www.persoenlich.com, 26. Oktober 2006
Die digitale Revolution hat die Stellung der klassischen Medien stark beeinflusst und auch die PR-Arbeit verändert. Durch das Internet kann der Journalist als Schleusenwärter partiell umgangen werden, erklärt Prof. Dr. Stephan Russ-Mohl, Dozent MScom – Uni Lugano und Direktor European Journalism Observatory, im Gespräch mit "persoenlich.com". Er ist aber überzeugt, dass die PR-Branche den Journalismus als Widerpart braucht.
Prof. Russ-Mohl, Sie werden am Schweizer PR-Symposium, das unter dem Thema "PR und Medien im digitalen Zeitalter" steht, referieren. Werden Sie zu den Leuten direkt sprechen oder treffen Sie sich mit dem Publikum in einer Online-Community?
– (lacht) Ich gehe davon aus, dass ich direkt zu den Leuten spreche. Thematisch werde ich grundsätzliche Verschiebungen im Verhältnis zwischen Journalismus und PR behandeln. Allzu spezifisch auf Blogs und ähnliche Kanäle werde ich nicht eingehen.
Macht das digitale Zeitalter die PR-Arbeit schwieriger oder einfacher?
– Da gibt es für beides Argumente. Zunächst würde ich sagen: einfacher. Es ist für Journalisten verführerisch, alles was ihnen an PR auf den Bildschirm flattert, per Mausklick in Journalismus zu verwandeln. (lacht) Jeder Medienschaffende weiss, dass sich seine Arbeitsbedingungen durch die Existenz des Internets dramatisch verändert haben und weiter verändern werden. Das betrifft sowohl die Recherche als auch die Mitteilungsmöglichkeiten. Für die PR-Seite entsteht durch das Internet auch die Möglichkeit, mit ihren Zielgruppen direkt zu kommunizieren. Der Journalist als Schleusenwärter kann partiell umgangen werden. Das Risiko, dass der Journalist aus der PR-Botschaft etwas macht, das nicht im Sinne des Verfassers ist, fällt weg.
Und was ist schwieriger geworden?
– Das Internet kann auch gegen die PR-Leute arbeiten. Blogs und ähnlichem müssen viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das ist überlebensnotwendig, wenn man sich anbahnende Krisen rechtzeitig registrieren möchte.
Nochmals zum Schleusenwärter: Ist der Journalist wirklich noch ein Risiko für den PR-Menschen? Hat der wirtschaftliche Druck, dem die Medien ausgesetzt sind, nicht auch da die Situation verändert?
– Das Einfallstor für PR ist durch die Situation in den Redaktionen sicher weiter geöffnet worden. Dadurch entsteht für den Medienkonsumenten ein zunehmendes Glaubwürdigkeitsproblem.
Wurden die Rollen getauscht? Ist es heute der Journalist, der auf der Suche nach Geschichten beim PR-Menschen anklopft?
– Das mag gelegentlich vorkommen. Solange die PR-Seite aber so zuverlässig und "massenhaft" liefert, erübrigen sich solche Anrufe für den Journalisten.
Wird in Zukunft der Werbeleiter eines Mediums zum heimlichen Chefredaktor?
– Die Chinesische Mauer ist am bröckeln. Bei den meisten Angeboten, für die der Mediennutzer bezahlen muss, sehe ich noch keinen heimlichen Chefredaktor. Bei den Gratiszeitungen ist das aber sicher so.
Hat sich die PR als Disziplin auch von innen her gewandelt?
– Die Branche hat sich in kurzer Zeit in hohem Masse professionalisiert. Es wird genauer darüber nachgedacht, wen man erreichen will, und wie man an die Adressaten herankommt. Herkömmliche Massenmedien haben durch die neuen Kanäle zwar an Bedeutung eingebüsst, sind aber nach wie vor sehr wichtig. Sagt nämlich ein Journalist, dass ein Auto gut ist, wirkt das immer glaubwürdiger, als wenn es der Hersteller selber behauptet. Wenn PR wirklich funktionieren soll, braucht es den Journalismus dringend. Die PR-Branche täte gut daran, sich den Journalismus als Widerpart zu erhalten.
Es gibt nicht nur die laute PR, die im Auftrag des Kunden die Öffentlichkeit sucht. Kunden werden auch im Leisen auf die Medien-Öffentlichkeit vorbereitet. Etwa durch Medientraining. Müsste nun der von Ihnen genannte Widerpart, also der Journalismus, nicht auch aufrüsten und ein "PR-Training" absolvieren?
– In die Aus- und Weiterbildung für Journalisten müsste man den Faktor PR sicher mehr integrieren. Ich plädiere dafür, dass sich nicht nur PR-Fachleute im Journalismus auskennen müssen, um ihrer Arbeit professionell nachgehen zu können, sondern dass auch Journalisten wissen müssen, was sich hinter den Kulissen abspielt, bevor sie eine Meldung auf dem Bildschirm vorfinden.
www.persoenlich.com, 26. Oktober 2006