Das Maximilian-Kolbe-Werk richtet auch im kommenden Jahr wieder zwei einwöchige Begegnungen zwischen Überlebenden des Holocausts und Nachwuchsjournalisten aus Deutschland und Ländern Osteuropas aus (Bewerbungsformalitäten und –voraussetzungen siehe unten). Unter dem Titel „70 Jahre nach Auschwitz“ lädt das Hilfswerk 20 junge Menschen erst nach Auschwitz und später nach Dachau ein, um mit ihnen die Lager zu besichtigen, mit Zeitzeugen zu sprechen und an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zur Befreiung der Konzentrationslager teilzunehmen.
Während des Aufenthalts und auch hinterher sollen die Teilnehmer die Geschichten der Zeitzeugen und ihre eigenen Erlebnisse und Erfahrungen journalistisch verarbeiten. Betreut werden sie dabei unter anderem von einer Journalistin des SWR. Ob ein Teilnehmer am Ende einen Video-Beitrag, ein Radio-Stück, eine Bilderstrecken oder einen Artikel macht, bleibt jedem selbst überlassen. Genauso wie die Auswahl des Medienunternehmens, das die Arbeit später veröffentlicht.
Ann-Kristin Schäfer (25) von der TU Dortmund hat 2012 zusammen mit anderen Deutschen, Russen, Polen, Weißrussen, Ukrainern und Rumänen an dem Programm für Journalisten des Maximilian-Kolbe-Werks teilgenommen. Mit ihrem eigentlichen Studienschwerpunkt – der Wissenschaftsjournalistik und Statistik – hatte ihr Aufenthalt jedoch nichts zu tun. „Ich fand dieses Projekt interessant, deshalb habe ich mich unabhängig von meinem Studium dafür beworben“, sagt Schäfer. Da man das journalistische Handwerkszeug bereits vorher beherrschen sollte, habe sie in dieser Hinsicht nicht viel Neues gelernt. Dafür habe diese Erfahrung jedoch ihren Horizont erweitert, weil sie mit Menschen aus ganz verschiedenen Ländern über Themen und Ideen diskutieren und so einen anderen Blick auf die Geschehnisse bekommen konnte.
In den ersten Tagen des Aufenthalts geht es darum, einander und die Orte Auschwitz und Oświęcim kennenzulernen und Interviewtechniken für Zeitzeugen-Interviews zu lernen. „Dadurch konnte ich vor allem meine Berührungsängste abbauen und ich habe gelernt, in meinen Fragen mutiger zu sein. Das habe ich mich vorher nicht so richtig getraut“, sagt Schäfer. Erst danach treffen die Nachwuchsjournalisten auf die Zeitzeugen, mit denen sie sich in kleinen Gruppen und später alleine unterhalten können. „Eine Zeitzeugin hat uns in Auschwitz zu der Baracke geführt, in der sie als Kind gelebt hat und sie konnte uns sogar ihre Pritsche zeigen“, erzählt Schäfer. Es sei laut Wolfgang Gerstner (55), dem Geschäftsführer des Maximilian-Kolbe-Werks, nochmal ein ganz anderes Gefühl, diese Geschichten bei oft eiskalten Temperaturen am Ort des Geschehens zu hören: „Es ist physisch und psychisch eine Erfahrung, die einen jeden an seine Grenzen bringt.“ Das kann auch Ann-Kristin Schäfer bestätigen. In ihrer Gruppe seien sie alle irgendwann von ihren Eindrücken, Gefühlen und den Erzählungen der Zeitzeugen überwältigt worden.
Die Motivation der Zeitzeugen, an diesem Programm teilzunehmen und sich den Fragen der Nachwuchsjournalisten zu stellen, sei von Mensch zu Mensch unterschiedlich, so Gerstner. Doch es gebe zwei Begründungen, die er immer wieder im Gespräch mit Zeitzeugen gehört habe: Zum einen hätten sie eine innere Verpflichtung, den Verstorbenen gegenüber Zeugnis abzulegen. Und zum anderen werde den Überlebenden immer deutlicher bewusst, dass es auch sie bald nicht mehr geben werde, um davon zu erzählen. Deswegen wollen sie vorher vielen jungen Menschen von ihren Erinnerungen erzählen, damit die Taten und Toten nicht in Vergessenheit geraten. Mit den Nachwuchsjournalisten reden sie, damit die ihre Geschichte aufschreiben, verbreiten und so festhalten. Gegen das Vergessen.
Doch die Erhaltung der Erinnerungen ist nur ein Motiv für das Maximilian-Kolbe-Werk, diese internationalen Begegnungen zu veranstalten. Ein anderes ist es, junge Menschen zum Austausch über die Vergangenheit und das Gedenken zu animieren. „Die jungen Menschen erkennen dann, dass ihre Perspektive auf die Geschichte nicht die einzige ist. Dass die deutsche nur eine von vielen Perspektiven ist und dass die Polen und Ukrainer beispielsweise ganz anders darüber denken“, sagt Gerstner und beschreibt damit eine Erfahrung, die auch Schäfer gemacht hat. Für sie sei es überraschend gewesen zu hören, dass in der Ukraine das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg sehr stark von dem Siegergedanken geprägt sei. Die Ukrainerin Jewgenija, mit der sie sich während des Programms angefreundet hat, hat ihr erklärt, dass es überall in der Ukraine Plätze des Sieges gebe und dass es ein wichtiger Aspekt in der ukrainischen Erinnerungskultur sei. „Diese Erfahrung, dieser Blick über den eigenen Tellerrand, ist für alle Teilnehmer egal welcher Nation sehr heilsam“, so Gerstner. Dieses gegenseitige Verstehen zu fördern ist ein weiteres Anliegen des Maximilian-Kolbe-Werks.
Und es wirkt tatsächlich auch über die direkten Programme hinaus: Zusammen mit einer Freundin, die ebenfalls bei der Internationalen Begegnung dabei war, hat Schäfer Jewgenija im Sommer 2012 in Kiew besucht. Noch heute halten die beiden über Facebook Kontakt – es ist eine Freundschaft entstanden, die das Programm überdauert hat. Und auch das ist für das Maximilian-Kolbe-Werk eine Motivation für das Programm: Man will jungen Menschen dabei helfen, Weggemeinschaften und vor allem Freundschaften über Grenzen hinweg aufzubauen. „Dadurch, dass wir als Nachfahren der Täter und der Opfer zusammen an einem Tisch sitzen und Freundschaft schließen, zerstören wir im Kleinen das, woran Hitler geglaubt hat und was er erreichen wollte“, sagt Ann-Kristin Schäfer stolz. Sie würde sich immer wieder für eine Internationale Begegnung des Maximilian-Kolbe-Werks bewerben.
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Auf einen Blick:
- Bewerbungsschluss ist am 30. November 2014
- Abschluss des Auswahlverfahrens im Dezember
- Voraussetzung: Nachwuchsjournalist zwischen 18 und 30 Jahre
- Homepage des Projekts und Bewerbungsformular (Online Bewerbung)
- Programm für Auschwitz und Dachau
- 20 Teilnehmer
- Verbindliche Teilnahme an beiden Terminen: Auschwitz (22.-28.01.2015) und Dachau (30.04.-03.05.2015)
- Unterkunft und Verpflegung übernimmt das Maximilian-Kolbe-Werk, die Anreise muss selbst organisiert und bezahlt werden (Abholung von den Flughäfen in Kattowitz und Krakau)
Bildquelle: Ho Visto Nina Volare / flickr.com
Schlagwörter:Holocaust, Nachwuchsjournalisten, Zeitzeugen