So zwitschern deutsche Journalisten

18. Januar 2011 • Digitales • von

Der Großteil der Redakteure in Deutschland ist der Meinung, dass die Bedeutung von Twitter derzeit überschätzt wird.

Dies ist das Ergebnis einer Redaktionsbefragung, die im Rahmen der Studie „Twitter und Journalismus – Der Einfluss des Social Web auf die Nachrichten“ vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt wurde. Christoph Neuberger, Hanna Jo vom Hofe und Christian Nuernbergk haben Redakteure von 70 deutschen Medienunternehmen befragt, darunter Tageszeitungen mit nationaler und regionaler Verbreitung, landesweit verbreitete Hörfunk- und Fernsehanbieter, Wochen- und Sonntagszeitungen sowie national verbreitete Publikumszeitschriften aus dem General Interest-Bereich und professionell-journalistische Nur-Internetangebote.

Über zwei Drittel der befragten Journalisten (70%) sind der Ansicht, dass die Bedeutung von Twitter derzeit überschätzt wird. Die Auffassungen, ob Twitter zukünftig an Bedeutung für den professionellen Journalismus gewinnen wird, sind laut der Studie allerdings klar geteilt. Fast die Hälfte der Befragten hält die Aussage für zutreffend (49%), während die andere Hälfte sie ablehnt (51%).

Dennoch verfügen fast alle befragten Redaktionen (92%) über mindestens einen eigenen Twitter-Account. Drei von den fünf Redaktionen, die keinen Account haben, planen, demnächst einen einzuführen.

Immerhin knapp ein Fünftel (19%) der befragten Redaktionen gibt an, im Durchschnitt täglich mehr als 40 Twitter-Meldungen zu verschicken. 22% setzen elf bis 20 Tweets am Tag ab. Der Großteil der befragten Redaktionen verschickt allerdings erheblich weniger Meldungen: 42% twittern durchschnittlich null bis zehn Mal pro Tag. Die Studie stellte fest, dass Tageszeitungen seltener Tweets als andere Anbieter verschicken.

Werbeeffekt eher gering

Laut Studie begannen rund zwei Fünftel (41%) der Redaktionen in der ersten Jahreshälfte 2009 zu twittern. 28% folgten in der zweiten Jahreshälfte, 16% in der zweiten Jahreshälfte 2008, vier Redaktionen begannen noch früher.

Der Dienst wird aber nicht von allen Redaktionsmitgliedern genutzt. In über der Hälfte der Redaktionen sind weniger als ein Viertel der Redakteure Twitter-Nutzer, in einem weiteren Fünftel (21%) twittern 25% bis 50% der Redakteure, und in zehn Prozent der Fälle nutzen bis zu drei Viertel der Mitarbeiter Twitter.

Zwar nutzen 97% der Befragten Twitter, um die Aufmerksamkeit der Nutzer auf die eigene Website zu lenken, aber 93% geben an, dass weniger als zehn Prozent der Nutzer über Twitter zum eigenen Angebot gelangen. Der Werbeeffekt sei also keineswegs hoch, so Neuberger, vom Hofe und Nuernbergk. Erst das Zusammenwirken unterschiedlicher Social Web Angebote führe zu einem merklichen Anstieg der Klickzahlen.

Recherche-Regeln bleiben bestehen

Die meisten Redaktionen (94%) verwenden Twitter im Rahmen der Recherche. ‚Recherche’ ist hierbei ein dehnbarer Begriff. Am häufigsten wird nach Stimmungsbildern zu aktuellen Themen recherchiert –  59% geben an, dass sie „häufig“ danach suchen. Weitere wichtige Suchmotive sind die Beobachtung von Twitter als Phänomen, die Suche nach Resonanz auf die eigene Berichterstattung und das Finden von Themenideen. Recherche im engeren Sinn, nämlich die Suche nach Augenzeugen oder Experten oder nach Fakten und Informationen zur Gegenprüfung, findet dagegen laut der Studie kaum mit Hilfe von Twitter statt.

Auch bei der Twitter-Recherche gelten meistens die im Journalismus bekannten Regeln, haben die Wissenschaftler herausgefunden. Für fast alle der Befragten (97%) ist das „Zwei-Quellen-Prinzip“ wichtig: Recherchen in Twitter sollten grundsätzlich um weitere Recherchewege ergänzt werden. 91% sind der Ansicht, dass Webseiten, die mit Twitter gefunden wurden, nur dann verwendet werden sollten, wenn der Anbieter bekannt ist und als glaubwürdig gilt. 77% der Befragten sagen, es sollte Kontakt zum Autor aufgenommen werden, um die Zuverlässigkeit zu überprüfen.

Interaktion mit den Nutzern

Zwei Drittel der Redaktionen (66%) geben an, dass sie über Twitter im Austausch mit den Nutzern stehen. 58% dieser Redaktionen fordern ihre Nutzer aktiv auf, sich zu beteiligen, so dass sie Einfluss auf den Inhalt des Angebots haben. Den Redaktionen werden über Twitter vor allem überraschende lokale Ereignisse gemeldet, wie beispielsweise Stromausfälle, Feuerwehreinsätze und liegen gebliebene U-Bahnen. Seltener werden über Twitter Fehler in der Berichterstattung gemeldet; dies geben zwei Befragte an. In einem Fall wird Twitter dazu verwendet, nach Ideen für Schlagzeilen zu fragen. In anderen (Einzel)fällen werden Twitter-Nutzer an Sendungen beteiligt, indem sie Fragen stellen oder an Umfragen teilnehmen dürfen.

Generell gesehen bewerten knapp zwei Drittel der Befragten Twitter als „eher unwichtig“ für die tägliche Arbeit in den Redaktionen. Für die Redakteure der Wochenzeitungen und Publikumszeitschriften sowie des Rundfunks nimmt Twitter eine wichtigere Funktion ein als für ihre Kollegen der Tageszeitungen. Etwa 60% bewerten den Dienst als „eher wichtig“ für die redaktionelle Arbeit, bei Print sind es nur 26%.

Die von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (lfM) in Auftrag gegebene Studie, die neben der Verwendung von Twitter im professionellen Journalismus auch die Nutzung und Themenstruktur von Twitter analysiert, kann hier als pdf heruntergeladen werden.

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2 Responses to So zwitschern deutsche Journalisten

  1. […] Mehr zur Studie “Twitter und Journalismus – Der Einfluss des Social Web auf die Nachrichten“:  “So zwitschern deutsche Journalisten” […]

  2. […] Zu diesem Schluss kommt die von der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen initiierte Studie „Twitter und Journalismus“, für die im Mai und Juni 2010 insgesamt 70 Internet-Redaktionsleiter befragt wurden. […]

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