Aufklärung oder Angstmache?

5. September 2011 • Ressorts • von

Die Medienrealität des Terrors in den Nachrichten von ARD, ZDF und RTL

Wenn Journalisten über Terrorismus berichten, wandeln sie zwangsläufig auf einem schmalen Grat. Die Gratwanderung besteht vor allem darin, der journalistischen Informationspflicht nachzukommen, sich aber gleichzeitig so wenig wie möglich als Medium für die terroristische Botschaft instrumentalisieren zu lassen. Denn terroristische Handlungen und ihre Androhung dienen vor allem propagandistischen Zwecken. Sie zielen darauf ab, Furcht zu erzeugen und auf diese Weise Gesellschaft und Politik zu verändern. Hieran zeigt sich die hohe Bedeutung einer reflektierten und verantwortungsvollen Berichterstattung, die sachlich über Gefahren aufklärt und sie in eine angemessene Relation setzt.

Eine der größten Herausforderungen für den Journalismus: Der Terrorismus nutzt die Macht der Bilder. Er inszeniert seine Anschläge zunehmend, um eine möglichst hohe Propagandawirkung zu erreichen, wie Terrorismusforscher Michael Jenkins schon Mitte der 1970er Jahre beobachtete [1]. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben Jenkins in so bestürzender wie eindrucksvoller Weise bestätigt. Sie sind wie kaum ein anderes Medienereignis im kollektiven Gedächtnis der westlichen Welt verhaftet – und haben in den Folgejahren offenbar zu einem erheblichen Anstieg der Terrorismus-Berichterstattung geführt [2]. Aber wie berichten deutsche TV-Sender seither über islamistischen Terrorismus? Dies ist die Ausgangsfrage der zugrunde liegenden Diplomarbeit, die sich dafür mit den drei wichtigsten deutschen Fernsehprogrammen ARD, ZDF und RTL auseinandergesetzt hat.

Die untersuchten Nachrichten-Ereignisse wurden bewusst so ausgewählt, dass sie keine Anschläge, sondern weniger beleuchtete Facetten der Terrorismus-Berichterstattung repräsentieren: die Enthauptung des US-amerikanischen Zivilisten Nicholas Berg im Irak (Mai 2004), der falsche Terror-Großalarm in der New Yorker Metro (Oktober 2005) und das versuchte „Kofferbomben“-Attentat auf deutsche Regionalzüge (Juli 2006). In letzterem Fall erstreckt sich die Auswertung auf die drei relevantesten Berichterstattungstage bis einschließlich der Verurteilung des Haupttäters (Dezember 2008). Per Inhaltsanalyse wurden jeweils die wichtigsten Nachrichtensendungen von ARD, ZDF und RTL ausgewertet. Dabei wurden in erster Linie die Positionierung der Beiträge sowie die Häufigkeit von Reizwörtern [3] erhoben. Mit den entwickelten Erkenntnissen und Fragestellungen wurden anschließend in Experteninterviews Oliver Hähnel (Tagesschau-CvD/ARD), Elmar Theveßen (stellv. Chefredakteur und Terrorismus-Experte/ZDF) und Michael Ortmann (Terrorismus-Experte/RTL) konfrontiert.

Position der Themen mit Terrorismus-Bezug in der Sendung nach Programm, eig. Darstellung

Eines der auffälligsten Ergebnisse der Inhaltsanalyse: Für RTL haben die untersuchten Ereignisse eindeutig den höchsten Nachrichtenwert. In den ausgewerteten Sendungen (n=50) befinden sich die entsprechenden Themen bei RTL zu 66,7%, bei der ARD zu 52,9% und beim ZDF zu 44,4% unter den Top 3 der jeweiligen Beiträge. Diese Erkenntnis passt zu Untersuchungen, nach denen das Privatfernsehen in Deutschland stärker auf angst- bzw. gewaltbezogene Themen setzt als die Öffentlich-Rechtlichen [4].

Betrachtet man die Gesamtgewichtung der berichteten Ereignisse mithilfe eines Gewichtungskoeffizienten, der neben der Positionierung eines Themas in der Sendung auch die Art und Anzahl der Beiträge berücksichtigt, wird deutlich: Am meisten Bedeutung wurde dem Enthauptungsvideo beigemessen (durchschnittlicher Koeffizient 5,5), danach folgt das Überwachungsvideo, das einen der Kofferbomber am Kölner Hauptbahnhof zeigt (4,7), und erst mit weitem Abstand die ersten Meldungen zum Fund von Gasflaschen in Regionalzügen (2,5), die Verurteilung des gescheiterten Kofferbomben-Attentäters (2,2) und der falsche Terroralarm in New York (1,6). ZDF und RTL haben jeweils das Enthauptungsvideo am höchsten gewichtet, die ARD das Überwachungsvideo des Kofferbombers.

Dass die beiden Themen mit der stärksten Visualisierung am höchsten gewichtet werden, ist bei einer Untersuchung zur Fernsehberichterstattung zunächst nicht überraschend. Bemerkenswert ist aus journalistischer Sicht aber durchaus, dass das insgesamt am stärksten gewichtete Thema eine einzelne Ermordung ist, die – bei aller Grausamkeit – keine allzu weit reichenden politischen Konsequenzen hatte und die Zuschauer in Deutschland nicht direkt betraf. Daran ist erkennbar, dass Visualität die Bedeutsamkeit als Nachrichtenfaktor bei weitem schlägt. Diesen Eindruck bestätigt auch die unterschiedliche Aufbereitung des Videomaterials. So zeigen ZDF und RTL zwar nicht die Enthauptung selbst, unterlegen allerdings in einzelnen Beiträgen das Ziehen des Messers mit den Todesschreien aus der Enthauptungssequenz – eine ethisch höchst bedenkliche Darstellung, die beim ZDF sogar mehrfach so zu sehen war. Der heutige stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, spricht in diesem Zusammenhang von einer „Verletzung der Menschenwürde“.

Dass ZDF und RTL das Enthauptungsvideo deutlich expliziter zeigten als die ARD, stützt die Ergebnisse, nach denen ZDF und RTL signifikant emotionaler berichten als die ARD: Bei der ARD finden sich durchschnittlich 2,12 Reizwörter pro Beitrag; beim ZDF 3,72 und bei RTL 4 [5]. Das ZDF verwendet am häufigsten Reizwörter der Gruppe „Gefahr“ (durchschnittlich 1,33-mal pro Beitrag), RTL solche der Gruppe „Brutalität“ (1,13). Die ARD verwendet im Vergleich zu den anderen Programmen auffällig selten Wörter aus den Kategorien Entsetzen (0,12) und Gefahr (0,59-mal pro Beitrag).

Die Experteninterviews bestätigten den Eindruck, dass bei der Gewichtung der Themen mit Terrorismus-Bezug bei ARD, ZDF und RTL unterschiedliche Kriterien im Mittelpunkt stehen. So betont Oliver Hähnel von der ARD, dass neben der Überprüfbarkeit der Informationen vor allem entscheidend sei, wie Politik und Behörden auf ein Thema reagierten. Die Visualisierung sei dagegen eher nachrangig.

Häufigkeit Reizwörter gesamt nach Programm, eig. Darstellung

Elmar Theveßen zufolge geht das ZDF seit dem „Schock“ des Falles Nicholas Berg „deutlich vorsichtiger mit dem Thema ,Terrorismus’ um (…) als alle anderen im deutschen Medienmarkt“. Tatsächlich zeigen ARD und ZDF aus Geiselvideos grundsätzlich nur noch ein Standbild. Außerdem wurden alle der untersuchten Ereignisse nach dem 11.05.2004 zum Teil deutlich zurückhaltender als in den anderen Programmen gewichtet. Die Ergebnisse bezüglich der Emotionalität der Sprache aber passen nicht in dieses Bild: Das ZDF verwendet signifikant mehr Reizwörter als die ARD. Auch nach dem 11.05.2004 enthalten acht von elf untersuchten Beiträgen des ZDF drei oder mehr Reizwörter. Laut Theveßen ist vor allem die Einschätzung von Experten der Gradmesser dafür, ob und wie über ein Thema mit Terrorismus-Bezug berichtet wird.

Für RTL bestätigt Michael Ortmann den außerordentlichen Nachrichtenwert des Terrorismus, insbesondere die herausragende Bedeutung der Visualität und der „persönlich empfundenen Bedrohungslage der Zuschauer und der Journalisten“. Dies erklärt, warum RTL Terrorismus als aktuelles Nachrichtenthema insgesamt nicht nur deutlich höher gewichtet als ARD und ZDF, sondern auch am emotionalsten berichtet. Ortmann begründet das damit, dass eine „griffige Sprache“ wichtig sei. Sie solle emotional und nah an den Menschen sein, ohne aber ein Thema aufzubauschen.

Die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei ARD, ZDF und RTL zeigen, dass sich die verschiedenen Angebote durchaus ergänzen; es gibt keine Einheitsberichterstattung, sondern unterschiedliche Medienrealitäten, was unter dem Aspekt der Pluralität erfreulich ist. Zugleich wird aber auch die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für eine sachliche und hintergründige Terrorismus-Berichterstattung deutlich. In diesem Sinne fordert Elmar Theveßen, durch eine fundierte Hintergrundberichterstattung auch über die Ursachen des Terrorismus aufzuklären und zu zeigen, dass Menschen vor dem Abdriften in den Extremismus bewahrt werden könnten. Zudem sei es sehr wichtig, über die Gefahr des Terrorismus aufzuklären, damit Gesellschaft und Politik besser auf die Folgen eines Anschlags vorbereitet seien.

Nicht zuletzt hat diese Arbeit gezeigt, dass es endlich eines ethischen Regelwerks für den Umgang mit Bildern bedarf, vergleichbar dem Pressekodex. So sollten traumatisierende Terrorbilder nicht in Endlosschleife laufen; ebenso wenig darf – wie im Fall Nicholas Berg – das Leiden und Sterben von Menschen ausgestellt werden. Eine solche Darstellung verletzt nicht nur die Menschenwürde des Opfers, sondern potenziert auch den von den Terroristen gewollten Propagandaeffekt.


[1] Vgl. Jenkins, Michael Brian: International Terrorism: A New Mode of Conflict, in: Carlton, David; Schaerf, Carlo (Hg.): International Terrorism and World Security, London 1975, S. 16, z.n. Hoffman 2001, S. 173

[2] Vgl. z.B. Meißner, Florian: Terrorismus-Berichterstattung im TV: Aufklärung oder Angstmache? Die Medienrealität des Terrors in den Nachrichten von ARD, ZDF und RTL, Dortmund, 2009, S. 37 ff.; vgl. Elbrigmann, Thorsten: Terrorismus – Die zweifelhafte Karriere eines Begriffes. Medienrealität und Framing am

Beispiel der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung von 1992 bis 2007, Dortmund 2008, S. 12

[3] Vollständige Listendefinitionen der Reizwörter s. Meißner 2009, S. 57 f.

[4] Vgl. etwa Ruhrmann, Georg; Göbbel, Roland: Veränderung der Nachrichtenfaktoren und Auswirkungen auf die journalistische Praxis in Deutschland. Abschlussbericht für netzwerk recherche e.V., Wiesbaden 2007, S. 134

[5] Der T-Test für die Mittelwertsvergleiche zwischen ARD und ZDF sowie zwischen ARD und RTL wird mit t < 0,05 signifikant.


Quellenverzeichnis (Auswahl):

Elbrigmann, Thorsten: Terrorismus – Die zweifelhafte Karriere eines Begriffes. Medienrealität und Framing am Beispiel der Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung vom 1992 bis 2007, Dortmund 2008

Glaab, Sonja (Hg.): Medien und Terrorismus – Auf den Spuren einer symbiotischen Beziehung, Berlin 2007

Hoffman, Bruce: Terrorismus. Der unerklärte Krieg, Frankfurt a.M. 2001

Laqueur, Walter: Krieg dem Westen. Terrorismus im 21. Jahrhundert, Berlin 2004

Meißner, Florian: Terrorismus-Berichterstattung im TV – Angstmache oder Aufklärung? Dortmund, 2009

Norris, Pippa et al. (Hg.): Framing Terrorism. The News Media, the Government and the Public, New York und London 2003

Ruhrmann, Georg; Göbbel, Roland: Veränderung der Nachrichtenfaktoren und Auswirkungen auf die journalistische Praxis in Deutschland. Abschlussbericht für netzwerk recherche e.V., Wiesbaden 2007

Weichert, Stephan Alexander: Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen, Köln 2006


Florian Meißner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalistik an der TU Dortmund.

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1 Responses to Aufklärung oder Angstmache?

  1. Klaus Jürgen Obergfell sagt:

    Ich verfolge schon länger die Diskussionen über den Flüchtlingsstrom aus Syrien,Irak,
    und den anderen Staaten im Nahen Osten, ich finde es auch schrecklich, was in der
    Hauptsache, Frauen und Kindern täglich angetan wird, aber der Auslöser, war ja der Krieg
    der USA im Irak, und in Afghanistan, dadurch wurden erst die radikalen Islamisten, wie ISIS
    und Taliban stark gemacht, und das kann mir keiner wiederlegen, das war Absicht, einer
    gefährlichen Elite in den USA, Rotschild-Rockefeller-Soros lassen grüßen, Deren Absicht
    ist, die Bevölkerung in Deutschland und Europa durch radikale Islamisten auszutauschen,
    und die Politiker in Berlin und Brüssel sind nur Handlanger dieser Verbrecher-Elite.

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