Seit vier Monaten steht in Polen eine neue Regierung an der Spitze. Bei den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 stellte die polnische Bevölkerung mit ihren Stimmen das etablierte, einflussreiche politische System auf den Kopf. Das Bündnis aus drei Oppositionsparteien unter Donald Tusk hat die seit acht Jahren vorherrschende rechtspopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter Jarosław Kaczyński abgelöst und steht nun vor den Problemen, die die vorausgegangene Regierung zurückgelassen hat, und den großen Erwartungen der Bevölkerung. Auch für die Medien könnte sich einiges ändern.
„Erkennbare Probleme“ habe Polen laut der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen. Damit steht Polen auf Platz 57 von 180 – Deutschland belegt im Vergleich dazu Platz 21. Einer der Gründe ist der jahrelange Einfluss der rechtspopulistischen Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość) auf die polnischen Medien. „Das polnische Mediensystem bzw. die polnische Journalismuskultur war schon immer anfällig für politischen Einfluss“, erklärt Michał Głowacki, Professor für Medienpolitik und Journalismus an der Universität Warschau. Die Regierung, die jeweils an der Macht war, wollte die Medien immer schon unter ihre Kontrolle bringen – die PiS-Partei ging aber noch einen Schritt weiter. „Was im Jahr 2015 geschah, war Teil eines größeren sozialen und juristischen Kulturprojekts”, erinnert sich Głowacki. Nach den Wahlen arbeitete PiS daran, die Medienlandschaft in Polen nach ihren Vorstellungen umzugestalten. „Sie begannen damit, umstrittene Reformen einzuführen”, erzählt Głowacki. Besonders die öffentlichen Medien wurden zu Gunsten der Regierung verändert. Die öffentlichen Senderfamilien TVP, Polskie Radio und die polnische Nachrichtenagentur PAP waren nun in den Händen der PiS-Partei. Kritische Berichterstattung, besonders im Hinblick auf Entscheidungen der Regierung, war kaum noch möglich. Hetze und Falschmeldungen gegenüber politischen Gegner:innen sei aber umso einfacher gewesen. „Ihr Argument war, dass es vor dem Jahr 2015 keine wirklich einflussreichen konservativen Medien gegeben habe”, stellt Glowacki fest. ”Es war wie eine Erzählung, die eigentlich nichts mit der Wahrheit und unserer Interpretation demokratischer Werte zu tun hatte.”
Medien in den Händen der Regierung
Das polnische Mediensystem sei schon immer durch ein Zusammenspiel aus Kultur, Gesellschaft und der polnischen Wirtschaft geprägt gewesen. Seit Anfang der 1990er Jahre steht das Land vor der Herausforderung, die unabhängigen Medien im Hinblick auf ihre öffentlichen Aufgaben und die Medienvorschriften zu fördern. Die Medien sollten wieder Polen gehören, fand die PiS-Regierung. Dafür wurde der „Rat für nationale Medien“ ins Leben gerufen, ein Aufsichtsgremium, das mehrheitlich von Befürworter:innen und Kandidat:innen der PiS-Partei besetzt ist und über die Leitung der polnischen Sender bestimmt. Der Rat wurde vom Verfassungsgericht bereits 2016 als verfassungswidrig eingestuft. „Was wir also im Laufe der acht Jahre vor allem beobachtet haben, ist ein starker oder einer der stärksten möglichen Grade der medialen Instrumentalisierung”, erzählt Głowacki. ”Ich denke, einer der Pläne bestand darin, den polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den polnischen öffentlichen Dienst zu einer weiteren Ebene der Propaganda der politischen Parteien zu machen.” Mit Erfolg: polnische Medien fokussierten sich auf konservative Ideen und konservative Menschen. Journalist:innen, die sich nicht an die neue Art der Berichterstattung anpassten, wurden entlassen und neues, eher rechtskonservatives Personal wurde eingestellt. Das ist auch nicht an den polnischen Bürgerinnen und Bürgern vorbei gegangen. „Jedes Mal, wenn es diese kontroversen Entscheidungen der Regierung gab, gingen Menschen auf die Straße und protestierten gegen diese Art von Bedingungen und Vorschriften”, so Głowacki. Mit den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 hat die polnische Bevölkerung schließlich endlich die Möglichkeit, das polnische Mediensystem umzugestalten.
Eine außergewöhnliche Parlamentswahl
Und diese Möglichkeit der Umgestaltung haben viele Wähler*innen genutzt: Die Wahlbeteiligung lag bei über 74%, ein neues Rekordhoch seit dem Systemwechsel Polens im Jahr 1989. Besonders die jüngeren Generationen und Frauen hatten genug von der alten Regierung und nutzten ihre Wahlstimme. Głowacki erzählt von Warteschlangen vor den Warschauer Wahllokalen, da die Bürger:innen bis drei Uhr nachts ihre Stimmen abgeben wollten. Und das Ergebnis der Parlamentswahlen ist genauso außergewöhnlich wie die Wahlbeteiligung. Zwar gewann die Partei PiS mit 35,4%, allerdings hatte sie damit nicht die absolute Mehrheit. Somit übernahm die neu gebildete Koalition aus der liberalen Bürgerkoalition, dem Linksbündnis Lewica und dem sogenannten Dritten Weg die Macht und bildete unter Donald Tusk im Dezember die neue polnische Regierungsspitze. Die Reaktionen auf diesen Wechsel fielen nach Beobachtungen von Michał Głowacki größtenteils positiv aus. „Die neue Regierung muss sich aber auch auf Widerspruch und Protest einstellen“, wirft er ein, schließlich gibt es auch noch die Wähler:innen der PiS-Partei, deren Partei die Spitze verloren hat. Allerdings müsse man die Situation auch noch ein wenig abwarten, da die Regierung noch nicht allzu lange besteht: „Man lässt einer neuen Regierung erst einmal ein wenig Zeit, um dein Vertrauen zu gewinnen oder eben nicht zu gewinnen.“
Die momentane Situation mit dem Regierungswechsel ist noch nicht stabil, so Głowacki. Dies wurde beispielsweise sichtbar, als die neue Regierung Ende Januar die Budget-Pläne für das Jahr einreichen musste. Es gab Diskussionen, ob diese Pläne vom Staatspräsidenten Andrzej Duda angenommen werden, da dieser ehemals Mitglied der PiS-Partei war. Im Falle der Ablehnung des Budgetplans hätten vorgezogene Neuwahlen der Regierung stattfinden können – eine Hoffnung für die PiS-Partei. Allerdings haben sowohl Präsident Duda als auch Premierminister Donald Tusk versichert, dass es nicht zu Neuwahlen kommen würde.
Michał Głowacki ist Professor für Medienpolitik und Journalismus an der Universität Warschau. Seine akademischen Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen öffentlich-rechtliche Medien, Medienverantwortlichkeit und Innovationskultur. Er hat an verschiedenen bedeutenden europäischen Forschungsprojekten teilgenommen, darunter “Media Accountability and Transparency in Europe” und “Journalism in Change: Professional Journalistic Cultures in Russia, Poland and Sweden”. Głowacki erhielt Stipendien von der dänischen Agentur für Wissenschaft, Technologie und Innovation, dem Schwedischen Institut, dem Forschungsrat Norwegens und der Polnisch-Amerikanischen Fulbright-Kommission. Im Jahr 2010 war er Programmberater der Beratungsgruppe für die Steuerung öffentlich-rechtlicher Medien beim Europarat.
Ein Wechsel in den Medien
Eine neue Regierung bringt neue Veränderungen für ihr Land mit sich. Eine bereits geschehene Veränderung unter der neuen Regierung ist der Personalwechsel in den öffentlichen Medienhäusern. Die PiS-freundlichen Mitarbeiter:innen wurden entlassen und wechselten zum privaten TV-Sender Republika – nicht nur die Politikjournalist:innen verloren ihre Stellen bei den öffentlichen Medien, sondern auch Moderator:innen von Quizsendungen oder Talkshows. Ziel dieses Personalwechsels ist für die Regierung, die öffentlichen Medien aus der Kontrolle der PiS-Partei zu bringen. Dies mag zwar im ersten Moment an die damalige Übernahme der Medien durch die PiS-Regierung erinnern, allerdings betont Michał Głowacki in diesem Zusammenhang: „Man kann zwar auch etwas für seinen Eigennutzen, einfangen‘, allerdings kann man dies auch für das Gemeinwohl.“ Der Personalwechsel ist ein erster Schritt hin zu einem politisch unabhängigen Journalismus in Polen. Es sei jetzt wichtig, ein Gleichgewicht zu schaffen, damit sich das Geschehen bei einem nächsten potenziellen Regierungswechsel nicht wiederholt. „Es braucht eine langfristige Strategie, wie man den Allgemeinnutzen der öffentlichen Medien absichern kann“, erkennt Głowacki. Ein möglicher Ansatz wäre, die Kontrolle der öffentlichen Medienhäuser auf verschiedene Personen und Organisationen aufzuteilen. Somit gäbe es nicht nur Interessenvertreter:innen aus der Politik, sondern auch von Universitäten oder kulturellen Institutionen. Außerdem sollen die polnischen Bürger:innen selbst mehr mitbestimmen dürfen. „Medien sind für die Menschen, nicht für die Politik“, beteuert Głowacki.
Die neue Regierung steht vor vielen Herausforderungen
Nicht nur bei den öffentlichen Medien ist ein struktureller Wechsel wichtig, sondern auch in der Regierung selbst. Głowacki erklärt dazu: „Wenn du die Regierungsstruktur durch dieselbe Art von Struktur ersetzt und nur die Leute austauschst, kann es in meinen Augen nicht funktionieren.“ Dementsprechend kann sich die neue Regierung nicht auf den Wahlergebnissen vom Oktober ausruhen, sondern muss für die Demokratie kämpfen. Schließlich könnte sich das Blatt bei den nächsten Parlamentswahlen wieder ändern. Die bevorstehenden Kommunalwahlen im April könnten zunächst zeigen, ob die neue Regierung „genug Macht hat“ und ob die PiS-Partei ihre Macht wirklich verloren hat. Im Juni folgen dann die Europawahlen und im nächsten Jahr die Präsidentschaftswahlen. Dann zeigt sich auch, ob es einen neuen polnischen Staatspräsidenten aus den Reihen der neuen Regierung geben wird. Bis dahin wird Duda mit der Regierung zusammenarbeiten. Dies sieht Głowacki als eine der momentan größten Herausforderungen für die neue Regierung, da die Gesetzesentwürfe vom Staatspräsidenten abgesegnet werden müssen. Das könnte ein mögliches Hindernis sein, um als Regierung Veränderungen in Polen vorzunehmen. Im Gegensatz zur PiS-Partei verfolgt die neue Regierung nämlich liberalere und westliche Grundideen.
Eine weitere Herausforderung für die neue Regierung ist es in diesem Zusammenhang auch, die verschiedenen politischen Lager in Polen zu vereinen. Dies wird in Głowackis Augen eine schwere Aufgabe sein, da die Meinungen aus den unterschiedlichen Gruppierungen stark voneinander abweichen. „Ich bin gespannt, wie der Kompromiss am Ende aussehen wird.“, überlegt er. „Aber diese Situation gibt es nicht nur in Polen – Gesellschaften spalten sich in vielen anderen Ländern auch auseinander.“ Für Polens neue Regierung werden die nächsten Monate also voller harter Arbeit und Aufgaben sein, die es für eine liberalere Zukunft des Landes zu bewältigen gilt.
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