Bericht(en) aus Brüssel – Drei Fragen an Michael Grytz

5. März 2024 • Aktuelle Beiträge, Internationales, Redaktion & Ökonomie • von

Mit den Europawahlen im Juni rückt auch die Berichterstattung über Europa wieder verstärkt in den Blickpunkt. Michael Grytz war zweimal als WDR-Korrespondent in Brüssel, wo er unter anderem den „Bericht aus Brüssel“ entwickelte und gestaltete: Von 2001 bis 2006 und dann wieder von 2016 bis 2023. Dem EJO hat er drei Fragen – und eine Rückfrage – zum Brüsseler Medienbetrieb beantwortet.

Michael Grytz bei einer Veranstaltung mit Dortmunder Journalistik-Studierenden (Foto: Marcus Kreutler).

Sie blicken, mit Unterbrechung, auf über 20 Jahre persönliche Erfahrung als EU-Korrespondent zurück. Wie hat sich das journalistische Arbeiten aus Brüssel verändert?

Dramatisch, weil die erste Phase noch von klassischem Journalismus geprägt war, wie wir ihn von früher kennen – als es noch verbreitet Zeitungen gab und wir über Twitter oder Facebook in der Form noch gar nicht geredet haben und eben eher klassisch berichtet haben. Die zweite Phase war schon extrem geprägt durch Kurzmeldungen, Onlinedienste, Blogs, im Vergleich also völlig neue Darstellungsformen. Heute muss man auf allen Medien unterwegs sein, damit man rechtzeitig informiert ist und mitbekommt, in welche Richtung sich etwas entwickelt – ohne dabei das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Denn nicht alles, was online läuft, entspricht tatsächlich auch der Realität. Es ist wichtig, das eine zu berücksichtigen, ohne das andere aus dem Blick zu verlieren.

Vielleicht ist es noch früh genug im Jahr für eine Vorschau, wir haben ja auch Wahlen im Juni. Was erwarten Sie vom Brüsseler Korrespondenten-Jahr 2024?

Ein extrem herausforderndes Jahr, das nicht nur im Hinblick auf die Europäische Union sehr interessant – im schlechtesten Fall schwierig – wird. Denn die meisten rechtsextremen Parteien möchten nicht, dass die EU weiter zusammenwächst, sondern zurück zu Nationalstaaten. Die AfD will ja sogar aus der Europäischen Union austreten, was eine Katastrophe wäre. Aber die Europawahl ist ja nur eine von vielen Wahlen. Dazu kommt die US-Wahl mit der großen Frage, ob Donald Trump noch einmal Präsident werden kann, was wiederum dramatische Auswirkungen auf die NATO hätte, das Verhältnis zu Russland, und auch auf die Frage, welche Rolle China künftig spielen wird. Das bedeutet: Das Jahr 2024 wird in vielerlei Hinsicht Aufschluss darüber geben, wie sich die Machtverhältnisse auch global verändern werden. Insofern glaube ich, ohne übertreiben zu wollen, dass es eine Art Schicksalsjahr für Europa werden könnte, aber auch für das globale Miteinander: Wo steht Russland, wo steht die Ukraine am Ende des Jahres, wird es einen Präsidenten Trump geben – und in welcher Verfassung steht Europa nach dieser Wahl da?

Weil Sie die NATO ansprechen: Ist die in den letzten Jahren auch in der journalistischen Arbeit aus Brüssel wichtiger geworden?

Absolut. Die NATO war ja eine ganze Zeit lang für manche schon obsolet geworden war nach dem Ende des kalten Krieges. Bis dann irgendwann Russland eine revisionistische Politik betreibt und gleichzeitig Trump sagt, er unterstütze die NATO nicht mehr. Er hat ja in Hintergrundgesprächen bei seiner ersten Amtszeit gesagt: Glaubt ja nicht, dass wir euch irgendwie verteidigen. Und so etwas ähnliches ist auch jetzt zu erwarten. Das würde bedeuten, dass der größte und wichtigste Partner wegfiele, auf den sich Europa jahrzehntelang verlassen hat. So schnell könnte man das überhaupt nicht kompensieren. Und natürlich ist das ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gekommen – insofern spielt die NATO wieder eine viel größere Rolle und man ist als Brüssel-Korrespondent auch wieder deutlich häufiger im NATO-Hauptquartier. Wobei man nicht unterschätzen darf, dass es solche Phasen auch früher schon gab: Wir verdrängen allzu oft, dass wir noch vor nicht allzu langer Zeit die Balkankriege hatten, als die NATO im Balkan eingegriffen hat, weil dort ein Genozid stattgefunden hat. Solche Krisen haben immer die europäische Agenda mitbestimmt.

Eine junge Kollegin oder ein junger Kollege kommt zu Ihnen und fragt um Rat: Interesse an Europa-Themen vorhanden, eine Karriere in Brüssel wäre spannend. Was raten Sie?

Ich rate der Person, in Brüssel Praktika zu finden, bei Medien, aber auch bei Verbänden oder vielleicht bei Abgeordneten, um sich mit der ganzen Szenerie und den Vibes in Brüssel vertraut zu machen. Es gibt so viele Medien mittlerweile, dass man da schon einen Einstieg finden sollte, der aber am besten über einige Basics funktioniert: Dass man seine Praktika gemacht, vielleicht volontiert und erste Artikel zum Themenfeld geschrieben hat – und sich dann an die Medien wendet. Es gibt im Vergleich zu früher viel mehr Medien in dem Bereich, Politico beispielsweise, bei denen man anfangen und eine Karriere starten könnte.

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