Erstveröffentlichung: Weltwoche 30
Die Verletzung der Privatsphäre ist eine Königsdisziplin des Journalismus. Eine kleine Gebrauchsanleitung.
Armeechef Roland Nef vermittelt die Telefonnummer seiner Freundin an Sexkunden im Internet. Stadtpräsidentin Valérie Garbani bechert sich die Hucke voll. Und Grossrat Xavier Bagnoud kokst im Adamskostüm.
Sex, Suff, Drogen. So steht es in der Zeitung. In der Zeitung steht nur, was von öffentlichem Interesse ist. Privates steht nie in der Zeitung.
Wir wollen uns heute mit dem Gegensatzpaar Privatsphäre und öffentliches Interesse beschäftigen. Für echte Journalisten, dies vorweg, gibt es keine Privatsphäre. Sie wollen Storys, über die sich die Leser den Mund zerreissen. Über die Verwaltungsreform zerreisst sich niemand den Mund. Über Sex, Suff und Drogen schon.
Journalisten müssen also über Privates schreiben. Nun gibt es ein Problem. In der Charta des Schweizer Presserats steht nämlich der Satz: «Die Journalisten respektieren die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.»
Das Problem ist damit schnell gelöst. Das öffentliche Interesse verlangt immer das Gegenteil.
Man muss also überlegen, wie man privaten Voyeurismus zu öffentlichem Interesse macht. Das ist einfach. Es gibt unter Medienprofis drei bewährte Methoden, ein öffentliches Interesse zu suggerieren: die Bedrohung der staatlichen Sicherheit, die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Fortschritts und die Prävention des moralischen Zerfalls.
Die Bedrohung der staatlichen Sicherheit. Das beste historische Beispiel ist der Fall Elisabeth Kopp. Vor ihrer Wahl zur Bundesrätin wurde die «Fuditätsch»-Story publik, weil ihr Gatte mit einem Bambusstock gern den Hintern seiner Sekretärin verdrosch. Eine reine Privatsache. Aber man musste es bringen, im öffentlichen Interesse, weil ja sonst Frau Kopp erpressbar geworden wäre. Im neusten Beispiel erleben wir um Roland Nef denselben medialen Einsatz für unsere staatliche Sicherheit. Man frage sich, so der Sonntagsblick, «ob Nef durch seine privaten Probleme eventuell erpressbar wird».
Die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Fortschritts. Das beste historische Beispiel ist der Fall Kurt Aeschbacher. Die Medien outeten 1997 den TV-Präsentator als homosexuell. Eine reine Privatsache. Aber man musste es bringen, im öffentlichen Interesse, weil damit ein grosser Schritt für sexuelle Toleranz getan wurde. Im neusten Beispiel erleben wir um Valérie Garbani denselben medialen Einsatz für sozialen Fortschritt. Neuenburgs Promille-Präsidentin, so die Aargauer Zeitung, enttarne die «Intoleranz gegenüber dem Menschlich-Schwachen».
Die Prävention des moralischen Zerfalls. Das beste historische Beispiel ist der Fall Christian Meier-Schatz. Der Professor und Nationalrätin-Gatte wurde von einer Prostituierten nackt eingesperrt. Eine reine Privatsache. Aber man musste es bringen, im öffentlichen Interesse, weil er ihr Geld schuldete und man damit eine Lanze für gute Zahlungsmoral brechen konnte. Im neusten Beispiel des CVP-Wallisers Xavier Bagnoud erleben wir denselben medialen Einsatz für moralische Sauberkeit. «Ich verteidige das Recht der Medien, mit aller Transparenz über unakzeptables Verhalten zu reden», meinte der Kommentator von Le Matin.
Besonders dumm provozierte demnach Armeechef Nef die Dominanz des öffentlichen Interesses über den Schutz der privaten Sphäre. Er liess sich zugleich in der ersten und der dritten Kategorie festnageln, bei der Bedrohung der staatlichen Institutionen wie bei der Prävention des moralischen Zerfalls.
Nef ist darum nicht beurlaubt, wie wir gelesen haben. Er ist klinisch tot.
Schlagwörter:Ethik, öffentliches Interesse, Persönlichkeitsschutz, Privatsphäre, Sex, Skandal, Transparenz