Seit Ende des Taliban-Regime erleben Medien in Afghanistan einen regelrechten Boom. Damit es im Journalismus ausreichend qualifizierte Kräfte gibt, muss die Qualität der Journalistenausbildung im Land verbessert werden. Ein Forschungsprojekt der Universität Leipzig hat in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Journalistik und Massenkommunikation der Universität Nangarhar Empfehlungen für eine Reform der akademischen Journalistenausbildung erarbeitet.
Das Fernsehen in Afghanistan erreicht rund die Hälfte der Bevölkerung, das Radio erreicht mehr als zwei Drittel. Auf das Staatsgebiet verteilen sich fast 200 Zeitungen. Mehr als neun Millionen Menschen in Afghanistan (von ca. 37 Millionen) nutzen laut der Online-Plattform Media Landscapes digitale Inhalte. Das Mediensystem des Landes hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten seit Ende des Taliban-Regime einen regelrechten Boom erlebt. Doch viele Journalisten sind den modernen Herausforderungen an die Normen und die Ethik des Berufs kaum hinreichend gewachsen. Der Journalismus leidet mehr und mehr unter einem Glaubwürdigkeitsverlust in der Bevölkerung und folglich unter einem partiellen Funktionsverlust. Hier müsste die Journalistenausbildung ansetzen. Doch bis dato gibt es kein einheitliches Konzept für die akademische Journalistenausbildung in Afghanistan, das gewährleistet, den rapiden Aufschwung der Medien im Land in eine dauerhaft positive Entwicklung umzuwandeln.
Hier setzt das Forschungsprojekt „Reform der akademischen Journalistenausbildung in Afghanistan“ von Arnulf Kutsch und Kefa Hamidi der Universität Leipzig an: Basierend auf Recherchen, Analysen und Experteninterviews gibt das Projekt Empfehlungen für die akademische Journalistenausbildung in Afghanistan, die bald in einem Handbuch veröffentlicht werden sollen und die das afghanische Ministerium für Hochschulbildung als Fundament einer Reform der Journalistenausbildung an zwölf afghanischen Universitäten nutzen möchte. Die Empfehlungen beinhalten unter anderem eine schrittweise Anleitung zur Implementierung eines Bachelorstudiengangs Journalismus, eines Masterstudiengangs Kommunikationswissenschaft, von Kursen in Entwicklungskommunikation und PR sowie von Weiterbildungsmodulen für die schon tätigen Journalisten.
Integration von Theorie und Praxis
Journalisten sollten die Fähigkeit besitzen, Ereignisse in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen und in verschiedenen Medien über diese zu berichten. Diese Ansprüche erfordern ein Ausbildungsprogramm, das Theorie und Praxis verbindet. Journalismus-Studierende sollten neben der Praxis journalistischer Produktion beispielsweise auch Inhalte über die rechtliche, politische und ethische Situation der Medien in Afghanistan lernen. Aktuell legen die entsprechenden Hochschulstudiengänge in Afghanistan einen zu großen Fokus auf theoretische Aspekte des Journalismus, wohingegen Kurse an privaten Universitäten oder Journalistenschulen viel Wert darauf legen, die Nachwuchsjournalisten auf den Markt vorzubereiten und ihnen technische Fähigkeiten zu vermitteln.
Ein moderner Studiengang sollte nach dem Prinzip des dualen Studiums beide Bereiche integrieren. Diese Form der Journalistenausbildung wird bereits an Universitäten auf der ganzen Welt praktiziert – beispielsweise auch an deutschen Journalistik-Instituten wie an der TU Dortmund und der KU Eichstätt-Ingolstadt, die zu Beginn des Forschungsprojekts eine afghanische Delegation von Repräsentanten des Hochschulbereichs und der Medien empfingen und diese über ihre Ausbildungsmodelle informierten. Ein erfolgreiches afghanisches Modell der Journalistenausbildung könnte den Beispielen dieser Universitäten folgen.
In einem reformierten Bachelorstudiengang sollten Studierende die Grundlagen der Kommunikationswissenschaft erlernen und sich mit der Rolle der Medien in der Gesellschaft vertraut machen; auch muss sichergestellt werden, dass sich die Teilnehmenden mit der Praxis und mit den Prozessen des allgemeinen journalistischen Handwerks auseinandersetzen. Eine Lehrredaktion an der Universität könnte das unterstützen. Um sich für den Beruf vorzubereiten, sollten Studierende auch außerhalb des Studiengangs Praxiserfahrung sammeln. Das Forschungsteam empfiehlt ein sechsmonatiges Praktikum in einem Medienunternehmen. Entscheidend wäre, dass die Universitäten entsprechende Verträge mit Medienunternehmen abschließen.
Es wird empfohlen, in Journalismus-Bachelorstudiengängen das allgemeine Wissen in den Bereichen Medien und Kommunikation fördern. Die Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass die Universitäten, die unter die Lupe genommen wurden, ihre Kurse verbessern müssen, nicht zuletzt, um internationale Standards einhalten zu können. Angehende Journalisten müssen sich sowohl praktisches Wissen als auch soft skills aneignen und sollten sich, um das System Gesellschaft zu verstehen, in einem zusätzlichen Bereich spezialisieren, beispielsweise in den Politikwissenschaften oder der Soziologie.
Wandel in der Medienindustrie
Im afghanischen Journalismus existiert ein System aus finanzieller Macht und Hierarchien. Die Medien folgen den Stimmungen des Markts: Medien sind von Werbeeinnahmen und dem wirtschaftlichen Wachstum abhängig. Das System ist durchaus liberal: Jeder, der die finanziellen Mittel vorweisen kann, kann einen Fernseh- oder Radiosender gründen. Afghanistan hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur einen Wandel in der Gesellschaft, sondern auch in der Medienindustrie erlebt. Das derzeitige Bildungssystem gibt jedoch zu wenige Einblicke in das Thema Medienethik oder in die Verbindungen zwischen Journalismus und Politik, Kultur und Gesellschaft. Eine Reformierung der Ausbildung soll nicht nur dazu beitragen, dass Studierende mit dem entsprechenden Wissen in Theorie und Praxis ausgestattet sind, sondern soll sie auch in ihren soft skills stärken: Es ist wichtig für die Nachwuchsjournalisten, ihr Handeln zu reflektieren und einen ethischen Blick auf den Journalismus zu entwickeln.
In einer Zeit, in der sich die Gesellschaft in Afghanistan grundlegend verändert, sollten die Bürgerinnen und Bürger immer informiert bleiben, eine Stimme haben und – unter den Bedingungen der kulturellen und religiösen Spaltung – ein fundamentales Verständnis voneinander entwickeln. Journalisten müssen eine entsprechende Rolle einnehmen. Die Medien müssen sich vom westlichen Konzept des Journalisten als Wächter distanzieren und stattdessen den Fokus auf die Mediation legen. Medienschaffende können rapide Änderungen in der Gesellschaft herbeiführen, indem sie den Dialog zwischen sozialen Gruppen schaffen und erhalten. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, in der Journalistenausbildung viel Wert auf soziale Fähigkeiten und kritisches Denken zu legen.
Master in Kommunikationswissenschaft würde wichtiges Fundament schaffen
Das Feld der Kommunikationswissenschaft muss in Afghanistan noch wachsen. Afghanische Lehrbücher und Kursinhalte in der Kommunikationswissenschaft entsprechen nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft – und letztendlich brauchen auch die Dozentinnen und Dozenten vermehrt Trainings im Bereich akademischer Lehre. Aus diesem Grund empfiehlt das Forschungsteam eine Reihe von Maßnahmen, wie zum Beispiel die Gründung eines Forschungszentrums für Kommunikationswissenschaft, die Einrichtung einer wissenschaftlichen Datenbank und die Herausgabe einer Fachzeitschrift. Diese Maßnahmen sollten von Experten begleitet werden, die dann auf Konferenzen internationale Kontakte knüpfen und Netzwerke sowie Kooperationen mit Organisationen und Verbänden einrichten können. Um mit den internationalen Standards mithalten zu können, müssen Wissenschaftler in Afghanistan zudem die Lehrinhalte und Bücher aktualisieren und in die lokalen Sprachen des Landes übersetzen.
Die Einführung eines Masterstudiengangs in Kommunikationswissenschaft an afghanischen Universitäten würde ein solches dringend benötigtes Fundament für die akademische Ausbildung und Forschung schaffen. In dem Studiengang sollen die Studierenden sowohl forschen als auch Sachverhalte wie den Einfluss der Medien auf die Politik, auf die Wirtschaft und das alltägliche Leben in Afghanistan diskutieren. Letztendlich kommt es darauf an, in diesem Studiengang junge Akademikerinnen und Akademiker (womöglich die Dozentinnen und Dozenten der Zukunft) auszubilden. Bis dato absolvieren viele Afghaninnen und Afghanen ihre Ausbildung im Ausland (in China, Indien oder Europa), weil es in Afghanistan noch keinen entsprechenden Masterstudiengang gibt.
Um mit den internationalen Standards mithalten zu können, müssen afghanische Dozentinnen und Dozenten auch ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern und mehr Zeit an Institutionen im Ausland verbringen. Universitäten müssen Kooperationen mit akademischen Partnern außerhalb Afghanistans gewährleisten.
Empfehlungen für die Ausbildung in Öffentlichkeitsarbeit
Das Projekt empfiehlt ebenso, einen Bachelorstudiengang in Entwicklungskommunikation zu schaffen. Diese Studiengänge sollen den Studierenden beibringen, gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu unterstützen. Sie sind vor allem für multiethnische Länder relevant – so hat beispielsweise Indien über 35 entsprechende Angebote – oder auch für Länder, deren Mediensystem sich aktuell in einem Stadium der Transformation befindet, wie z.B. auf den Philippinen oder in Indonesien.
Auch wenn Öffentlichkeitsarbeit nicht dieselbe soziale Verantwortung wie der Journalismus trägt, betont das Forschungsteam, dass auch sie eine gesellschaftliche Rolle habe und gibt Empfehlungen für einen PR-Bachelorstudiengang. In solch einem Studiengang könnten beispielsweise die Pressesprecher von Behörden oder nicht-staatlichen Organisationen trainiert werden. Das ist gerade zu einer Zeit, in der die Kommunikation innerhalb der afghanischen Gesellschaft immer komplexer wird, von Bedeutung.
Universitäten sollten berechtigt sein, ein Drittel ihres Curriculums selbst zu bestimmen. Um die Ressourcen der Hochschulen nicht überzustrapazieren und die Qualität der Ausbildung zu sichern, legt das Forschungsteam auch nahe, die Zahl der Studierenden pro Studiengang zu begrenzen.
Selbstverständlich wird solch ein Prozess der Reformation eine langfristige Planung benötigen. Es könnte bis zu zehn Jahren dauern, bis die empfohlenen Studiengänge implementiert werden. Die Bereitschaft der Beteiligten – der Universitäten, Institute sowie der zuständigen Behörden – kann diesen Prozess natürlich positiv beeinflussen und beschleunigen. Die Strukturen innerhalb der afghanischen Gesellschaft sind flexibel und innovative Visionen können zu nachhaltigen Veränderungen und Verbesserungen führen. Wenn Medienschaffende und Kommunikationswissenschaftler kooperieren, können sie gemeinsam entsprechende Verbesserungen in der Journalistenausbildung schaffen und damit einen Beitrag zur Qualität der Medien und somit zur Funktion der Gesellschaft leisten.
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Schlagwörter:Afghanistan, Journalistenausbildung, Kommunikationswissenschaft, Reform, Universität Leipzig, Universität Nangarhar