor allem durch die Entwicklungen nach der Samtenen Revolution beeinflusst. Im Jahr 1990 wurden Strukturen für eine freie Presse mit der Anpassung an marktwirtschaftliche Prinzipien eingeführt. Vor allem ausländische Investoren, darunter der Ringier-Axel-Springer-Verlag und die Verlagsgruppe Passau, ermöglichten die Entwicklung hin zu einem pluralistischen Medienmarkt, der mehr finanzielle und technologische Entfaltungsmöglichkeiten bot. Doch mit der Privatisierung der Medien und dem vielseitigen Wachstum des Marktes konnten sich Verfahren zur Medienregulierung, die auch die Einhaltung ethischer Normen kontrollieren würden, noch nicht vollständig ausbilden. Eher im Gegenteil: Jegliche Form der Regulierung des Berufsstandes wurde als unvereinbar mit der Idee einer freien Presse angesehen.

Darüber hinaus sahen Journalist:innen keine Notwendigkeit, sich über einen professionellen Verband zu organisieren, da der Beruf in den 90er Jahren ein hohes Ansehen genoss. Es war einfach, einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu finden – Bedingungen, die heute aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr gegeben sind.

Heute haben verschiedene Medienunternehmen eigene Ethikrichtlinien angenommen, aber es gibt keinen allgemeingültigen Ethikkodex, der von der Mehrheit der Medien akzeptiert wird. Die Diskussion über die Notwendigkeit bindender Vereinbarungen zur Medienethik wurde wieder neu entfacht, weshalb in den letzten Jahren neue Institutionen für Medienethik entstanden sind. Dennoch können sie das jahrelange Fehlen einer professionellen medienethischen Organisation nicht kompensieren. Auch Diskussionen über die Einführung eines Presserats haben keine breite Unterstützung gefunden.

Das Fehlen einer effektiv angewandten Medienethik wirkt sich auf die Vorstellungen über die Rolle von Journalist:innen aus – sei es die Etablierung normativer Rollenmodelle durch nicht-staatliche Institutionen oder solche durch das Gesetz. Daher beschreiben die Forscher:innen in der Mediadelcom-Studie die Rolle der Journalist:innen als fragil. Das Fehlen professioneller Insitutionen, die sich mit Fragen von Journalist:innen oder Rezipient:innen befassen, ist das größte Problem der Medienethik in der Tschechischen Republik.

Oligarchisierung der Presse

Fast 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erlebten die tschechischen Medien einen weiteren radikalen Einschnitt. Die Finanzkrise von 2008 brachte radikalen Wandel. Die ausländischen Investoren, die den Wandel des Mediensystems zu einem privaten und pluralistischen System vorangetrieben hatten, zogen sich aus dem tschechischen Markt zurück. In den folgenden Jahren änderte sich die Eigentümerstruktur grundlegend. Die meisten Medien wurden in nationale Hände zurückgegeben, vor allem aber in die Hände von Geschäftsleuten. So erwarb Andrej Babis im Jahr 2013 das Medienhaus Mafra, das die beiden größten Tageszeitungen des Landes herausgibt. Aber auch viele andere Unternehmer:innen, wie Zdeňek Bakala, der Eigentümer mehrerer Kohleminen, besitzen nun Medienunternehmen.

Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und das International Press Institute haben die Konzentration der Medien in den Händen reicher Geschäftsleute kritisiert. Sie sagen, dass die Eigentümer versuchen, die Medien zu nutzen, um ihren Einfluss auszuweiten und sich durch parteiische Berichterstattung politische Vorteile zu verschaffen.

Populismus und Polarisierung auf dem Vormarsch

Als Reaktion auf die neuen Eigentümerstrukturen haben viele Journalist:innen betroffene Medienhäuser verlassen. Es haben sich aber auch neue journalistische Unternehmen etabliert, die das Ziel eines unabhängigen Journalismus verfolgen. Dennoch wird weiterhin Druck auf das junge Mediensystem ausgeübt: Seit 2010 ist der Populismus auf dem Vormarsch, und der von ihm ausgehende Druck kann als wesentlicher Faktor für die neuesten Entwicklungen der Medien gesehen werden. Die Journalist:innen kämpfen damit, mit den gesellschaftlichen Entwicklungen hin zu verstärkter Polarisierung Schritt zu halten, die mit dem zunehmenden Populismus einhergehen.

Weitere Informationen zum Mediadelcom-Projekt gibt es hier.

Alle bereits veröffentlichten Beiträge zum Projekt finden Sie hier.

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