Presseclubs? Nein, danke! Auslandskorrespondenz in Japan

16. Januar 2024 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand, Internationales • von

Foto: Jana Niehoff

Für ihre Bachelorarbeit hat unsere Autorin sechs deutsche Auslandskorrespondent:innen in Japan nach ihren Arbeitsumständen während der Corona-Pandemie vor dem Hintergrund des japanischen Presseclub-Systems befragt. Das Ergebnis ist eine Überraschung – es widerspricht vielen bisherigen Forschungen.

„Die Erwartung ist schon falsch, dass die Presse ein Kontrollorgan ist (…). Japan ist keine Demokratie, sondern ein Verwaltungs- oder Beamtenstaat.“ Das antwortet ein deutscher Auslandskorrespondent auf die Frage nach dem Selbstbild japanischer Medien. Deutsche Auslandskorrespondent:innen arbeiten in Japan in einem deutlich anders organisierten Mediensystem als dem ihres Heimatlandes.

Es ist eine gewagte These, die der Korrespondent aufstellt. Für ihre Unterstützung gibt es aber sehr wohl Indizien. Seit Jahren rutscht Japan im Pressefreiheitsranking der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ kontinuierlich ab. Den 68. Platz belegt der Inselstaat aktuell – und liegt damit weit abgeschlagen hinter anderen weltweit führenden demokratischen Volkswirtschaften. Dabei hat das Land eigentlich alles, was eine Demokratie braucht: freie Wahlen, Parteien, eine demokratische Verfassung. Aber bei der Pressefreiheit hapert es. Der Grund dafür ist genauso bekannt wie häufig diskutiert: Es sind die kisha kurabu, die japanischen Presseclubs, die einer freien Presse die Arbeit erschweren.

Die kisha kurabu unter Beschuss: Kritik häuft sich

Mehrere hundert dieser Clubs gibt es in ganz Japan. Sie sind in ihrer Arbeit jeweils einer Institution, wie bspw. der Regierung zugeordnet und bestehen überwiegend aus Mitgliedern der etablierten japanischen Medienunternehmen. Die jeweils zugeordnete Institution leitet Informationen an Clubmitglieder weiter. Nicht-Mitglieder erhalten die Informationen erst später oder gar nicht. Wer im Club bleiben und weiter vom vorrangigen Informationszugang profitieren will, muss auf kritische Nachfragen oftmals verzichten. Eine ungleiche Informationsverteilung und die kontrollierte Nachrichtenauswahl seitens der Institutionen an die Presse sind das Resultat dieses Systems. Grund genug, die Presseclubs immer wieder scharf zu kritisieren. Jeff Kingston schreibt von „media-muzzling-initiatives“ in Japan, Jack Adelstein sieht die Grundlage der Demokratie durch die wegen der Presseclubs bestehende Selbstzensur der Medien gefährdet. Das Presseclub-System ist antidemokratisch, so schreiben es auch Kunio Inoue und Florian Meißner.

Nicht nur aus dem Inland, auch seitens der Auslandskorrespondenz werden die kisha kurabu seit Jahrzehnten kritisiert. Lange Zeit war den ausländischen Medien der Zutritt zu den Clubs verwehrt. Erst nach langjähriger Kritik sowie dem Einschalten der Europäischen Union im Jahr 2002, die beteuerte, die Presseclubs stellten für die ausländische Presse ein Wettbewerbshindernis dar, wurde der Auslandskorrespondenz der Zutritt zu den wichtigsten Clubs, wenn auch sehr langsam, gewährt.

Kritik aus der Wissenschaft laut Korrespondent:innen „inhaltlich sinnlos“

Nach Jahren erschwerter Informationsbeschaffung endlich ein Sieg für die Pressefreiheit? „Ich habe festgestellt, dass es mir nichts bringt für meine Arbeit“, lautet die ernüchternde Antwort eines weiteren befragten Auslandskorrespondenten. Mit dieser Ansicht steht er nicht allein. Alle sechs im Rahmen der Forschungsarbeit befragten Korrespondent:innen erachten das Presseclub-System zwar für die inländischen Medien als einschränkend, fühlen sich selbst aber kaum bis überhaupt nicht betroffen. Ein Presseclub-Zugang ist für ihre Arbeit gar nicht erst notwendig, mehr noch, sie erachten die Kritik aus der Wissenschaft an den Clubs teils als „inhaltlich sinnlos“. Entgegen dem bisherigen wissenschaftlichen Tenor kommen die Befragten mit den kisha kurabu weder groß in Berührung, noch streben sie das überhaupt an.

Dafür gibt es mehrere Gründe: Zunächst mal ist es für Auslandskorrespondent:innen schlichtweg unpraktikabel, einem Presseclub anzugehören. Japanische Presseclub-Mitglieder arbeiten in Vollzeit in jeweils einem Club, dessen Aufgabe es ist, über eine bestimmte Institution zu berichten. Natürlich kann niemand Mitglied von allen mehreren hundert Clubs werden: „Ich kann nicht 24 Stunden am Tag im Club sitzen, weil meine Aufgabe ist es nicht, 24 Stunden am Tag über die Regierung zu berichten. Ich muss immer das ganze Land im Blick behalten“, beteuert ein Korrespondent. Auch der Kritikpunkt, die Clubs wären absichtlich so konzipiert, dass ausländische Journalist:innen keinen Zugang bekämen, schlage fehl. Wer Zugang haben wolle, könne mittlerweile relativ leicht Mitglied werden, aber eben „zu den Bedingungen, die die Japaner stellen“. Zu diesen Bedingungen gehöre neben dem hohen Arbeitsaufwand auch, perfekt Japanisch zu sprechen. Eine Hürde, an welcher viele ausländische Journalist:innen scheitern. Eine Mitgliedschaft wäre für die Auslandskorrespondent:innen zudem gar nicht erst notwendig: „Die Informationen werden ja eins zu eins mehr oder weniger in den Zeitungen wiedergegeben“. Nur eben bereits sortiert und aufbereitet. Der wichtigste Punkt für die Nicht-Mitgliedschaft sei aber folgender: Journalistisch halten die Befragten das Presseclub-System für höchst fragwürdig. Allein schon deswegen wollen sie nicht Mitglied in den kisha kurabu werden, sagen sie.

Kein erschwerter Informationszugang und auch nicht das Gefühl, absichtlich von den Clubs ausgeschlossen zu werden, dafür aber die Überbetonung des Presseclub-Systems, wenn es um die Arbeit der Auslandskorrespondenz geht und eine inhaltlich sinnlose Kritik in der Wissenschaft. So lautet das Kernfazit der Befragung. Natürlich, für inländische Journalist:innen erachten die Befragten die Lage als wesentlich schwieriger, sich selbst verorten sie aber eher außerhalb des japanischen Pressesystems.

Corona und die Olympischen Spiele 2021 in Tokio: Freie  Presse auch in Japan gefährdet

Eine negative Ausnahme gab es in den vergangenen Jahren hinsichtlich des Umgangs mit der ausländischen Presse in Japan aber doch: Die Olympischen Spiele 2021 in Tokio in Verbindung mit der Corona-Pandemie. Corona als Chance, die Medien einzuschränken. So sahen es wohl viele Regierungen weltweit, auch in Demokratien. „Repressive Tendenzen“ gegenüber der Presse, so heißt es auf der Website von Reporter ohne Grenzen, seien durch die Corona-Krise weltweit gestärkt worden. Dass es solche repressiven Tendenzen auch in Japan gibt, beweist schon das System der Presseclubs allein. Vor dem Hintergrund bisheriger wissenschaftlicher Annahmen, das Presseclub-System wirke sich negativ auf die Arbeit von Auslandskorrespondent:innen in Japan aus, stellte sich berechtigterweise die Frage, ob die Corona-Pandemie zusätzlich belastende Auswirkung auf ausländische Journalist:innen hatte.

Die Antwort lautet „jein“. Die Corona-Pandemie hat sich zwar negativ auf die Arbeit der Auslandskorrespondenz ausgewirkt, war aber eben nicht zusätzlich. Denn eine negative Beeinträchtigung durch die Presseclubs bestand von vornherein nicht. Die Auswirkungen während Corona waren vorrangig dem allgemeinen Krisenzustand geschuldet. So konnten die Auslandskorrespondent:innen weder reisen noch Quellen vor Ort live interviewen. Dafür machten sie aber nicht die japanische Regierung, sondern die Krise an sich verantwortlich. Einzig die harten Einreisebeschränkungen und die Arbeitsbedingungen während der Olympischen Spiele, welche geprägt waren von eingeschränkter Bewegungsfreiheit und hohen, datenschutzrechtlichen teils fragwürdigen Hürden, kritisierten alle Befragten. Dass die Pressefreiheit während der Olympischen Spiele in Mitleidenschaft gezogen wurde, läge aber nicht ausschließlich an der japanischen Regierung, sondern auch am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und mit den Presseclubs hätte das sowieso nichts zu tun.

Nun kann die Befragung von lediglich sechs Auslandskorrespondent:innen bestimmt nicht als repräsentative Untersuchung des Presseclub-Einflusses auf die Auslandskorrespondenz in Japan gelten. Dass aber alle Befragten unabhängig voneinander fast schon kopfschüttelnd betonen, das Thema werde in der Wissenschaft überinterpretiert, liefert vielleicht einen Anreiz, bisherige Annahmen mindestens zu überdenken. Und die Kritik auf den Umgang mit der inländischen Presse zu konzentrieren.

 

Literatur:

Adelstein, J. (2018). In Japan It’s Now #WithYou, not #MeToo – But Sexual Harassment Is Still a Venerated Tradition. Daily Beast. (Abgerufen am 05. Juli 2023). https://www.thedailybeast.com/in-japan-its-now-withyou-not-metoobut-sexual-harassment-is-still-a-venerated-tradition

Inoue, K. (2011). Japan’s Press Club System and its Impact on Media Relations Practices. http://kinoueseminar.g2.xrea.com/press_club_system.pdf

Kingston, J. (2018). Watchdog Journalism in Japan Rebounds but Still Compromised. The Journal of Asian Studies, 77 (4), S. 881-893. Cambridge.

Meißner, F. (2019). Kulturen der Katastrophenberichterstattung. Eine Interviewstudie zur Fukushima-Krise in deutschen und japanischen Medien. (1. Auflage). Springer VS: Wiesbaden.

Reporter Ohne Grenzen (2020). Pressefreiheit in der Corona-Krise. (Abgerufen am 10. Juli 2023 von). https://www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/pressefreiheit-in-der-corona-krise/ueberblick

Reporters Without Borders (2023). Japan. (Abgerufen am 03. Juli 2023 von). https://rsf.org/en/country/japan

Reporters Without Borders (2024). Japan. (Abgerufen am 02. Januar 2024 von). https://www.reporter-ohne-grenzen.de/japan

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