Erstveröffentlichung: Die Presse
Italiens Premier nimmt kritische Journalisten ins Visier – mit Klagen und Angriffen unter die Gürtellinie. Journalistenverbände verurteilten dies als inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit.
In Europas Nachkriegsgeschichte sucht das seinesgleichen: Der wegen privater Affären angeschlagene Ministerpräsident eines großen demokratischen Landes verklagt eine der wichtigsten Tageszeitungen eben dieses Landes, weil sie ihm täglich zehn Fragen stellt, wegen „Diffamierung“ und „Verletzung der Privatsphäre“ auf Schadenersatz. Eine weitere Zeitung zerrt er wegen ihrer Berichterstattung über ihn vor Gericht. Und er droht damit, auch gegen ausländische Zeitungen vorzugehen.
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Journalistenverbände und Medien innerhalb und außerhalb Italiens verurteilten diesen jüngsten Feldzug von Silvio Berlusconi als inakzeptablen Angriff auf die Pressefreiheit, und die verklagte „Repubblica“ startete eine Unterschriftensammlung zu deren Rettung.
Claqueure und Günstlinge
Wie weit im System Berlusconi das Verständnis von demokratischen Prinzipien und Gewaltenteilung reicht, ist hinlänglich bekannt. Diese gelten nur so lange, als sie ihm nützlich sind – auch die Pressefreiheit. Berlusconi, der drei private Fernsehsender und mehrere große Tageszeitungen besitzt, hat Einfluss auf die öffentliche Meinung wie kein zweiter Politiker in einem demokratischen Staat. Er instrumentalisiert die Medien nicht nur, sondern schöpft ihre Möglichkeiten auch meisterhaft aus.
Regiert wird über kurz hingeworfene Statements im Fernsehen, Interviews hingegen bekommen nur handverlesene Journalisten. Die wenigen Pressekonferenzen, die Berlusconi gibt, ähneln den Auftritten eines absolutistischen Herrschers: Umgeben von einem Hofstaat von Claqueuren und Günstlingen geht er bei unliebsamen Fragen sofort zum Angriff über. Diffamierung und Verschwörungstheorien gehören zu seinem Regierungsstil wie Resistenz gegen Kritik.
Dem dritten Programm des Staatssenders RAI etwa warf er vor, es sei „unerträglich“, dass dieses die Regierung kritisiere, schließlich finanziere es sich aus öffentlichen Gebühren. Auch einem Reporter der „Repubblica“ verweigerte Berlusconi jede Auskunft zu seiner mutmaßlichen Affäre mit der kaum 18-jährigen Noemi Letizia. Das Flaggschiff des linksliberalen Journalismus stellt ihm seither in jeder Ausgabe zehn Fragen zu einem Verhalten, mit dem sich wohl kaum ein anderer europäischer Regierungschef noch im Amt halten könnte. Berlusconi aber, wiewohl nervös und reizbar, bestreitet alle Vorwürfe und ist trotz immer neuer Enthüllungen fast so populär wie zuvor.
Dass er sich dabei ausgerechnet auf den Schutz der Privatsphäre beruft, mag ironisch erscheinen, gehorcht aber seiner Logik. Und das Land hat ihm kaum noch etwas entgegenzusetzen.
Attacke auf Zeitung der Bischöfe
In diesem Sinne hat nicht nur die politische Linke versagt, die den Interessenkonflikt immer unterschätzt hat. Verantwortung trägt auch jene „vierte Gewalt“, die so lautstark die Angriffe auf die Pressefreiheit beklagt. Berlusconis hauseigene Medien sind Virtuosen in der Kunst der Diffamierung. Jüngstes Beispiel ist die Schmutzkübelkampagne von „Il Giornale“ gegen den Chefredakteur von „Avvenire“, der Tageszeitung der katholischen Bischöfe. Weil man sich nicht traut, sich direkt mit einem so mächtigen Gegner anzulegen, wird auf eine Person geschossen – im Wortsinne weit unter die Gürtellinie. Und obwohl die Vorwürfe eines angeblichen Verfahrens wegen Belästigung offenbar frei erfunden sind, gab Dino Boffo diese Woche auf und trat zurück.
Verschwörungstheorien statt Recherche
Doch auch die unabhängigen Medien Italiens sind in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich. Geheimnisvolles Raunen aus ungenannten Quellen und dunkle Verschwörungstheorien ersetzen oft Recherche. Auch die „Repubblica“ konnte die Vorwürfe gegen Berlusconi bisher nicht so erhärten, dass sie hieb- und stichfest sind. Sie muss sich deshalb den Vorwurf des Kampagnenjournalismus gefallen lassen – und spielt damit Berlusconi in die Hände.
Gewiss ist ein Premier untragbar, wenn er intime Beziehungen zu Minderjährigen pflegt und nicht die Wahrheit sagt. Sollte er es aber nicht erst recht deshalb sein, weil er private und politische Interessen in nie da gewesener Weise verquickt und den Rechtsstaat systematisch aushöhlt? Oder wie Umberto Eco jüngst formulierte: „Wenn man die Pressefreiheit öffentlich verteidigen muss, steht es nicht mehr gut um sie.“
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