Aus PR wird Journalismus

13. April 2007 • PR & Marketing • von

St. Galler Tagblatt, 13. April 2007

Eine Tagung an der Universität St. Gallen über die veränderte Rolle der Medienschaffenden

Wer Erfolg haben will, muss in die Medien kommen. Viele Organisationen bauen ihre Kommunikation aus. Was heisst das für die Journalisten? Das fragte kürzlich eine Tagung in St. Gallen.

Atemberaubend, wie sich die Gewichte verschieben: Vor wenigen Jahren war Kommunikationswissenschaft ein Fach, das sich im Kern mit Journalismus, mit Publizistik, mit Massenmedien beschäftigt hat. Mittlerweile gewinnt immer mehr die «Organisations-Kommunikation» die Oberhand. In den Vordergrund rückt, wie Unternehmen, Ministerien, Parteien, Verbände sich mit ihrer jeweiligen Umwelt austauschen – und was darüber in den Medien berichtet wird.

Wirklichkeit wird konstruiert
Organisationskommunikation beschäftigt sich, so Peter Szyszka von der Zürcher Hochschule Winterthur, mit der Frage, wie von, in und über Organisationen kommuniziert wird. Erstmals dominierte dieses Thema ganz und gar die Jahrestagung der Schweizer Kommunikationsforscher, die vom Institut für Medien und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen ausgerichtet wurde. «Unternehmen und Institutionen müssen heute professionell kommunizieren, wenn sie Erfolg haben und in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen», sagte die Tagungsleiterin, Professor Miriam Meckel.

Was ist faszinierend – und womöglich gar bedrohlich – an diesem Perspektiven-Wechsel? Vor ein paar Jahrzehnten noch haben Journalisten, gern und oft bestärkt von den Fachwissenschaftern, geglaubt, sie berichteten weitgehend «unabhängig» und erklärten ihren Leserinnen und Lesern, was in der Welt «wirklich» geschieht. Mittlerweile haben Forscher herausgefunden, dass Journalisten Nachrichten nach klar umrissenen Regeln verarbeiten und damit auch «konstruieren»: Medien zeichnen keineswegs ein Spiegelbild der Gesellschaft, sie geben – notgedrungen – die Wirklichkeit verzerrt wieder.

Seit etwa zwei Jahrzehnten wissen wir dank wissenschaftlicher Untersuchungen ausserdem, dass sich zwei Drittel aller Medienberichte auf Öffentlichkeitsarbeit, sprich: auf «Organisations-Kommunikation» zurückführen lassen. Die meisten Themen landen also nicht im Fernsehen, im Radio oder in der Zeitung, weil ein Journalist recherchiert und eine Neuigkeit aufgestöbert hat, sondern weil mächtige Organisationen wie die UBS, die SVP, Greenpeace oder die Fifa ein Interesse daran haben, ihre Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit zu tragen.

«Aufrüstungsspirale»
Investiert eine Institution in Öffentlichkeitsarbeit, geraten die Wettbewerber in Zugzwang, das ebenfalls zu tun, wenn sie in ihrer öffentlichen Wahrnehmung nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Das hat zu einer «Aufrüstungs-spirale» bei der Organisations-Kommunikation geführt, sie wird raffinierter und konzentriert sich längst nicht mehr allein auf Medienarbeit und Massenkommunikation: Grosse Unternehmen verfügen über Kommunikationsabteilungen, die weit besser ausgestattet sind als Zeitungsredaktionen – und die sich um alles kümmern, von den Investor-Relations über Medienarbeit, Kundenpflege bis hin zum politischen Lobbying und zum vorbeugenden Krisenmanagement.

Nach aussen und nach innen
Längst haben die Unternehmen entdeckt, dass sie auch nach innen, also mit ihren Mitarbeitern, professionell kommunizieren müssen. Schnell entsteht Flurschaden, wenn die Botschaften nicht aufeinander abgestimmt sind, wenn Mitarbeiter zum Beispiel aus der Zeitung erfahren, dass sie mit einer Kündigung rechnen müssen, oder Aktionären ein anderes Bild vom Unternehmenserfolg vermittelt wird als den Angestellten. Deshalb redet inzwischen alle Welt von «integrierter Kommunikation» – auch beim Kongress in St. Gallen war das so.

Die Medienarbeit bleibt indes ein Stützpfeiler der Organisations-Kommunikation. PR-Abteilungen konkurrieren um öffentliche Aufmerksamkeit, und Journalisten werden so immer mehr zu Schleusenwärtern, welche die tagtägliche Informationsflut kanalisieren. Machen sie ihren Job gut, überprüfen sie die Medienmitteilungen und reichern sie durch zusätzliche Informationen an. Ist die Zeit knapp oder die Redaktion – wie bei einem Gratisblatt – personell schlecht ausgestattet, ist die Versuchung gross, mit zwei Mouseclicks am Computer («Click & Paste») die PR-Meldung in «Journalismus» zu verwandeln. Leserinnen und Leser werden dann mit Public Relations abgefüttert, vermutlich meist, ohne es richtig zu merken.

In vielen Unternehmen wird inzwischen auch diskutiert, ob sich nicht so manche Botschaft, die bisher mit Hilfe von Werbung kommuniziert wurde, künftig billiger und glaubhafter über Public Relations verbreiten liesse. Keine guten Aussichten für die Unabhängigkeit des Journalismus – es sei denn, die Verlage erschliessen neue Finanzquellen oder überzeugen uns Leser, Hörer, Zuschauer, dass es Information eben doch nicht gratis gibt, wenn sie journalistisch geprüft und aufbereitet sein soll.

PR ist «hip»
Die Organisations-Kommunikation professionalisiert sich also in atemberaubenden Tempo, die Redaktionen können kaum mithalten. Gewiss, Journalisten sind heute ebenfalls besser ausgebildet als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Aber auch an den Universitäten verschieben sich die Gewichte: Studienangebote in PR und Corporate Communication sind «hip», immer weniger Studienanfänger lassen sich dagegen auf das Abenteuer Journalismus ein, mit unsicheren Job-Aussichten und oft miserabler Bezahlung.

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