Fremde Kultur, fremde Sprache. Japanische Zeitungen bauten für die Auswander:innen mediale Brücken in die Heimat, ins Vertraute. Das hat sich geändert. Mittlerweile kämpft die japanisch-brasilianische Presse ums Überleben.
Die Millionenstadt São Paulo. Brasiliens einwohnerreichste Stadt. Im Stadtteil Liberdade lebt die größte japanische Gemeinde außerhalb Japans. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Auswander:innen in die brasilianische Gemeinschaft integriert waren. Heute leben rund zwei Millionen Japaner:innen in Brasilien. Wie kam es dazu?
Brasilien und Japan schlossen 1895 einen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen die ersten Japaner:innen in das Land. Brasilien brauchte billige Arbeitskräfte und in Japan herrschte Überbevölkerung, sowie eine wirtschaftliche Depression. Brasilien war zunächst nicht das Wunschziel der japanischen Gemeinde. Die Löhne für Japaner:innen in Brasilien waren gering. Daher genehmigte die japanische Regierung den Betroffenen erst nicht, nach Brasilien auszuwandern.
Doch der wirtschaftliche Druck war zu stark: Tausend japanische Einwander:innen schlossen zunächst einen Dreijahresvertrag mit São Paulos Regierung. Die subventionierte Einwanderung von Japaner:innen wurde 1921 eingestellt. Vier Jahre später begann die japanische Regierung, die Kosten für die Auswanderung nach Brasilien zu übernehmen. Das lag am starken Bevölkerungszuwachs im eigenen Land. Die Gesamtzahl der Japaner:innen in Brasilien stieg bis Anfang der 1930er Jahre auf 100 000. In ihrer neuen Heimat erlebten sie Ablehnung. Die antijapanische Stimmung in der brasilianischen Elite erreichte in dieser Zeit ihren Höhepunkt.
Kleine Stücke Land waren günstig in Brasilien. Viele Japaner:innen arbeiteten deshalb auf Feldern. In den ländlichen Gebieten Brasiliens waren sie weit entfernt von Wohlstand und Ansehen. Sie wollten aber auch nicht bleiben. Ihr Ziel war es, Geld zu sparen und in ihr Heimatland zurückzukehren. Das Problem: Sie verdienten zu wenig, um ihr Leben zu finanzieren und gleichzeitig zu sparen. Eine Rückkehr ins Heimatland schien unmöglich. Nicht nur war das Geld zu knapp, auch die Erwartungen zu Hause waren hoch. Sie bildeten Siedlungen, erweiterten die Gemeinde und beschlossen schließlich, in Brasilien zu bleiben. Die japanische Community lebte zurückgezogen. Sie sprachen eine andere Sprache und hatten eine andere Kultur als die restlichen Menschen in ihrer neuen Heimat. Immer mehr konnten sich Grundbesitz leisten und zum Wohlstand Brasiliens beitragen.
Durch den Zweiten Weltkrieg änderte sich das Leben der Auswander:innen in ihrer neuen Heimat. Im Januar 1942 brach Brasilien seine diplomatischen Beziehungen zu Japan ab und japanische Führungskräfte verließen Brasilien. Die Einwander:innen fühlten sich im Stich gelassen und die brasilianische Regierung verschärfte Gesetze für sie. Die japanische Gemeinschaft wurde zum Feind in Brasilien. 1946 stimmte der brasilianische Kongress fast für ein dauerhaftes Einwanderungsverbot von Japaner:innen. Erneut kam der Wunsch auf, in die Heimat zurückzukehren. Doch dies erwies sich als nahezu unmöglich. Die Mehrheit der eingewanderten Japaner:innen ließ sich nun endgültig in Brasilien nieder. Ende der 1940er Jahre verließ die Mehrheit die ländliche Gegend und machte sich auf den Weg in die Wirtschaftsmetropole São Paulo. Viele japanische Unternehmen ließen sich dort nieder. Das Viertel Liberdade im Stadtzentrum wurde zur Anlaufstelle und ist heute ein Mittelpunkt für Handel und Kultur. In São Paulo veränderte sich das Bewusstsein und die Japaner:innen wurden zu japanischen Brasilianer:innen. Die japanische Gemeinde ist heute ein fester Bestandteil von São Paulo.
Der Untergang japanischer Zeitungen in Brasilien
Neues Land, neue Kultur, eine Sprache, die sie nicht verstanden. Durch die vielen Japaner:innen, verstärkte sich auch der japanisch-sprachige Journalismus in Brasilien. Ein Stück Heimat, über 16.000 Kilometer von ebenjener entfernt. Bereits 1916 gründeten Japaner:innen die erste japanische Zeitung in Brasilien. Diese war nicht nur Anlaufstelle für Nachrichten aus der Heimat, sondern verband die Menschen auch vor Ort. Japanische Medien und Nachrichten in Brasilien spielten eine wichtige Rolle für die Kinder der Einwander:innen, um die Sprache zu lernen.
1933 gab es bereits fünf japanische Zeitungen und 15 japanische Magazine in Brasilien. Insgesamt 20 Möglichkeiten für eine Flucht ins Gewohnte, 20 mediale Brücken in die Heimat. Die Zeitungslandschaft wuchs – besonders in Sao Paulo. Aliança Jihô, Nambei Shimpô oder Nippak Shimbun und viele weitere.
Knapp 80 Jahre später sieht die japanische Zeitungslandschaft in Brasilien anders aus. Kleiner. Weniger. Beinahe ausgemerzt. Die medialen Brücken in die Heimat, sie bröckeln. Fast alle Zeitungen mussten ihre Arbeit aufgeben. Neben klassischen Problemen von Print-Zeitungen wie Werbeeinnahmen und Coronapandemie kämpften die Verlage auch mit spezifischen Problemen – mit Alleinstellungsmerkmalen des japanisch-brasilianischen Niedergangs.
Die Kinder der Einwander:innen verstanden die Sprache nicht mehr gut genug, um japanische Zeitungen zu verstehen. Das Fundament des japanischen Zeitungsgeschäftes – die Sprache – verschwand. Dies lag auch daran, dass in Brasilien während der Diktatur von Getulio Vargas in den 30er und 40er Jahren fremde Sprachen verboten waren. Weniger Kinder wuchsen bilingual auf. Ein Trend, der sich fortsetzte und verstärkte. Während ältere Leser:innen viele japanische Artikel verstanden, lasen jüngere Generationen nur die portugiesischen Teile der Zeitungen. Die fehlenden Bilingualität schadete auch den Redaktionen. Denn es gab nicht nur wenige Leser:innen, die noch Japanisch verstehen konnten, sondern auch wenige Redakteur:innen, die Japanisch entsprechend schreiben konnten. Im Rennen um die Aufmerksamkeit der japanischen Leser:innen überholte Portugiesisch das Japanische. Auch kritisierten die japanischen Zeitungen die brasilianische Regierung ab den 50er-Jahren wenig,aus Angst, dass ihre Pressefreiheit wieder eingeschränkt würde. Nachwirkungen der Diktatur unter Getulio Vargas.
Auch die Entwicklungen des digitalen Marktes bereiteten den Zeitungen wirtschaftliche Probleme. Ein prominentes Beispiel: 20 Jahre kämpfte eine der größten japanischen Zeitungen in Brasilien, die São Paulo Shimbun, gegen die Konkurrenz von Social Media und Internet, wirtschaftliche Marktzwänge und soziodemographischen Wandel. 2019 endete dieser Kampf. Die São Paulo Shimbun stellte ihre jahrzehntelange Produktion ein. Bis 1990 bekamen viele japanische Brasilianer:innen ihre Nachrichten aus der São Paulo Shimbun. “Das endete mit dem Internet und dem japanischen Nachrichtensender NHK”, sagte Eduardo Nakashima, Generalsekretär der Brasilianisch-Japanischen Kulturallianz gegenüber AP News. Das durchschnittliche Alter der Leser:innen lag zum Ende der Veröffentlichung bei etwa 80 Jahren. Die Auflage sank von ehemals 70.000 bis 80.000 Zeitungen auf etwa 10.000.
Obwohl es die São Paulo Shimbun nicht mehr gibt, ist das nicht das Ende japanischer Zeitungen in Brasilien. Mithilfe von japanischen Investoren soll Anfang 2024 die Diario Brasil Nippou eröffnen und sechs Mitarbeiter:innen der ehemaligen japanisch-brasilianischen Zeitung Nikkey Shimbun beschäftigen. Sie soll gedruckt und online erscheinen. Finanziert wird die Diario Brasil Nippou von einer neuen gemeinnützigen Organisation. Inhaltlich fokussiert sich die neue Zeitung auf die japanische Community in Brasilien und die japanisch-brasilianischen Rückkehrer:innen in Japan.
Die Diario Brasil Nippou, ein Hoffnungsschimmer für japanisch-brasilianische Zeitungen?
Mamoru Okano ist Geschäftsführender Direktor der “Association of Nikkei und Japanese Abroard”, einer Organisation von japanischen ausländischen Zeitungen. Zu den Problemen ausländischer japanischer Zeitungen sagte er gegenüber JapanNews: “Japanischsprachige Zeitungen sind die Geschichte der Nikkei-Gemeinschaft und eine Brücke zu Japan. Wenn sie nicht täglich erscheinen können, hoffe ich, dass sie als Wochenzeitungen weitergeführt werden. Ich möchte, dass die Existenz japanischsprachiger Zeitungen bekannter wird, auch in Japan”.
Quellen:
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