Russische Exilmedien in Riga – die baltischen Staaten als Zufluchtsort

16. Mai 2023 • Aktuelle Beiträge, Internationales, MediaDelCom • von

Dieser Beitrag ist Teil der Mediadelcom-Reihe.

Russische Flagge

Bildquelle: pixabay

Geschrieben von Jana Niehoff, Saskia Rudnik & Sophia Klimpel 

Russische Medien sind in vielen osteuropäischen Mediensystemen weit verbreitet. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Situation der russischen Medien in Ländern wie Lettland und Estland drastisch verändert. Vor allem die Exilmedien haben eine neue wichtige Rolle übernommen.

“Nach der erzwungenen Unterbrechung des Sendebetriebs im März ist es uns gelungen, das Team und die wichtigsten Grundsätze zu erhalten: Wie in den letzten zwölf Jahren werden wir ohne Zensur und Manipulation über Ereignisse und Geschehnisse berichten.”

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Mit diesen Worten kündigte der ehemalige russische Fernsehsender “Doschd” seine Rückkehr an. Nach einer rund viermonatigen Sendepause meldete er sich im Juli 2022 zurück – allerdings nicht wie gewohnt aus Moskau. Dosch TV sendet nun aus einem Land westlich der Grenze zu Russland: Lettland. Im März 2022 hatte die russische Medienaufsichtsbehörde den kremlkritischen Sender sperren lassen. Der damals angegebene Grund: Doschd verbreite angeblich falsche Informationen über den Einsatz der russischen Armee in der Ukraine. Jetzt arbeitet der Sender wieder – im Exil, in Riga.

Doschd ist nicht das einzige ehemals russische Medium, welches nach Riga gezogen ist, um dort seine Arbeit wieder aufzunehmen. Die seit 1993 erscheinende russische Zeitung Novaya Gazeta, wurde im März 2022 von den Behörden geschlossen. Zuvor war ihr Chefredakteur im April in Russland angegriffen und verletzt worden. Im Mai gründeten unabhängige russische Journalist:innen im lettischen Exil dann die “Novaya Gazeta. Europa”. Die russische Journalistin Galina Timchenko ging bereits 2014 im Zuge der Krim-Krise nach Riga, um das Online-Medium “Meduza” zu gründen.

Die lettische Hauptstadt ist ein Hort für unabhängige russische Journalist:innen und kremlkritische Medien. Nur einen Monat nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine hatte Lettland bereits 161 humanitäre Visa für russische Journalist:innen ausgestellt. Doch warum lassen sich so viele russische Medien im Exil in Riga nieder? Lettlands Mediensystem ist weitaus freier als das russische. Es ist dual, umfasst sowohl ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem als auch einen privaten Mediensektor. Dazu gilt es als vielfältig und weist eine hohe Medienkonzentration auf. Wie eine MediaDelCom-Studie aus dem Jahr 2022 feststellt, ist der Bereich der Forschung über Kommunikation und Journalismus jedoch unterentwickelt und unterfinanziert. Die vorhandenen Studien sind meist von geringer Qualität und es gibt nur wenige internationale Veröffentlichungen. Der primäre Grund für die Beliebtheit Rigas liegt daher vielleicht gar nicht im Mediensystem Lettlands, sondern vielmehr im Sprachgebrauch des Landes begründet: Etwa ein Viertel der lettischen Bevölkerung spricht Russisch.

Lettische Flagge / Bildquelle: pixabay

Insgesamt sprechen laut der MediaDelCom-Studie in Lettland 60 % der Bevölkerung Lettisch als erste Sprache, 36 % sprechen Russisch und 3 % andere Sprachen. In Riga jedoch sprechen nur 43 % der Bevölkerung Lettisch, die Mehrheit (56 %) spricht Russisch. Die Nutzung russischer Medien im Allgemeinen ist im lettischen Mediensystem tief verankert: Die lettische Gesellschaft ist in zwei Teile gespalten – vor allem was die Mediennutzung betrifft. Wie die MediaDelCom-Studie herausfand, sind geografische Faktoren und ethnische Hintergründe weitgehend für die Medienwahl in Lettland verantwortlich. Während die lettisch-sprachige Bevölkerung die Medien in Lettland bevorzugt und ihnen am meisten vertraut, bevorzugt die russischsprachige Bevölkerung vor allem Medien aus Russland.

Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es relativ viele Medien, die auf Russisch berichten. Während einige dieser Medienunternehmen ihren Ursprung in Lettland haben, haben andere ihren Sitz in Russland. Die Tatsache, dass russische Medien in Lettland auch heute noch eine so große Rolle spielen, lässt sich durch ihre Kapazitäten und Ressourcen erklären. Russische Medienunternehmen verfügen über bessere finanzielle Mittel und so auch über eine höhere Anzahl an Programmen, verglichen mit dem eher kleinen und finanziell angeschlagenen Angebot der lettischen Medien. Von der globalen Finanzkrise konnten sich lettische Medien nie vollständig erholen. Im Jahr 2009 sanken ihre Werbeeinnahmen in nur einem Jahr auf 50 %. Da das lettische Mediensystem in hohem Maße von den Verbraucher:innen abhängig ist, ist es kundenorientiert und wird daher oft als unverantwortlich kritisiert.

Der starke Konsum russischer Medien hat in Lettland unangenehme Begleiterscheinungen: Viele russischsprachige Medien stehen unter der Kontrolle des russischen Staates. Ihre Nutzung führt in Lettland zu einem Mangel an qualitativ hochwertigem, von Staaten und Regierungen unabhängigem Journalismus.

Ähnliche Probleme gibt es auch in Estland, wo, wie auch in Lettland, ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung Russisch spricht. Dennoch steht Estland in der Ausgabe 2022 des Weltindex für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen an vierter Stelle von allen 180 Ländern, während Lettland auf Platz 22 rangiert.

Woran liegt es also, dass das estnische Mediensystem ein so viel höheres Ansehen genießt als das des Nachbarlandes? Zunächst einmal sind die estnischen Medien gut entwickelt und technisch fortgeschritten. Die Radiosendungen wurden schon früh digitalisiert, und der Internetsektor ist der am schnellsten wachsende Bereich in der estnischen Medienbranche.

Ein wesentlicher Unterschied besteht auch im Umgang der Mediensysteme beider Länder mit ihrer russischsprachigen Bevölkerung. In Estland können russische Medien nicht auf offiziellem Weg konsumiert werden. Mit der Bereitstellung von etwa 30 % der Medien in russischer Sprache für den russischsprachigen Teil der Bevölkerung versucht Estland, den Zugang zu qualitativ hochwertigem Journalismus auch auf Russisch zu ermöglichen.

Ein Blick nach Lettland zeigt, dass versucht wird, dieselbe Technik zu kopieren und mehr Mittel für die Berichterstattung lettischer Medien in russischer Sprache aufzuwenden. Durch die steigende Anzahl russischer Journalist:innen im lettischen oder estnischen Exil, bahnen sich weitere Veränderungen an: Im Juni 2022 beschloss der Nationale Rat für elektronische Massenmedien Lettlands (NEPLP) das Verbot aller in Lettland zugänglichen russischen Fernsehsender. Zuvor änderte er  alle einschlägigen Gesetze, um das Verbot durchzusetzen. Schon vor dem Krieg in der Ukraine gab es mehrere Anlässe, wie etwa die Verbreitung von Fehlinformationen über die Pandemie, die zu einem zeitlich begrenzten Verbot bestimmter Fernsehsender führten.

Eine der größten Veränderungen in Bezug auf russische Medien, nicht nur für Lettland, sondern für alle Staaten der Europäischen Union, trat im März 2022 ein. Angesichts des Krieges in der Ukraine beschloss die Europäische Union die Sperrung, mehrerer russischer Kanäle, darunter auch Russia Today. Hassreden, insbesondere die Ukraine betreffend sowie generelle russische Staatspropaganda waren die Hauptgründe für die Sperrungen.

Vor allem Russia Today wird aufgrund ihres Kreml-unterstützenden Inhalts von der Europäischen Kommission als Bedrohung für die Sicherheit der Europäischen Union und ihrer Bürger eingestuft. Das Sendeverbot wurde als klare Stellungnahme der Europäischen Union gegen russische Propaganda gewertet. Nie zuvor hat es bisher ein vergleichbares länderübergreifendes, EU-weites Verbot von Fernsehsendern gegeben.

Vollständige Abhilfe gegen russische Propaganda in EU-Ländern kann aber auch das Verbot nicht schaffen: In Deutschland, Frankreich und Spanien wurden bereits mehrere Websites gefunden, die die verbotenen Russia Today-Websites spiegeln.

Zurück zu Lettland. Durch die Verbote vieler russischer Staatsmedien ist die Zahl russischsprachiger Kanäle und Medien in Lettland seit Beginn des Krieges in der Ukraine zwar zurückgegangen. Gleichzeitig wächst in Lettland jedoch das Angebot russischsprachiger Medien, die nicht vom russischen Staat, sondern von Journalist:innen im Exil betrieben werden.  Diese „Exilmedien“ haben nun die Chance, die Lücke zu füllen, welche durch den Wegfall russischer Staatsmedien entstanden ist: Die der russischsprachigen Medien, gerichtet auch an die russischsprachige Bevölkerung in Lettland.

Quellen:

  • Stakle, A., Skulte, I. & Rožukalne, A. (2022). Country Case Study 2: Latvia. Critical Junctures of a bitter “Success Story”. Latvia’s Media Investment in Development of deliberative Democracy 

 

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