Von der Party in die Katastrophe

4. Oktober 2010 • Qualität & Ethik • von

Wer als Journalist über Tragödien und Trauriges berichtet, der benötigt ein dickes Fell. In solchen Fällen kann das „Dart Center für Journalismus und Trauma“ helfen.

Als sich die Loveparade von Duisburg in einen Alptraum verwandelte, wurden aus Partyreportern Katastrophenberichterstatter. Reporter, Fotografen und Kameramänner waren gefordert: Sie schrieben, filmten, fotografierten – und nahmen mit, was sie bekommen konnten. Dabei reagieren Journalisten genauso emotional und aufgeregt wie normale Menschen auf derartige Situationen.

Petra Tabeling ist die deutsche Koordinatorin des Dart Center für Journalismus und Trauma und hat sich intensiv mit der Berichterstattung über die Loveparade und der grenzgängerischen Rolle von Journalisten in Katastrophenmomenten auseinander gesetzt. Das „Dart Center“ versteht sich als globales Forum für Journalisten, die über Gewalt berichten. Ziel des internationalen Netzwerkes ist es, ethnisch-moralische, sensible und sachkundige Berichte über Katastrophen und Krieg zu fördern.

Das „Dart Center“ wurde 1999 am „Department of Communication“ der Columbia University of Washington gegründet und wird von der privaten Stiftung der Familie Dart getragen.

In diesem weltweiten Netzwerk agiert auch Petra Tabeling. Sie sitzt in einem kleinen Büro am Chlodwigplatz in Köln, nebenan arbeiten Moderatoren, freie Redakteure, Medienschaffende.  Ständig steht sie per Mail, Skype oder Telefon in Kontakt mit ihren  internationalen „Dart“-Kollegen in London, Washington oder aus anderen Regionen, in denen das Dart Center mit lokalen Unterstützern kooperiert.

Petra Tabeling vom Dart Center

Das „Dart Center“ arbeitet seit mehreren Jahren auch mit der BBC und dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) zusammen. Tabeling setzt sich dafür ein, Journalisten schon in der Ausbildung und im Volontariat für das Thema Katastrophenberichterstattung zu sensibilisieren. „Das Thema betrifft nicht nur internationale Krisenreporter, sondern auch Lokalreporter, denn Amokläufe gibt es immer mal wieder“, sagt sie.

In ihrer Aufgabe ist sie auch zu einer Beobachterin der deutschen Medienszene geworden. Mit großer Spannung hat sie die Berichte und Reportagen über die Loveparade gelesen und ausgewertet, Fernsehen geschaut und Radio gehört.

Petra Tabeling über die besondere Situation der Loveparade-Berichterstattung (mp3-Format)

„Mir ist dabei aufgefallen, dass viele Journalisten ihre eigene, persönliche Wut aufgegriffen haben“, sagt sie – auch Wut könne eine Reaktion auf ein Trauma sein. Gut habe ihr die Berichterstattung des WDR gefallen. Partymoderatoren wurden zu Krisenberichterstattern: Vom einen Kamera-Schwenk in den anderen änderte sich für die Moderatoren die Situation. Eine gewaltige Aufgabe, die die Moderatoren gut gemeistert hätten, wertet Tabeling. „Solche Extrem-Tage müssen eventuell auch nachbereitet werden“, weil die Arbeit bei Krisen und Katastrophen auch bei Journalisten zu Traumatisierungen, Alpträumen und Flashbacks führen kann.

Petra Tabeling über die Unterschiede in der Berichterstattung (mp3-Format)

Auch der Deutsche Presserat muss die Loveparade nachbereiten: Mehr als 230 Beschwerden sind dort nach der Berichterstattung über die Massenpanik bei der Loveparade eingegangen – so viele wie noch nie.  Passenderweise hat der Deutsche Presserat als freiwillige Selbstkontrolle der deutschen Presse kurz nach der Loveparade einen Leitfaden für Berichte über Amokläufe veröffentlicht. Der Leitfaden umfasst viele Beispiele von Beschwerden – inklusive der Entscheidungen des Presserats und Empfehlungen, wie es anders besser geht. Besonders betont wird in diesem Zusammenhang der Schutz der Persönlichkeit. Der Presserat hat vor allem den Abdruck von Fotos der Opfer bei Amokläufen und bei der Loveparade gerügt.

Der zweite Teil des neuen Leitfadens dokumentiert die Befunde von zwei Expertenkommissionen: Als Leitsatz für Journalisten heißt es darin: „Eine extensive, täterkonzentrierte und detaillierte Amokberichterstattaung ist Katalysator für Nachahmungsfantasien und -absichten amokabgeneigter junger Menschen.“

In den Seminaren des „Dart Centers“ lernen angehende Redakteure, freie Mitarbeiter, Chefredakteure, Cutter oder Kameraleute zum Beispiel, wie sie zum Beispiel Augenzeugen gegenüber treten sollen. „Man muss Pausen zulassen, Tränen zulassen, Stoppzeichen verabreden“, erklärt die deutsche „Dart“-Koordinatorin. Niemals solle der Journalist fragen, wie sich der Angesprochene fühlt. „Denn das verursacht Tränen.“ Diese dort vermittelten Erkenntnisse sind in kleinen, roten Heftchen zusammengefasst und heißen zum Beispiel „tragedies and journalists – a guide for more effective coverage“ oder „covering children and trauma – a guide for journalism professionals“.

Als freie Journalistin weiß Tabeling auch, was Redaktionen in brenzligen Katastrophensituationen wollen. „Natürlich müssen die Journalisten ihre Aufgaben erledigen und Vor-Ort berichten. Es geht aber darum,  behutsam vorzugehen“, sagt sie. In vielen Fällen würden Journalisten dabei alleine gelassen. Das muss aber nicht so sein.

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