Europas Zeitungen berichten zu wenig über Meere

29. August 2024 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Blick aus dem All auf das Kaspische Meer, 2016. Bildquelle: NASA (Unsplash Lizenz)

Wasser ist eine Lebensgrundlage, und die Weltmeere sehen sich aktuell verschiedenen Herausforderungen gegenüber. Trotzdem hängt die Frage, ob Zeitungen regelmäßig über maritime Themen berichten, in vielen europäischen Ländern vom persönlichen Interesse der Journalist*innen ab.

Schwachblau leuchtend, gerade mal ein Pixel groß: Am 14. Februar 1990 wurde ein Foto unserer Erde geschossen, das in die Geschichte der Weltraumforschung eingehen und vier Jahre später den Titel „Pale Blue Dot“ erhalten wird. Aufgenommen hat es die Raumsonde Voyager 1, etwa sechs Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Blau – diese Farbe zeigt schon, wie wichtig Meere für unseren Planeten sind. Etwa 71% ihrer Oberfläche sind von ihnen bedeckt. Doch wie wichtig sind Meere für Zeitungen, wie präsent sind maritime Themen vertreten? Journalist*innen beeinflussen nach der Theorie des Agenda-Settings die öffentliche Aufmerksamkeit, indem sie Themen in den Fokus rücken. Wie regelmäßig sie das mit dem „Blau“ unseres Planeten tun, damit haben sich 2022 Bruno Pinto und Ana Matias, zwei Forschende des Aquatic Research Network aus Portugal, beschäftigt. In der Studie wurden 26 Wissenschafts- und Umweltjournalist*innen aus 13 europäischen Ländern interviewt. Auswahlkriterium war, dass sie zwischen 2017 und 2022 über Ozeane berichtet haben und bei einer Qualitätszeitung des jeweiligen Landes arbeiten, die Print- und Onlinetexte veröffentlicht. Sie wurden befragt, in welchem Umfang sie selbst und ihr Medienunternehmen über maritime Themen berichten, und welche Gründe es dafür gibt.

Zu diesem speziellen journalistischen Themenbereich gibt es, wie in vielen Bereichen des Wissenschaftsjournalismus, bisher wenig Forschung. Das Meer hingegen,ist bereits und wird noch immer umfangreich erforscht, beispielsweise menschengemachte Effekte wie die Überfischung betreffend,. Hier könnte der Journalismus eine Schlüsselrolle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft einnehmen – allerdings ist er davon laut der Studie noch entfernt. Fast alle interviewten Journalist*innen waren der Meinung, dass die Berichterstattung nicht genügend Fokus auf maritime Themen legt.

 Zu wenig Ressourcen für Meeresberichterstattung

Ob über solche Themen berichtet wird, hängt demnach sowohl vom persönlichen Interesse der Journalist*innen als auch von externen Faktoren ab. Externe Faktoren können die Priorität sein, die maritimen Themen von Vorgesetzten zugestanden wird, oder die Größe des nationalen Interesses am Meer. Dazu kommt, dass der europäische Journalismus mit Problemen wie wenig Geld und wenig Zeit zu kämpfen hat – dies wurde von den Journalist*innen unabhängig vom Land angemerkt und kann ebenfalls zu geringerer Qualität in der Berichterstattung führen.
Das persönliche Interesse der einzelnen Journalist*innen sei besonders in Ländern wichtig, in denen die externen Faktoren eher gegen eine regelmäßige Berichterstattung über maritime Themen sprechen. Beispielsweise war das nationale Interesse am Meer kleiner, wenn das Land nicht über große Küstengebiete oder Inseln verfügte. In Deutschland beispielsweise wurde das nationale Interesse an Wäldern größer eingeschätzt als das Interesse am Meer.

Aus den Ergebnissen der Interviews haben die Autor*innen drei Level abgeleitet, die die Ressourcen für maritimen Umweltjournalismus im jeweiligen Land zusammenfassen:
Level-1-Länder besitzen mehr als genug Ressourcen für Meeresberichterstattung, darunter fallen England, Frankreich, Deutschland, Spanien und die Niederlande. Festgestellt wurde, dass in den Newsrooms dieser Länder häufig eigene Teams für die Themen Wissenschaft und Umwelt eingerichtet sind, und maritime Themen regelmäßig in den Nachrichten auftauchten. Bei den untersuchten Qualitätszeitungen waren jeweils etwa 6 bis 12 Wissenschafts- und Umweltjournalist*innen angestellt.
Als Level-2-Länder wurden Dänemark, Italien, Norwegen, Portugal und Polen gelistet. Der Unterschied zu Level-1-Ländern besteht vor allem in den kleineren Wissenschaftsteams, die sich auf etwa 3-5 Journalist*innen belaufen, außerdem wird über maritime Themen weniger regelmäßig berichtet.
Als Level-3-Länder wurden Bulgarien, Kroatien und Griechenland herausgestellt, bei denen das Fehlen von ausreichend spezialisierten Mitarbeitenden (typischerweise 1-2 Journalist*innen, die aber auch andere Themen bearbeiten müssen) festgestellt wurde. Außerdem wird von einer niedrigeren Qualität der Berichterstattung über maritime Themen gesprochen.

Wissenschaftskommunikation über soziale Medien

Neben der Berichterstattung durch Medien haben wissenschaftliche Institutionen inzwischen auch die Möglichkeit, mithilfe von Social Media Informationen und Ressourcen selbst direkt zu verbreiten. In einer experimentellen Studie am X-Account des eigenen Forschungszentrums stellten Kathrin Kopke, Jeffrey Black und Amy Dozier vom Centre for Marine and Renewable Energy in Irland fest, dass auf diesem Wege größtenteils Menschen erreicht werden, die sich selbst bereits wissenschaftlich mit dem Meer befassen oder anderweitig großes Interesse an dem Thema haben. 65 Prozent der Retweets des Accounts verfielen auf diese Gruppe. Dies impliziert, dass Qualitätsmedien weiterhin benötigt werden, um auch ein Laienpublikum zu erreichen. Interessant ist aber anzumerken, dass Laien manche Tweets interessanter fanden als andere. Wenn dem Tweet ein Foto angehängt war, gab es 82 Prozent mehr Retweets von Laien. Beinhaltete der Tweet eine positive Stimmung, waren es 12 Prozent mehr.

Was vom „Pale Blue Dot“-Foto übrig bleibt: Die Faszination. Journalismus, der wissenschaftlich über die Meere aufklärt, wird weiterhin benötigt. Bisher kommt es in Europa häufig auf das persönliche Interesse der Journalist*innen an, wie viel über maritime Themen berichtet wird.  Vielleicht kann Faszination helfen, das Interesse an diesen Themen zu entfachen und die Nachfrage zu steigern. Das Foto hat damals sicher nicht nur Astronom Carl Sagan, auf dessen Entscheidung es angefertigt wurde, bewegt: „To me, it underscores our responsibility to deal more kindly and compassionately with one another and to preserve and cherish that pale blue dot, the only home we’ve ever known.“

Quellen:

Carlsagandotcom. (2015). Carl Sagan’s Pale Blue Dot OFFICIAL. https://www.youtube.com/watch?v=GO5FwsblpT8 (aufgerufen am 15.8.24)

Kopke, K., Black, J. & Dozier, A. (2019). Stepping Out of the Ivory Tower of Ocean Literacy. Frontiers in Marine Science, 6:60 https://doi.org/10.3389/fmars.2019.00060

Maurer, M. (2017). Agenda-Setting. Nomos. https://doi.org/10.5771/9783845283043

NASA Science Editorial Team (12. Februar 2020). 10 Things You Might Not Know About Voyager’s Famous ‘Pale Blue Dot’ Photo. https://science.nasa.gov/earth/10-things-you-might-not-know-about-voyagers-famous-pale-blue-dot-photo/ (aufgerufen am 15.8.24)

Pinto, B., & Matias, A. (2023). European journalists and the sea: Contexts, motivations, and difficulties. Public Understanding of Science, 32(4), 459-469 https://doi.org/10.1177/09636625221137036

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