Woran liegt Journalismusmüdigkeit?

21. November 2022 • Aktuelle Beiträge • von

Junge Frauen scheinen nur halb so interessiert an Journalismus zu sein wie Männer. Das muss Medien, Wissenschaft und Politik aufrütteln. Eine Kolumne von Marlis Prinzing.

Gerade mal 5,4 Minuten täglich widmen sich Frauen im Alter von 19 bis 24 Jahren journalistischen Inhalten auf ihrem Smartphone, Männer immerhin fast doppelt so lange – 10,7 Minuten. Das ergab eine Tracking-Studie der Universität Zürich, für die 309 Personen im September 2021 ihren Datenverkehr auf ihren Smartphones an einen Forschungsserver der Uni übermittelten.

Ein Forscherteam, an dem weitere Unis beteiligt waren, maß, auf welche Quellen diese Menschen zugegriffen haben und wie viel Zeit sie dort verbrachten. Das Team filterte die journalistischen Inhalte heraus und war ernüchtert: Im Durchschnitt waren es 7,2 Minuten pro Tag.

Die Studie stößt an Grenzen: die gesamte Nutzungszeit pro Tag und Person lässt sich nicht genau ermitteln, weil hierin auch automatische Aktivitäten mancher Websites und Apps enthalten sind; Inhalte auf Instagram und TikTok, über die diverse Medienunternehmen jüngere Nutzende vermehrt erreichen wollen, waren mit der angewendeten Methode nicht erfassbar.

Trotzdem müssen die Alarmglocken schrillen: Erstens wuchs der Anteil jener Menschen, die kaum oder selten Nachrichten nutzen, in allen Altersgruppen in Jahresfrist um weitere zwei Punkte auf jetzt 38 Prozent der Schweizer Bevölkerung an. Bei den Jüngeren zählt zu dieser Gruppe jeder zweite, bei Menschen 50+ „nur“ jeder vierte. Zweitens interessieren sich jene, die Medien nach diesem Ausweich-Muster nutzen, weniger für Politik und haben weniger Vertrauen in die Regierung als alle anderen Bevölkerungsgruppen. Woran liegt diese Journalismusmüdigkeit?

Coronamaßnahmen-kritische Personen allein, die sich „Alternativen Medien“ aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung zugewendet haben, fallen hier nicht hinreichend ins Gewicht, weil sie ein Randphänomen geblieben sind. Und: Viele klinken sich sogar unbewusst aus.

Es könnte und müsste also gelingen, in gemeinsamen Projekten von Wissenschaft und Medienhäusern zu ergründen, wann zum Beispiel die jüngere Generation wie und für welche Themen erreichbar ist, sich engagiert und Journalismus „cool“ findet. Und wenn man nun hört, wie die Alarmglocken schrillen, sollten auch alte Forderungen nach verbindlichem Medienkompetenztraining an Schulen endlich realisierbar werden.

Quellen:

Vogler D. et al. (2022) “Mobile Mediennutzung und politisches Wissen von jungen Erwachsenen”. In: Jahrbuch Qualität der Medien (pp. 27-38), fög.

Erstveröffentlichung im  Tagesspiegel

Bildquelle: Pixabay 

Print Friendly, PDF & Email

Kommentare sind geschlossen.

Send this to a friend