Medienmarketing im Redaktionellen

16. Juni 2010 • PR & Marketing, Ressorts • von

Erstveröffentlichung: r:k:m-Journal vom 7. Juni 2010

Wer den Titel von Stefan Weinacht nur flüchtig liest, dem wird es vielleicht ähnlich ergehen wie dem Rezensenten: Als er das Buch orderte, tat er das in der Erwartung, sich endlich einmal wieder mit “redaktionellem Marketing” auseinandersetzen zu können.

Ein Thema, das im Überlebenskampf der “Dinosauriermedien” Print und Fernsehen an Bedeutung gewonnen hat, während es merkwürdigerweise von der Kommunikationswissenschaft eher vernachlässigt wird. Mit dem Medienjournalismus, um den es bei gründlicher Lektüre von Titel und Untertitel tatsächlich geht, verhält es sich dagegen genau anders herum: Ihm zollen seit ein paar Jahren Medien- und Kommunikationsforscher sehr viel Aufmerksamkeit, während die großen Verlage und noch mehr die TV-Sender im deutschen Sprachraum ihn nahezu stranguliert, jedenfalls auf das unvermeidliche Minimum reduziert haben.

Weshalb also ein weiterer Titel, der sich mit der Thematisierung von Medien und Journalismus in den Medien wissenschaftlich auseinandersetzt? Wissen wir nicht längst, dass die “mainstream media” das Thema vermeiden – und wenn sie es ausnahmsweise einmal nicht tun, nahezu zwangsläufig in der “Selbstbeobachtungsfalle” landen? Michael Beuthner und Stephan A. Weichert haben mit dieser Formel im vorerst vorletzten Buch, das sich gründlich mit Medienjournalismus auseinandergesetzt hat, flächendeckend die Risiken und Nebenwirkungen des Medienjournalismus beschrieben. Aber weder sie noch andere Medienjournalismus-Forscher, zu denen sich auch der Rezensent zählen darf, haben bisher geleistet, was Weinacht mit seiner Studie gelungen ist: sich mit solcher Gründlichkeit zu fundierten Aussagen vorzutasten.

Stefan Weinacht hat den Titel seines opus magnum mit Bedacht gewählt, auch wenn er leicht zu Missverständnissen verleiten mag: “Medienmarketing im Redaktionellen” – das ist eben gerade kein Synonym für “redaktionelles Marketing”, denn letzteres sei “eindeutig der Produktpolitik” gewidmet. Dem Autor geht es um die Kommunikationspolitik der zu untersuchenden Medienorganisationen – also um die Vogelperspektive und um die Frage, wie Medienunternehmen ihre Wahrnehmung durch Dritte steuern und Aufmerksamkeit auf sich lenken oder von sich ablenken können. Im Kern möchte er empirisch klären, ob Verlage und Sender den Medienjournalismus instrumentalisieren, um wirtschaftliche oder politische Eigeninteressen zu verfolgen.

Das gekonnte Sezieren beginnt bereits im Theorieteil: Weinacht rezipiert nicht nur all das, was die bisherige Medienjournalismus-Forschung mit ihren verschiedenen Theoriezugängen und -verästelungen von der Systemtheorie bis hin zur Ökonomik herausgefunden hat. Vielmehr stellt er diese Erkenntnisse systematisch den Erklärungsansätzen gegenüber, die in den letzten Jahren die Diskussion um Unternehmenskommunikation, um Branding und Produktmarketing bestimmt haben.

Mit diesem Theoriekorsett kann der Verfasser – und darin sehe ich das Innovative in seiner Vorgehensweise – dann im empirischen Teil drei Datensätze des Forschungsinstituts Media Tenor sekundäranalytisch auswerten und nachweisen, wie krass die meisten Redaktionen bei der Selbstthematisierung und auch bei der Berichterstattung über die Konkurrenz gegen journalistische Grundregeln verstoßen und stattdessen ihre Eigeninteressen verfolgen.

Der Anfangsverdacht, dass “Marketingeinfluss auf die Medienthematisierung in besonderem Maße wahrscheinlich (ist), weil in dieser Konstellation Medien sowohl Kommunikator als auch selektierende und gestaltende Institution sind” (13) bestätigt sich voll und ganz: Medienthemen unterliegen “einem spezifischen Selektionsdruck” – “in wirtschaftlich ‘eigenen’ Medien” ist dieser “besonders niedrig, in konkurrenzierenden besonders hoch” (14).

Medienjournalismus wandelt sich somit tendenziell zum Dienstleister der Unternehmenskommunikation. Soll heißen: viele Redaktionen betreiben willfährig PR für das eigene Haus – wenn man PR-Verantwortlichen aus großen Medienhäusern Glauben schenkt, sogar gänzlich ohne Regieanweisungen von oben. Wettbewerbern begegnen sie dagegen mit der Schere im Kopf oder mit Häme. Und, schlimmer noch: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die ihren eigenen Qualitätsanspruch so gerne hoch halten und die sich auch von Kommunikationswissenschaftlern oftmals ob ihrer angeblich hohen journalistischen Standards belobigen lassen, übertreffen die privaten Anbieter teilweise sogar noch in puncto Selbstbeweihräucherung.

Doch betrachten wir Weinachts wichtigste Ergebnisse etwas differenzierter: Der erste, vergleichsweise kleine Datensatz befasst sich mit der Selbstthematisierung der deutschen TV-Sender in Jahresrückblicken: Dort entfallen mehr als zwei Drittel (69 Prozent) aller Selbstthematisierungen auf den eigenen Sender, nur fünf Prozent dagegen auf die Konkurrenz. Es mag überraschen, aber gerade solch ein auf den ersten Blick unverdächtiges “Genre” wird Weinacht zufolge als “Forum in markanter Weise für die Unternehmenskommunikation genutzt” (122). Seine Daten bestätigen eine Beobachtung des Medienjournalisten Imre Grimm, die Weinacht zitiert: “Das Jahr 2008 sah bei RTL II ganz anders auch als bei der ARD. Schnell wird deutlich, dass der Jahresrückblick mehr über den Rückblickenden verrät als über das Jahr selbst” (122) – nur, dass eben die Publika vermutlich weit weniger “zwischen den Zeilen bzw. Bildern” lesen, als der im Dekonstruieren geschulte Medienprofi.

Die Analyse des zweiten und dritten Datensatzes, in dem TV-Nachrichten sowie die Politik- und Wirtschaftsteile der wichtigsten Tageszeitungen bzw. unterschiedliche Thematisierungsmuster von Abo- und Boulevardzeitungen ausgewertet wurden, bestätigt das Ergebnis: Am allermeisten und allerliebsten thematisieren sich sowohl Fernsehsender als auch Printmedien selbst. Und: “In den öffentlich-rechtlichen Nachrichten wird stärker darauf geachtet, welcher TV-Sender thematisiert wird, als in den Privaten. Das kann tendenziell als stärkeres Konkurrenzverhalten der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf dem TV-Markt gedeutet werden” (136).

Aber auch bei jedem einzelnen der untersuchten Verlage ist der “Anteil der Selbstthematisierungen im eigenen Medium” größer als “der Anteil der Thematisierungen in anderen Medien” (138f.) – große Häuser wie Axel Springer, Gruner + Jahr, aber auch “Spiegel” und “Süddeutsche Zeitung” werden deutlich öfter als Sünder überführt als die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und Regionalblätter. Bei der Positionierung bestätigt sich neuerlich das Bild: Mitteilungen über das eigene Haus werden von den Redaktionen jeweils besser platziert als von anderen, konkurrierenden Medien (143). Und Medien thematisieren sich selbst relativ häufiger mit positiven Bewertungen, als dies andere Medien tun (177f.).

Die Befunde gelten ebenso im intra-, inter- und auch im gesamtmedialen Vergleich (139). Das “selbstherrliche TV” ignoriere vor allem die überregionalen Printmedien (140). Am nachhaltigsten würden journalistisch-professionelle Werte, sprich: Auswahlkriterien, von den überregionalen Qualitätszeitungen gepflegt (150). Die Darstellung von Printmedien in Printmedien mache 40 Prozent aller Medienthematisierungen aus, im TV dagegen nur 15 Prozent. Außer Frage stehe somit, “dass Printmedien sich selbst signifikant häufiger thematisieren, als sie im Fernsehen dargestellt werden”. Somit könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch dieser Unterschied “im Sinne des Gattungsmarketings intendiert ist” (151).

Mit der Kritik am Datenlieferanten Media Tenor, der bereits mehrfach in Prozesse verwickelt war und nach Ansicht von Kritikern wie dem Münsteraner Medienforscher Klaus Merten (der allerdings auch ein Wettbewerber von Media Tenor ist) unserös arbeitet, setzt sich Weinacht auseinander: “In Kauf genommen werden muss, dass die Arbeit des Media Tenor umstritten ist. Der Großteil dieser Diskussion beschäftigt sich mit der Interpretation von Daten, die nach Meinung der Kritiker tendenziös erfolgt. Diese Aspekte spielen hier keine Rolle, weil eine Sekundäranalyse durchgeführt wird.” (120)

Weinacht fasst seine Befunde dahingehend zusammen, im Redaktionellen finde “Medienmarketing light” statt: “Redaktionelle Medienthematisierungen sind nicht frei von wirtschaftlichen Eigeninteressen der Medienunternehmen. Sie sind aber auch nicht dominiert von den Interessen der Unternehmenskommunikation.” (243f.) Das ist eine überraschend milde, diplomatische Interpretation der vorgelegten Befunde, die wohl auch damit zu tun hat, dass es sich bei der Forschungsarbeit um eine Dissertation handelt und der Kandidat sich nicht allzusehr exponieren wollte.

Zugespitzt ließe sich wohl eher sagen, dass zumindest dort, wo anspruchsvolle gebildete Publika angesprochen werden, die Selbstbeweihräucherung der Medien Irritation auslösen dürfte. Der rapide Glaubwürdigkeitsverlust vor allem des Fernsehens hat vielleicht auch damit zu tun, dass zumindest die intelligenteren Zuschauer merken, wie oft und wie einseitig Tagesschau und ZDF ihre Sendungen missbrauchen, um fürs eigene Haus und eigene Sendungen Reklame zu machen. Die Hierarchen in den Verlagen und Sendern, die in den letzten Jahren allesamt ihre Kommunikationsabteilungen ausgebaut und gleichzeitig den Medienjournalismus zurückgefahren haben, verweigern sich auch hartnäckig der Einsicht, dass erfolgreiche PR-Arbeit letztlich auf journalistische Plattformen (und auch auf kritische Journalisten als Widerpart) angewiesen bleibt. Aber vielleicht ist es ja “nur” die Angst, von Medienjournalisten öffentlich “vorgeführt” zu werden, die sie daran hindert, für eine angemessene und unabhängige Berichterstattung über Medien und Journalismus zu sorgen.

Stefan Weinacht: Medienmarketing im Redaktionellen. Medienthemati-sierungen als Instrument der Unternehmenskommunikation von Medien-organisationen. Baden-Baden [Nomos] 2009, 376 Seiten, 44,- Euro.

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