Dank den vier Sprachen, dem ausgeprägten Föderalismus und der direkten Demokratie, aber auch angesichts einer florierenden Werbebranche in der Wohlstandsinsel konnte in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten eine einzig- und eigenartige Medienlandschaft erblühen und ausreifen. Bisher fehlte jedoch ein umfassendes Kompendium, das deren Besonderheiten angemessen analysiert. Matthias Künzler (Universität Zürich) hat diese Lücke geschlossen und so ziemlich alles zusammengetragen, was sich an wissenswerten Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Mediensystem der Schweiz und dessen Finanzierung und Regulierung finden lässt.
Dabei haben die Mehrsprachigkeit und die Kleinstaatlichkeit, wie Künzler zeigt, allerdings ihre Tücken. Sie haben stark zersplitterte Medienmärkte entstehen lassen. Das führt zu hohen Stückkosten bei der Medienproduktion: Denn die Kosten sind fix – unabhängig von der Zahl derer, die ein Medienprodukt nutzen. Sei die Zahl der Nutzer klein, müsse „der einzelne Mediennutzer mehr für die Medieninhalte bezahlen“. Zum anderen haben, so resümiert Künzler, die „next door giants“ Deutschland, Frankreich und Italien den Medienkonsum und die Medienentwicklung in der Schweiz stark beeinflusst. So liege zum Beispiel der Marktanteil der Schweizer Pressetitel beim größten Kioskbetreiber im Lande bei knapp 12 Prozent, während knapp 63 Prozent der verkauften Titel aus Deutschland, knapp 9 Prozent aus Frankreich und über 3 Prozent aus Italien stammten.
Auch beim Fernsehen ist das nicht anders. Ausländische Sender haben beim Publikum einen Marktanteil, der je nach Sprachregion zwischen 60 und 80 Prozent schwankt, und knapp zwei Fünftel der Ausgaben für Fernsehwerbung in der Schweiz fließen ebenfalls an ausländische Sender. Künzlers Buch ist auch ein Beleg dafür, auf welch hohem Niveau Forscher klagen, wenn sie Qualitätsverluste des Journalismus oder gar einen Mangel an Medienvielfalt in der Schweiz konstatieren.
Trotzdem sollte man solche Kritik nicht einfach totschweigen, wie das kürzlich die beiden größten Schweizer Medienkonzerne in allzu trauter Eintracht beim Jahrbuch von Kurt Imhof zur Qualität der Schweizer Medien getan haben. Denn natürlich sieht auch Künzler die Gefahr, dass in Zukunft „Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die föderale Medienvielfalt“ auseinanderklaffen könnten. Die Titelvielfalt werde sich mehr und mehr als „Scheinvielfalt entpuppen, wenn diese Titel nur noch von denselben Redaktionen im Besitz weniger Verlage hergestellt werden“, befürchtet der Autor.
Angesichts dramatisch schwindender Werbeerlöse ist die Finanzierung von hochwertigem Journalismus in der Tat akut gefährdet, und das wird absehbar weitere Medienkonzentration zur Folge haben. Man sollte mit Künzler allerdings streiten, ob die „Bedeutung des gebührenfinanzierten und der teilweise ebenfalls gebührenfinanzierten konzessionierten Privatsender als Garanten eines öffentlichen Auftrags“ unter diesen Umständen zunehmen werde. Der Anteil der Privatsender am Gebührenaufkommen ist schlichtweg so gering, dass man von ihnen keine publizistischen Wunder erwarten sollte. Und die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) erfüllt zwar ihren öffentlichen Auftrag erkennbar besser als viele der inzwischen von Skandalen gebeutelten öffentlichen Sender in Nachbarländern, zumal ja inzwischen selbst die legendäre, einst Maßstäbe setzende BBC mit Reputationsschäden zu kämpfen hat.
Aber mit ihrer Übermacht droht die SRG eben doch im Online-Bereich als direkter Wettbewerber der Zeitungsverlage zu einem Teil des Problems zu werden, das Künzler mit ihrer Hilfe zu lösen hofft: Über Werbeerlöse lässt sich anspruchsvoller Journalismus online nicht finanzieren. So stehen die Verlage vor der herkulischen Herausforderung, ihren Nutzern gebührenpflichtige Angebote schmackhaft zu machen, während es allmonatlich in der Kasse der SRG von ganz alleine klingelt – eine Wettbewerbsverzerrung, die sicherlich korrekturbedürftig ist. An diesem Punkt belegt Künzlers Buch einmal mehr, wie schwer sich Kommunikationswissenschaftler häufig damit tun, ökonomische Grundtatbestände
angemessen einzuordnen.
Trotz diesem Einwand: Künzler analysiert in seiner Bestandsaufnahme sehr genau Strukturen und Strukturwandel von Presse, Radio und Fernsehen. Er arbeitet auch heraus, wie sich der öffentliche Rundfunk der Schweiz wohltuend von den größeren Anstalten der Nachbarländer unterscheidet, die stärkerer politischer Einflussnahme unterliegen. Der Autor kondensiert und ordnet sein umfangreiches Material mit klarem Blick für das Wesentliche und präsentiert es in „verdaubaren“ Rationen. Das Buch ist Pflichtlektüre für alle, die sich hierzulande im Journalismus und im Medienbetrieb zurechtfinden wollen.
Matthias Künzler: Mediensystem Schweiz. UVK-Verlag, Konstanz und München 2013.
Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 26. Februar 2013
Schlagwörter:Fernsehen, Finanzierung, Kurt Imhof, Matthias Künzler, Medienentwicklung, Mediensystem, öffentlicher Rundfunk, Presse, Radio, Schweiz, SRG, Universität Zürich