Der virtuelle Austausch („Virtual Exchange“) ist ein neuer Ansatz, mit dem die Lehre internationalisiert werden kann – und das ohne den Seminarraum oder den eigenen Computerbildschirm zu verlassen. Auch in der universitären Journalistenausbildung findet er immer öfter Einsatz.
Roxane Coche von der University of Florida beschreibt in der aktuellen Ausgabe des Journals „Journalism & Mass Communication Educator“, wie ihre Sportjournalismus-Studierenden im Rahmen eines sechswöchigen Virtual Exchange-Projekts mit Studierenden aus Großbritannien zusammengearbeitet und dabei sowohl digitale Fähigkeiten als auch interkulturelle Kompetenzen entwickelt haben.
Wie sie darstellt, fand das erste Treffen im Februar 2020 über Zoom statt, wobei die Teilnehmenden der beiden Seminargruppen jeweils gemeinsam in einem Seminarraum in den USA und Großbritannien waren und sich über eine in den Seminarräumen installierte Webcam austauschten.
In den nächsten Wochen sollten die Studierenden die Seminarzeit nutzen, um gemeinsam kulturelle Unterschiede zwischen der US-amerikanischen und britischen Fußballberichterstattung sowie -industrie in Bezug auf die Repräsentanz von Minderheiten, Gleichberechtigung und Barrierefreiheit zu untersuchen.
Allerdings wurde, so heißt es in dem Beitrag, die Logistik des Projekts bereits nach zwei Wochen erst durch einen Streik der Lehrenden im Vereinigten Königreich und dann durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt. Trotzdem arbeiteten die Studierenden weiterhin gemeinsam an Multimedia-Projekten, in denen sie analysierten, wie Medien über ein fußballbezogenes Thema ihrer Wahl in den USA und Großbritannien berichteten. Sie tauschten sich nun nicht mehr in ihrer Gruppe in ihren Seminarräumen via Webcam aus, sondern zu Hause via Zoom sowie Whatsapp und Facebook Messenger.
Abschließend reflektieren die Teilnehmenden ihre Erfahrungen in einem kurzen Aufsatz oder Video. Darin sollten sie unter anderem darlegen, was sie während des virtuellen Austauschs gelernt haben, was sie beim Lernen behindert, wie sie die Erfahrung bewerten und welche Verbesserungsvorschläge sie für das Seminar haben.
Verständnis für andere Kulturen
Für den Beitrag im „Journalism & Mass Communication Educator“ hat die amerikanische Dozentin Roxanne Coche die Reflexionen ihrer 17 Studierenden analysiert.
Das Projekt habe den Teilnehmenden deutlich gemacht, dass in England „trotz der gemeinsamen Geschichte eine völlig andere Kultur“ als in den USA herrsche, so Coche. So habe ein Student angemerkt, dass der englische Sportjournalismus ganz anders sei als der US-amerikanische: Die Regeln und Beschränkungen schienen in England viel strenger zu sein, und der Gedanke, nach einem Fußballspiel als Journalist die Umkleidekabine der Spieler zu betreten, sei den britischen Kollegen „lächerlich“ erschienen.
Ihre Studierenden seien zu dem Schluss gekommen, dass Situationen „je nach Land sehr unterschiedlich gesehen und analysiert werden können“, weil „verschiedene Kulturen die Dinge auf unterschiedliche Weise betrachten“.
Trotz der Unterschiede sei den Teilnehmenden aber auch klar geworden, dass Sport die Kraft habe, Menschen zu vereinen. So habe ein Student gesagt: „Obwohl wir in völlig unterschiedlichen Teilen des Landes und der Welt lebten, war es erstaunlich zu sehen, wie sehr wir die Leidenschaft für Sport teilen.“ Das Austauschprojekt habe den Studierenden geholfen zu verstehen, so Coche, dass es Themen gebe, „die Kontinente überschreiten und auf der ganzen Welt geteilt werden und den Menschen ermöglichen, sich ungeachtet ihrer Unterschiede zu verbinden“.
So hätten die Studierenden nicht nur die kulturellen Unterschiede zwischen den USA und England analysiert, sondern auch gelernt, diese zu schätzen.
Trotz aller Herausforderungen ein „Aha-Erlebnis“
In dem Beitrag wird deutlich, dass der Virtual Exchange-Ansatz auch einige Herausforderungen mit sich bringt, wie z.B. die interkulturelle Kommunikation. Zwar hätten in diesem Projekt alle Studierenden Englisch gesprochen, aber trotzdem habe es Sprachunterschiede gegeben, da sich zuweilen das amerikanische Englisch vom britischen Englisch unterscheide. So bedeute „let’s table“ im amerikanischen Englisch, dass man die Besprechung über etwas vertagt, im britischen Englisch aber, dass man ein Thema sofort auf den Tisch bringt, was unter den Studierenden für einige Irritationen gesorgt habe.
Wie Coche beschreibt, habe es neben Kommunikationsproblemen aufgrund der Zeitverschiebung auch Herausforderungen bei der zeitlichen Planung gegeben. Eine Lösung sei die asynchrone Erledigung der Arbeit und die Kommunikation über E-Mail und Messenger gewesen. Die Studierenden hätten während der Zusammenarbeit mit ihren britischen Kollegen gelernt, „geduldig zu bleiben und nicht frustriert zu werden“.
Trotz aller Herausforderungen habe sich die Teilnahme gelohnt, fasst Coche das Feedback ihrer Teilnehmenden zusammen, ein Student habe das Projekt als „Aha-Erlebnis“ bezeichnet. Der Austausch habe den Studierenden „eine globale Sichtweise und Erfahrung geboten, die nicht oft geboten wird“, sagte ein anderer Teilnehmer. Wie die Dozentin und Autorin schlussfolgert, habe das Projekt den Studierenden geholfen, ein besseres Verständnis für interkulturelle Kommunikation zu gewinnen und multikulturelle Kompetenzen zu gewinnen, womit sie „besser für ein globales Arbeitsumfeld gerüstet“ seien.
Roxane Coche merkt selbstkritisch an, dass die Stichprobengröße mit 17 Reflexionen klein sei – und dass nur die amerikanischen Studierenden, aber nicht die britischen Studierenden zu Wort kämen.
In der Tat wäre es hilfreich und spannend gewesen, auch einen Einblick in die Ansichten der englischen Studierenden zu bekommen, stand doch gerade bei diesem Projekt der interkulturelle Austausch im Vordergrund – und was „die anderen“ denken.
Coche, R. (2021). Course Internationalization Through Virtual Exchange: Students’ Reflections About “Seeing the World Through the Lens That is Soccer.” Journalism & Mass Communication Educator. https://doi.org/10.1177/10776958211014074
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Schlagwörter:Fußball, Großbritannien, interkulturelle Kommunikation, Kultur, Messenger, Sportjournalismus, USA, Videokonferenz, Zoom