Zwei Jahre nach der Invasion: Die Situation der ukrainischen Medien

22. Februar 2024 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Pressefreiheit • von

Journalist:innen filmen Volodymyr Selenskyi während dessen Besuch in Bucha 2022. Bildquelle: Wikimedia Commons

Der Beginn der umfassenden russischen Invasion in der Ukraine hatte verheerende Auswirkungen auf die ukrainischen Medien. Ein Blick auf die Situation der Medienlandschaft zwei Jahre nach dem Beginn des Angriffskriegs.

Im Rahmen des russischen Besatzungsplans wurden lokale ukrainische Medien gezielt angegriffen, um die Kontrolle über sie zu übernehmen und Radio- und Fernsehsendungen durch russische Signale zu ersetzen. Im Jahr 2022 fielen Teile der Regionen Kiew, Charkiw, Saporischschja, Cherson, Donezk und Luhansk unter russische Besatzung, einschließlich der lokalen Medien und ihrer Mitarbeiter.

Journalist:innen waren in den besetzten Gebieten großen Gefahren ausgesetzt, so dass viele von ihnen ihre Identität und ihren Beruf verheimlichten, um sich in Sicherheit bringen zu können. Diejenigen, die zurückblieben, waren der Verfolgung, Entführung und Inhaftierung durch die Besatzungstruppen ausgesetzt. Im März 2022 griffen russische Truppen Fernsehtürme in Kiew, Charkiw und Lyssytschansk an, wobei fünf Menschen ums Leben kamen und der Sendebetrieb vorübergehend unterbrochen wurde. Bis heute sind 70 Journalist:innen ums Leben gekommen, 10 während ihrer Berichterstattung und 60 im Kampf, durch russischen Beschuss oder Folter.

Die ukrainische Wirtschaft ist im März 2022 um 45 % eingebrochen. Die Besatzungstruppen zerstörten oder beschädigten zahlreiche große Industrieanlagen, und ohne den üblichen Zugang zum Schwarzen Meer konnte die Ukraine weniger als die Hälfte ihres Vorkriegsvolumens exportieren. Auch die Medienindustrie ist zu diesem Zeitpunkt zum Stillstand gekommen. Einige Medienschaffende waren gezwungen, ihre Arbeitsplätze zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen, während andere, die in der Ukraine blieben, kaum eine Entschädigung erhielten, da die Medienunternehmen Geld verloren und rund um die Uhr ausgestrahlte Nachrichten an die Stelle von Werbung traten.

Zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion haben sich der ukrainische Medienmarkt und das Medienumfeld aufgrund des andauernden Krieges, seiner humanitären und wirtschaftlichen Auswirkungen, erheblich verändert. Zu den beobachteten Veränderungen gehören unter anderem die folgenden Aspekte:

1.Meinungsfreiheit und Zugang zu verschiedenen Medien. Einerseits macht die Ukraine mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes “Über die Medien” im Dezember 2022 Fortschritte im Bereich der Meinungsfreiheit. Im Mai 2023 verabschiedete das ukrainische Parlament weitere Änderungen am Gesetz “Über Werbung”, um es an die EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste anzupassen. Einem Bericht der Europäischen Kommission zufolge können die Bürger der Ukraine ihre Meinung frei äußern und haben Zugang zu kritischer Medienberichterstattung. Auf der anderen Seite hat der Zusammenbruch des Medien- und Werbemarktes – insbesondere im TV-Bereich – zu einer Medienkonzentration geführt. In der Ukraine hat dies den Zugang der Menschen zu verschiedenen Medien eingeschränkt. Die großen Fernsehsender, darunter die öffentlich-rechtlichen und die wichtigsten kommerziellen, haben einen gemeinsamen 24/7-Nachrichtendienst namens “United TV Marathon” ins Leben gerufen, um die nationale Einheit zu fördern und die Ukrainer für die Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Der “TV-Marathon” wurde von Medienbeobachter:innen und Journalist:innen selbst zunehmend kritisiert, weil er keine umfassende und ausgewogene Berichterstattung bietet.

Zu den wichtigsten Verstößen gegen die Meinungsfreiheit während des Krieges in der Ukraine gehörten laut einer Umfrage von 2023 die Weigerung der Behörden, wichtige Informationen bereitzustellen, Zensur und die Verweigerung der Akkreditierung von Journalist:innen. Unter den größten Bedrohungen für die Meinungsfreiheit nannten die Befragten physische Bedrohungen in Kriegsgebieten (67%), Kürzungen der Medienfinanzierung (55%) und staatliche Zensur (47%). Allerdings gaben 30 % der Befragten an, dass sie persönlich nicht von Verletzungen der Meinungsfreiheit betroffen sind.  Dennoch waren ukrainische Enthüllungsjournalist:innen Anfang 2024 zwei Angriffen ausgesetzt, die durch anonyme Telegram-Kanäle ermöglicht wurden. Bihus.Info, bekannt für die Aufdeckung von Korruption unter ukrainischen Politiker:innen, gehörte zu den angegriffenen Stellen. Der jüngste Angriff betraf ein “Enthüllungsvideo”, das Aufnahmen einer versteckten Kamera im Hotelzimmer der Journalist:innen sowie abgehörte Telefongespräche enthielt. Bihus.Info vermutet eine Beteiligung des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes (SBU). Diese Eskalation gibt Anlass zu großer Besorgnis über die zunehmende Bedrohung der Pressefreiheit in der Ukraine in Kriegszeiten.

2. Niedergang des Medienmarktes. Nach den jüngsten Untersuchungen des Internews Ukraine Media Program sind 70 % der Medien in der Ukraine nach Beginn der Invasion auf die Finanzierung durch internationale Geber als Haupteinnahmequelle angewiesen. Während die unabhängigen ukrainischen Medien in erster Linie auf Zuschüsse und Spenden angewiesen sind, werden die beliebtesten Fernsehsender nach wie vor von Oligarchen kontrolliert. Der Krieg hat jedoch die Unternehmen der Oligarchen gestört und ihre Rentabilität und Ressourcen verringert. Dies schränkt ihren Einfluss in Politik und Medien ein.

Außerdem glauben ukrainische Expert:innen, dass der Wiederaufbau des Medienmarktes erst nach dem Krieg möglich ist. Die Europäische Kommission hat der Ukraine Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft gestellt, zu denen auch die Schaffung eines transparenten Medienmarktes gehört. Diese Bedingung geht über die Gewährleistung der Meinungsfreiheit hinaus; sie zielt auch auf die Entoligarchisierung ab, ein entscheidender Aspekt für die Integrationsbemühungen der Ukraine. Die Ukraine hat Schritte unternommen, um diese Bedingung zu erfüllen, indem sie Gesetze erlassen hat, die mit den EU-Standards und den Marktanforderungen übereinstimmen, einschließlich Änderungen der Kartellgesetze, um gegen monopolistische Praktiken im Mediensektor vorzugehen. Aufgrund des andauernden Krieges und der Verhängung des Kriegsrechts im Lande bestehen jedoch gewisse Beschränkungen für Radio- und Fernsehsendungen. Die vollständige Neubelebung des Medienmarktes wird daher erst nach Beendigung des Krieges möglich sein.

3. Digitalisierung und Zunahme der Nutzung sozialer Medien. Die Aggression Russlands gegen die Ukraine führte zu einer verstärkten Nutzung sozialer Medien unter den Ukrainer:innen. Nach Angaben des zivilen Netzwerks OPORA nutzen die Ukrainer:innen soziale Medien hauptsächlich, um Nachrichten und wichtige Informationen zu erhalten. Laut der jährlichen Umfrage von USAID/Internews zum Medienkonsum beziehen die meisten Ukrainer:innen ihre Nachrichten über Telegram, was ein beunruhigender Trend ist, da Telegram praktisch nicht reguliert ist.

Anonyme Telegram-Kanäle haben sich zu einer erheblichen Bedrohung für die Pressefreiheit in der Ukraine entwickelt. Sie verbreiten ungeprüfte Informationen, spielen mit Emotionen und verbreiten Desinformationen. Diesen Kanälen mit Millionen von Follower:innen mangelt es oft an Verantwortlichkeit und Professionalität, was Bedenken hinsichtlich ihres Einflusses auf die öffentliche Meinung aufkommen lässt. Im November 2023 berichteten das Institute of Mass Information (IMI) und Detector Media, dass sie von einer Diskreditierungskampagne betroffen waren, die von mehreren anonymen Telegram-Kanälen orchestriert wurde. Nach Untersuchungen des ukrainischen Instituts für Medien und Kommunikation geben die meisten anonymen Telegram-Kanäle in der Ukraine ihre Eigentümer nicht bekannt, was zu einem Mangel an Rechenschaftspflicht beiträgt. Diese Anonymität, gepaart mit einer geringen Medienkompetenz des Publikums, lässt Desinformation gedeihen. Nicht nur die Nutzer:innen sozialer Medien, sondern auch die ukrainischen Nachrichtenredaktionen benötigen Unterstützung bei der Digitalisierung, da sie sich mit trendigen, qualitativ minderwertigen Telegram-Nachrichtenkanälen auseinandersetzen müssen, von denen einige propagandistisch und pro-russisch sind.

Die traditionellen Medien versuchen dennoch, sich an die neue Umgebung anzupassen. Streaming-Plattformen und andere internetbasierte Projekte werden in der Ukraine trotz der durch den Krieg auferlegten Beschränkungen aktiv entwickelt. Die Vielfalt der Optionen, die den Verbrauchern während des Krieges zur Verfügung stehen, ist durch die Popularität von Over-the-Top-Diensten (OTT) in der Ukraine wie SWEET.TV, Megogo, Kyivstar TV, Volia TV, Triolan usw. gewachsen. Der Zugang zu Dutzenden von Kanälen, ohne eine Satellitenschüssel installieren zu müssen, machte die Streaming-Dienste während des Krieges äußerst hilfreich. Über den Internetzugang sind die Inhalte auf jedem Gerät verfügbar, einschließlich Computer, Smartphone oder anderen Gadgets. Mit 637.951 Mitgliedern hat Megogo – ein Medienanbieter, der ausschließlich Over-the-Top (OTT)-Technologie nutzt – die größte Nutzerbasis, gefolgt von Volia mit rund 292 Tausend und Triolan mit 245.000. Darüber hinaus sind jetzt kostenlose Fernseh- und Radiokanäle bei Diia verfügbar, einer mobilen App, die Zugang zu staatlichen Diensten bietet. CNN ist einer der Nachrichtensender, die über das Diia-TV-Paket verfügbar sind. Mit der Freigabe dieser Software können die in den beschlagnahmten Gebieten lebenden Ukrainer:innen nun ihre Smartphones nutzen, um sowohl ukrainische als auch ausländische Nachrichten zu empfangen. Diese Initiativen zeigen, dass sich die Ukraine trotz der durch die bestehenden Umstände bedingten Einschränkungen für die Entwicklung ihres Medienumfelds einsetzt.

4. Journalist:innen sind wirtschaftlichen und physischen Risiken ausgesetzt. Russland hat 558 Straftaten gegen Journalist:innen und Medien in der Ukraine begangen. Mindestens 234 Redaktionen haben aufgrund der anhaltenden Feindseligkeiten und der Besetzung ihren Betrieb entweder ganz oder teilweise eingestellt. Die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit, insbesondere in den Gebieten nahe der Frontlinie, ist sehr gefährlich geworden. Einige sind während ihrer Berichterstattung an der Front bedroht, wie Arman Soldin, ein Videoreporter der französischen Nachrichtenagentur AFP, der im Mai 2023 durch Raketenbeschuss im Osten der Ukraine getötet wurde.

Es wurde jedoch unmöglich, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen, nicht einmal im Herzen der Städte, da die russischen Truppen Orte ins Visier nahmen, an denen sich Journalist:innen versammelten, ganz gleich, ob sie in Hotels oder Nachbarschaftscafés untergebracht waren oder Presseausweise trugen. Dies geschieht sogar in Städten, die weit von der Frontlinie entfernt sind, wie Kiew und Lemberg: So wurden beispielsweise im Dezember 2023 bei einem russischen Raketenangriff auf Kiew eine Person getötet und acht verletzt, darunter der japanische Journalist Wataru Sekita von der Asahi Shimbun. Zusätzlich zu den Sicherheitsbedrohungen hatten die ukrainischen Medien mit finanziellen Schwierigkeiten, Managementproblemen und dem Verlust von Mitarbeiter:innen zu kämpfen, da sich einige den Kriegsanstrengungen anschlossen und andere innerhalb des Landes vertrieben wurden. Trotz umfangreicher Neueinstellungen fehlt es vielen Redaktionen weiterhin an qualifizierten Fachkräften für eine Vielzahl von Aufgaben.

5. Medien-NGOs treiben den Anstieg der Forschung in NGOs und Hochschulen voran. Das Umfeld medienbezogener zivilgesellschaftlicher Organisationen ist dynamischer geworden, was eine verstärkte Medienforschung sowohl durch Nichtregierungsorganisationen als auch in akademischen Kreisen begünstigt hat. Jüngste Studien der Gradus Research Company, der Media Development Foundation, des OPORA Civil Network, des Institute of Mass Information, der Democratic Initiatives Foundation, des Ukrainian Media and Communication Institute und anderer Programme gaben einen Einblick in den derzeitigen Zustand der Medienbranche in der vom Krieg zerrissenen Ukraine.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ukrainischen Medien und Journalist:innen trotz einiger unglücklicher Ereignisse die Gesellschaft in den schwierigen Zeiten der Invasion inspiriert haben, an der Front und in der Nachhut aktiver zu helfen. Sie haben auch über die Ukraine und ihren Kampf im Ausland gesprochen und viel dazu beigetragen, diejenigen unserer Landsleute zu informieren, die verzweifelt waren, sowie diejenigen, die auch nach dem Beginn der Invasion noch schwankten, welche Seite sie in diesem Krieg wählen sollten. Die ukrainischen Medien werden dafür gelobt werden, dass sie zur Bewahrung der Einheit der ukrainischen Gesellschaft in den schwierigsten Zeiten und ihren Zusammenhalt im Angesicht des Feindes beigetragen haben. Es ist ihnen auch gelungen, so weit wie möglich zur Verteidigung der Ukraine zu mobilisieren. Doch der Krieg geht weiter, und mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er noch eine ganze Weile andauern. Das Medienumfeld in der Ukraine muss daher stabiler werden und sich an die EU-Standards halten.

Auch wenn die Ukraine gesetzgeberische Schritte unternommen hat, um einen offene Medienmarkt zu schaffen, der den EU-Normen entspricht, hängt die vollständige Öffnung des Medienmarktes von der Beendigung des Krieges ab. All diese Veränderungen in der ukrainischen Medienlandschaft erfordern Aufmerksamkeit, Analyse, Forschung und Berichterstattung. Das ukrainische Publikum muss über die Medienforschung und die Trends im Journalismus in den europäischen Ländern informiert und auf dem Laufenden gehalten werden. In ähnlicher Weise sollte das europäische Publikum mehr Analysen über die Entwicklungen in der Ukraine erhalten, einschließlich der Entwicklungen im Journalismus und in der Medienwelt.

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