Medienwandel statt Modewandel

11. November 2011 • Ausbildung, Pressefreiheit • von

Wandel dauert. Das widerspricht der menschlichen Ungeduld, die sich in einer Redensart spiegelt: Jeden Tag eine andere Sau durchs Dorf treiben.

Zu Jahresbeginn blickten wir  begeistert in den arabischen Raum. Diktatoren wurden verjagt, Hunderttausende gingen für Demokratie und Freiheit auf die Straße, Twitter und Facebook gewannen Ansehen und Ernsthaftigkeit, weil sie offenbar halfen, die Welt ins Gute zu kippen.

Der Wandel ist noch im Werden. Doch das ist das hierzulande kaum mehr ein Thema.

Aufschlussreich ist ein Interview mit Karim El-Gawhary (Message, 4/2011). Er arbeitet für deutschsprachige Zeitschriften als freier Nahost-Korrespondent und leitet das Nahostbüro des ORF in Kairo. Bereits 2010 und erst recht durch die Elendsaufstände um Weihnachten in Tunesien habe sich etwas zusammengebraut, im Internet herrschte längst Aufruhr. „Nach Deutschland ließ sich das alles solange nicht vermitteln, bis das Thema auf der internationalen Medienagenda war.“

Es bedürfe bestimmter Schlagwörter, um internationales Medieninteresse zu wecken: irgendwas mit Muslim, Islam, Al Qaida.

Oder Bikini. Von „Bild“ über „Welt“ und „Zeit“ wurde thematisiert, im Falle eines Siegs der Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen am 28. November in Ägypten könne es zu einem Bikini-Verbot am Roten Meer kommen; man zitierte den ägyptischen Tourismusminister: Medien bauschten auf, Reiselustige könnten getrost buchen und den Zweiteiler einpacken.

Mich interessiert nicht der Wandel der Bademode, sondern der Wandel der Medien. Bleiben wir in Ägypten. Reporter ohne Grenzen (ROG) weist seit Wochen auf Schikanen des regierenden Militärrates hin: Drei Fernsehsender wurden durchsucht, Lizenzen für Satellitensender ausgesetzt, die mobile Rundfunkausrüstung der ägyptischen Filiale des Senders Al-Dschasira in Kairo wurde beschlagnahmt. Journalisten, die die neue Führung kritisierten, wurden vorgeladen, Sendungen abgebrochen. Blogger Alaa Abd El Fatah wurde verhaftet wegen seiner Darstellung der Zusammenstöße mit Sicherheitsorganen am 9. Oktober, durch die 24 Menschen starben.

Das Fernsehen ist das entscheidende Medium in einem Land, in dem jeder vierte nicht lesen kann. Besonders jetzt, vor den Wahlen, kommt es für Demokratie-Aktivisten darauf an, möglichst viele Menschen außerhalb der informierten Twitter und Facebook-Kreise zu erreichen. Einige sind dran, einen Nonprofit-Sender aufzubauen. Doch die Zeit drängt. Und auch das Staatsfernsehen wäre ein geeigneter Platz um das, was normativ möglich ist, mit Leben zu füllen: Medienfreiheit. Wäre. Aber: ägyptische Fernsehjournalisten beschreiben einen desolaten Zustand, recherchierte Austin Mackell (The Guardian, 5.11.2011). Verändert habe sich nur der Absender der Anweisungen: Militärs traten an die Stelle des Informationsministeriums. Viele Journalisten treiben Billigjournalismus, pflegen Propagandastil, verschweigen oder berichten erst, wenn ein offizielles Statement vorliegt. Woran das liegt? Viele erhielten ihren Job durch Beziehungen und fühlen sich nun verpflichtet; es mangelt an Professionalität. Anders gesagt: Man findet Pressefreiheit gut, weiß aber (noch) nicht, was man damit anfangen kann.

Es zählt nicht nur das Gefäß sondern auch der Inhalt. Deshalb greift auch die Heroisierung von Facebook und Twitter zu kurz. Ein freier Informationszugang führt nicht automatisch zu einer freien Gesellschaft, Regimetreue haben im Prinzip denselben Zugang wie Gegner, Technik löst keine politischen und sozialen Probleme. Entscheidend ist, wie kundig einer ist und welche Überzeugung er hat.

Alle sind gefragt, mehr denn je: International agierende Journalisten-Ausbilder, die – ohne zu missionieren – flexibel Wissen vermitteln, wie Medien Transformationsprozesse konstruktiv begleiten können. Journalisten, die thematisieren was zählt, und Redaktionen, die das veröffentlichen. Wir alle, indem wir uns interessieren und eine kritische Öffentlichkeit erzeugen, die den demokratischen Wandel fördert.

Erstveröffentlichung: Kölner Stadt-Anzeiger vom 9. November 2011

 

 

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