Erstveröffentlichung: St. Galler Tagblatt
Hypes entstehen, wenn die Medien einem Thema oder einer Person ein Übermass an Aufmerksamkeit widmen, also wenn sie sensationalisieren, skandalisieren – und damit auch desinformieren. Die Teilnehmer am vierten Radiosymposium in Zürich waren um Stichworte nicht verlegen: Britney Spears, Paris Hilton, Lady Di, der verstorbene Papst Johannes Paul II, das Rütli, die Klimakatastrophe, die Vogelgrippe, das Waldsterben, der «Fall» Seebach – sie alle haben in den Medien ein enormes Echo ausgelöst.
Doch weshalb kommt es dazu? Auf Einladung von Radio DRS und des «Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft» der Universität Zürich diskutierten Wissenschaftler und Journalisten am Dienstag in Zürich darüber, warum Journalisten Themen aufbauschen. Warum sie wie die Lemminge oftmals wochen- oder monatelang einem Thema oder auch Pseudo-Promis wie Paris Hilton hinterherlaufen. Und warum sie gleichzeitig andere, wichtigere Themen ausblenden. Schliesslich: Weshalb oft sehr einseitige Sichtweisen die Berichterstattung prägen – obschon es kein Medien- oder Propagandaministerium gibt, das irgendwelche verbindliche Vorgaben machen würde.
Mehr Medienhypes als früher
Auch wenn mehr Fragen aufgeworfen als gesicherte Antworten gegeben wurden, hat sich der Gedankenaustausch gelohnt. Esther Kamber und Kurt Imhof (Universität Zürich) warfen einen Blick zurück: Medienhypes hätten sprunghaft zugenommen, die Medien skandalisierten und personalisierten immer mehr, sie stilisierten Konflikte und lüden diese moralisch auf. Unterschiede zwischen Boulevard- und Qualitätsjournalismus ebneten sich ein.
Vinzenz Wyss von der Zürcher Hochschule Winterthur pflichtete dem bei. «Um Geschichten erzählen zu können, braucht es <Täter> und <Opfer>, <Helden> und <Scharlatane>. Wo es sie nicht gibt, werden sie von den Medien geschaffen», sagte Wyss. Und für die Philosophin Ursula Pia Jauch (Universität Zürich) ist «jeder Hype ein kleines Zirkusstückchen», aber auch ein «öffentlich inszenierter Erregungszustand.»
«Verfolgt von den Medien»
Aus vielen Diskussionsbeiträgen schälte sich letztendlich heraus, dass die Konkurrenz um möglichst viele Zuschauer beziehungsweise Leser und damit meist ökonomische Motive Medienhypes und die damit einhergehende Verzerrung der Berichterstattung am ehesten erklären.
Mucksmäuschenstill wurde es im Saal, als Eric Honegger, der inzwischen vom Gericht freigesprochene frühere Swissair-Chef, aus der Sicht des Opfers seine Erfahrungen mit den Medien beschrieb. Der bis dahin erfolgsgewohnte Manager, dem vorher nach eigener Einschätzung «fast alles in den Schoss gefallen war», machte auf für ihn unheimliche Weise die Erfahrung, vorverurteilt zu werden. «Mir schien, dass ich sagen und erklären konnte, was ich wollte – man nahm mich nicht ernst und glaubte mir nicht.»
Er habe den Eindruck gewonnen, er werde «verfolgt von den Medien und von der Gesellschaft» und hatte «einfach nicht die Stärke, noch lesen zu können», was über ihn während der Skandalisierungs-Phase geschrieben worden sei, berichtete Honegger. Auf die Frage, ob er die Medien für glaubwürdig halte, antwortete er mit einem ebenso kühlen wie klaren «Nein».
Wie sich das Nachrichtengeschäft mit dem Generationswechsel verändert hat, wurde in zwei Diskussionsrunden offenbar. Während sich die Alt-Chefredaktoren des Schweizer Fernsehens, Peter Studer, von Radio DRS, Marco Färber, und des Wirtschaftsblatts «Cash», Markus Gisler, auf hohe journalistische Standards verständigen konnten und die Hypes beklagten, gingen die amtierenden Chefs in der Folgerunde eher defensiv mit dem Thema um.
«Mühe mit der Selbstkasteiung»
Ueli Haldimann vom Schweizer Fernsehen mochte das Problem erst gar nicht sehen – er habe «Mühe mit der Selbstkasteiung», aber auch «mit der ganzen Auszählerei und Statistik», mit der zuvor die Wissenschaftler eindrucksvoll die Hypes und die von ihnen verursachten Schäden für Betroffene und Gesellschaft belegt hatten.
«Sie hypen das Thema Hype»
Chefredaktor Marc Walder vom «Sonntagsblick» konzedierte unumwunden, die Boulevardmedien lebten von «Skandalisierung und Emotionalisierung». Die Lage werde für sie indes immer schwieriger, weil die anderen das zusehends auch machten. Felix Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», ging schliesslich zur Gegenattacke über: «Sie hypen das Thema Hype», warf er den Forschern vor. Ob er da nicht mit Steinen aus dem Glashaus geworfen hat?
Dem Radio DRS und dem «Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft» gebührt fraglos Anerkennung, dass sie den sonst eher wenig durchschaubaren Medienbetrieb einen Tag lang zu solch einem Glashaus gemacht haben. Würden die Medien öfters im Dialog mit ihren Publika und mit Forschern Blicke hinter die Kulissen gewähren und für mehr Transparenz sorgen, wäre es um ihre ramponierte Glaubwürdigkeit vermutlich besser bestellt.
Schlagwörter:medienhype, Symposium