Heftige Kontroversen um Qualitäts-Diskurs

17. Oktober 2011 • Qualität & Ethik • von

Auch das zweite Jahrbuch zur „Qualität der Medien“ in der Schweiz, das sich erkennbar an das „Project for Excellence in Journalism“ in den USA anlehnt, hat beträchtliches Medienecho ausgelöst.

Insbesondere Journalisten des mächtigsten Zeitungshauses der Schweiz, der tamedia, haben das Forscherteam um Kurt Imhof (Universität Zürich) inzwischen so scharf attackiert, dass die betroffenen Wissenschaftler sich bereits als Opfer einer Medienkampagne sehen.  

Die diesjährigen Arbeiten der Forscher bekräftigen viele Befunde vom Vorjahr: Weiche Themen verdrängen den Politik-, Wirtschafts- und Kulturjournalismus. Die Berichterstattung wird episodischer, und die Konkurrenz der Gratismedien macht es für die Redaktionen schwieriger, Hintergründe auszuleuchten und in Recherche zu investieren.

http://jahrbuch.foeg.uzh.ch/JAHRBUCH_2011/HAUPTBEFUNDE/Seiten/default.aspx

Eine Vertiefungsstudie im Jahrbuch beschäftigt sich mit den Folgen der Schließung des Schweizer Büros der Associated Press (AP). Seither hat den Forschern zufolge die Schweizer Depeschenagentur (SDA) in der Medienarena des Landes ihre Stellung stark ausgebaut. Betrug ihr Anteil an den publizierten Agenturmeldungen 2009 noch 32 Prozent, ist er im darauffolgenden Jahr auf 47 Prozent angestiegen. Bei Nachrichten zur Schweizer Politik hat die SDA ein Monopol (99%), bei den regionalen Informationen sieht es kaum anders aus (84%). Die Forscher setzten eine Plagiats-Software ein, um festzustellen, wie transparent die Medien die Agentur-Meldungen verwendeten. Demzufolge vertuschen die Redaktionen die Herkunft der Informationen oftmals. Teilweise geben sie auch mit Minimalaufwand den Meldungen der Agentur den Anschein redaktioneller Eigenleistung.

http://jahrbuch.foeg.uzh.ch/jahrbuch_2011/hauptbefunde/vertiefungsstudien/Seiten/63MonopolDepeschenagentursda.aspx

Einen soliden Überblick über die Studie vermittelt die Neue Zürcher Zeitung:

http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/schweiz/mangelnde_transparenz_in_der_medienarena_1.12868575.html

Auch das EJO ist im Jahrbuch mit zwei Beiträgen vertreten: Zum einen enthält es eine vergleichende Studie von Colin Porlezza, Stephan Russ-Mohl und Marta Zanichelli, die Berichterstattungsfehlern in Schweizer und italienischen Regionalzeitungen nachspürt. Dabei wird erstmals auch auf die unterschiedliche Fehlerhäufigkeit der fünf in die Studie einbezogenen Schweizer Zeitungen detaillierter analysiert. Beispielsweise schneidet der Tages-Anzeiger beim Vergleich überraschend schlechter ab als die Südostschweiz.

Diese Studie ist hier dokumentiert:

“Fehlerhäufigkeit und Corrections Management” als pdf

Zum anderen setzen sich Stephan Russ-Mohl und Bartosz Wilczek kritisch mit dem Medienecho auf das vorangehende Jahrbuch und auf weitere wissenschaftliche Studien zum Schweizer Mediensystem auseinander. Nach ihrer Ansicht gilt es, im Diskurs zwischen Forschung und Medienpraxis Missverständnisse auszuräumen, aber die Forscher müssen auch lernen, sich verständlich auszudrücken, wenn sie mit der Öffentlichkeit kommunizieren.

Beitrag “Medien, Medienforschung und Kritik” als pdf

Dass sich aber auch Journalisten im Umgang mit der Wissenschaft schwer tun, belegt die jüngste, lebhafte Diskussion in der Schweiz zum zweiten Jahrbuch ebenfalls eindringlich. Dazu folgende Beiträge:

http://www.20min.ch/finance/news/story/20687990

http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Kritik-der-Kritik/story/14198479

http://philippe-wampfler.com/2011/10/08/wie-man-auf-kritik-nicht-reagieren-sollte-kurt-imhofs-kritik-an-der-medienqualitat/

http://www.medienspiegel.ch/archives/002950.html#more

Wie sich die Züricher Forscher gegen die Attacken verteidigen, ist hier dokumentiert:

http://jahrbuch.foeg.uzh.ch/Seiten/default.aspx

Ein bemerkenswertes Detail: Die Forscher beklagen sich darüber, dass ihre offenbar missliebigen Stellungnahmen zu den Anschuldigungen der Journalisten im Newsnetz von Tamedia (tagesanzeiger.ch, baz.ch, derbund.ch, bernerzeitung.ch), teilweise nicht freigeschaltet wurden oder aber textlich in die Postings eingegriffen wurde, indem Links auf Entgegnungen eliminiert wurden.

Als weitere kritische Stimme hat sich auch Kurt Zimmermann in der Weltwoche zu Wort gemeldet. Seine Kritik, Imhof schere alle Medien über denselben Leisten, dokumentieren wir ebenfalls:

Gastrokritiker mit Allzweck-Zunge

 

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