Gegen Desinformation und für Demokratie: Welchen Einfluss politische Stiftungen auf die Medienlandschaft in Südosteuropa haben können

15. November 2022 • Aktuelle Beiträge, Ausbildung, Internationales, Medienpolitik, Pressefreiheit • von

Die Medien in Südosteuropa stehen vor diversen Herausforderungen: Unterfinanzierung, Personalmangel und politische Abhängigkeiten sind nur einige davon. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) beobachtet die Medienlandschaft in zehn Ländern Südosteuropas seit 15 Jahren. Hendrik Sittig, Leiter des KAS-Medienprogramms Südosteuropa, erklärt im Interview, warum das Bewusstsein für die demokratische Funktion von Qualitätsjournalismus gefördert werden muss.

Hendrick Sittig, im Hintergrund herbstliche Landschaft mit verschneiten Bergen

Hendrik Sittig ist seit 2018 Leiter des Medienprogramms Südosteuropa. Er hat in Leipzig Journalistik und Psychologie studiert und als Journalist unter anderem für den MDR und den RBB gearbeitet.

Herr Sittig, welche Rolle erfüllt das Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung, dessen Leiter Sie sind, auf dem Balkan?

Unser Medienprogramm mit Sitz in Sofia hat den Blick auf zehn Länder: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kosovo, Kroatien, Nordmazedonien, Montenegro, die Republik Moldau, Rumänien und Serbien. Damit sind wir die einzige Organisation, die überregional in Südosteuropa auf die gesamte Mediensituation schaut, nicht nur auf Teilaspekte in einzelnen Ländern. Unser Büro gibt es seit 2007.

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass wir über Transformationsländer reden. Auch wenn die Wende schon mehr als 30 Jahre her ist: Diese Länder durchlaufen einen Prozess von ehemaligen sozialistischen Staaten zu demokratischen Gesellschaften. Das ist ein Prozess, der die gesamte Gesellschaft betrifft und damit auch das Mediensystem. Als politische Stiftung aus Deutschland möchten wir diesen Transformationsprozess unterstützen.

Dabei arbeiten wir nicht allein, sondern immer mit Partnern in der Region zusammen. Die Veranstaltungen unseres Medienprogramms beziehen sich in der Regel nicht nur auf ein Land, sondern berücksichtigen idealerweise Menschen aus allen zehn Ländern. Dabei geht es viel um Netzwerkbildung und darum, dass sich Journalist:innen über Landesgrenzen hinweg zusammenfinden, sich austauschen und sich gegenseitig unterstützen können.

Unsere Arbeit fußt auf drei Säulen. Das ist auf der einen Seite die Aus- und Weiterbildung von Journalist:innen. Dafür organisieren wir Workshops, zum Beispiel zum Thema Mobile Reporting oder eine Sommerschule für investigativen Journalismus. Die zweite große Säule umfasst die Rahmenbedingungen für journalistische Arbeit. Da geht es um Medien-Pluralismus und um die Arbeitsbedingungen für Journalist:innen. Wir organisieren Konferenzen und Runde Tische, arbeiten mit Universitäten zusammen und versuchen, das gesamte Gesellschaftssystem im Blick zu haben. Die dritte Säule liegt nicht direkt im Medienbereich, da geht es um politische Kommunikation, zum Beispiel um die Arbeit von Regierungssprecher:innen oder Sprecher:innen von Behörden.

Mit welchen konkreten Themen beschäftigt sich das Programm inhaltlich?

Einer unserer Schwerpunkte ist natürlich Desinformation. Das Thema betrifft die Region Südosteuropa ganz besonders. Es gibt immer wieder Konflikte, etwa zwischen Serbien und dem Kosovo und die geschichtliche Auseinandersetzung zwischen Bulgarien und Nordmazedonien. Auch Bosnien und Herzegowina ist als Land sehr fragil. Diese Konflikte müssten eigentlich gelöst werden, aber externe Player, wie zum Beispiel Russland, heizen sie durch Falschinformationen an und versuchen, die Gesellschaft zu teilen und die demokratische Basis, die wir haben, zu zerstören.

Für Falschinformationen gibt es hier einen großen Nährboden, weil die Menschen nicht genügend Qualitätsmedien haben, denen sie vertrauen können. Die Konflikte werden dadurch immer weiter verstärkt und sind immer schwieriger zu lösen, das ist ein Riesenproblem. Der Balkan ist schon immer ein Spielfeld von externen Mächten gewesen und ist es auch heute noch. Deswegen müssten wir als Europäer, als Europäische Union, eigentlich ein ureigenes Interesse daran haben, viel stärker in diese Region zu schauen und demokratische Strukturen zu fördern.

Eines unserer Hauptthemen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Zusammen mit der European Broadcasting Union (EBU) haben wir jedes Jahr ein Treffen, bei dem wir die Generaldirektor:innen – in Deutschland sind das die Intendant:innen – der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusammenbringen, um über aktuelle Probleme und Herausforderungen zu sprechen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist aus unserer Sicht ein wichtiges Element der Demokratie. In allen zehn Ländern in Südosteuropa gibt es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der per Gesetz vorgeschrieben ist und auch funktioniert. Aber die Rundfunkanstalten haben sowohl politische als auch finanzielle Abhängigkeiten, die man beobachten und auflösen sollte.

Was sind derzeit die wichtigsten Herausforderungen für die Pressefreiheit in Südosteuropa?

In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen sind die Staaten in Südosteuropa alle im Mittelfeld zu finden. Das größte Problem ist das fehlende Bewusstsein für die Bedeutung von Qualitätsjournalismus in einer Demokratie. Wenn das in der Gesellschaft, bei den Politiker:innen und Unternehmer:innen, stärker verankert wäre, dann würden sich alle anderen Probleme mehr oder weniger von selbst auflösen. Ich nenne immer gerne das Beispiel von Bundeskanzlerin Merkel. In ihrer aktiven Zeit hat sie in einem Videopodcast zum Tag der Pressefreiheit erklärt, warum eine freie und unabhängige Presse so wichtig ist. Das ist ein klares Zeichen von der obersten Ebene, dass an unabhängigem Journalismus kein Weg vorbei führt und dass es nicht akzeptabel ist, wenn Journalist:innen bedroht oder angegriffen werden.

Laut Reporter ohne Grenzen kam 2021 weltweit durchschnittlich fast ein Journalist oder eine Journalistin pro Woche im Zusammenhang mit seiner oder ihrer Arbeit ums Leben. 65 Prozent von ihnen sind demnach gezielt ermordet worden. Mindestens 65 Medienschaffende gelten als entführt.

Es gibt in den Ländern, auf die wir schauen, verbale und auch körperliche Angriffe auf Journalist:innen. Politiker:innen, mitunter auch Ministerpräsident:innen, reagieren auf Fragen in Pressekonferenzen teilweise mit Beleidigungen. Außerdem gibt es willkürliche Klagen und Schmierkampagnen gegen Journalist:innen, um Recherchen zu stoppen und Veröffentlichungen zu verhindern. Immer wieder haben Journalist:innen Probleme, an Informationen zu gelangen. Wenn sie in Behörden anrufen, erhalten sie oftmals keine Auskunft, obwohl die Informationen laut Gesetz öffentlich zugänglich sein sollten.

Dazu kommen ein großer wirtschaftlicher Druck und ein Konkurrenzsystem der Medien untereinander. Viele Medien gehören einflussreichen Personen, werden von Unternehmen oder von Politiker:innen finanziert und berichten einseitig. Letztendlich müssen sie alle mit dem Wandel der Medienwelt von Printprodukten zu Online-Angeboten umgehen. Im Kosovo gibt es zum Beispiel keine einzige Zeitung mehr. Vor allem Video-Inhalte sind jetzt gefragt, auch ehemalige Radio-Journalist:innen sollen jetzt multimediale Inhalte produzieren. Die Medien müssen in neue digitale Angebote investieren, um zu überleben – das bedarf Geld, das oftmals nicht vorhanden ist.

Ein anderes Problem ist die Medienlandschaft. Grundsätzlich sind die Medienmärkte in den südosteuropäischen Ländern klein und auf die Hauptstädte konzentriert. Regionale und lokale Angebote gibt es kaum. Dadurch fehlt die demokratische Kontrollfunktion der Medien auf den unteren politischen Ebenen: Die Menschen erfahren nicht, was in ihrer Stadt funktioniert und was nicht.

Wie wichtig ist „Media Viability“, also die Fähigkeit eines Medienunternehmens, zu überleben, sich anzupassen und sich weiterzuentwickeln, in diesem Zusammenhang?

Grundsätzlich ist das in allen Ländern wichtig. Wenn die Medien nicht überlebensfähig sind, gibt es keine Medien. In Südosteuropa ist das eine besonders große Herausforderung, weil wenig Geld vorhanden ist. Dadurch fehlt qualifiziertes Personal und das macht es wiederum schwierig, unabhängigen Qualitätsjournalismus zu produzieren. Dazu kommt das grundsätzliche Problem, dass es hier eine große Abwanderung gibt. Viele junge Menschen lernen Englisch oder Deutsch und wandern in andere Länder aus, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft sehen. Dadurch wird der Personalmangel immer größer, die Gesellschaft altert.

Die öffentlich-rechtlichen Medien sind in gewisser Weise überlebensfähig, weil sie gesetzlich vorgeschrieben sind und finanziert werden. Allerdings bekommen sie in der Regel zu wenig Geld, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können. Es braucht eine enorme Motivation und einen enormen Idealismus, um hier überhaupt Journalist:in werden oder Medien herausgeben zu wollen. Als KAS-Medienprogramm versuchen wir unter anderem durch Netzwerkbildung zu unterstützen. Wenn sich Journalist:innen und Herausgeber:innen überregional vernetzen, können sie sich gegenseitig dabei helfen, sich weiterzuentwickeln.

Medienentwicklungsarbeit

Unter dem Begriff Medienentwicklungszusammenarbeit versteht man im Allgemeinen Entwicklungsprojekte und -programme mit einer starken Medienkomponente. Im Englischen werden insbesondere drei Begriffe unterschieden, die auf unterschiedliche Aspekte der Medienentwicklungszusammenarbeit aufmerksam machen und unterschiedliche Grundannahmen hervorheben.

Media for development steht für Projekte, die die Medien nutzen um Entwicklungsziele zu erreichen (z.B. im Bereich Gesundheit, Good Governance, Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Menschenrechte etc.)

Media Development steht für Projekte, die die Strukturen freier Medien stärken wollen. Dies durch die Unterstützung von Medienunternehmen, Journalistenverbände, oder der Journalistenausbildung.

Media for social change hingegen sieht in den Medien eine Chance, Entwicklung vermehrt von “unten” her zu realisieren und nutzt Medien und Kommunikation um endogene Prozesse der Entwicklung zu unterstützen.

Seit dem Zerfall Jugoslawiens gibt es zahlreiche internationale Förderungen für unabhängige und demokratische Medien auf dem westlichen Balkan, zum Beispiel auch durch institutionellen Aufbau, wie den von Presseräten oder Medienregulierungsbehörden. Sind die Medien seitdem freier geworden?

Das ist schwierig zu messen. Aber ich glaube, es ist eklatant wichtig, Projekte, die der Demokratie in Transformationsländern zuträglich sind, mit Wissen und Erfahrungen zu fördern. Also Inhalte, die wir aus den Erfahrungen einer demokratisch gefestigten Gesellschaft heraus mitbringen können. Wir erleben, wenn wir Workshops und Konferenzen organisieren, sehr große Dankbarkeit. Denn selbst wenn die Menschen sehr motiviert und engagiert sind, fehlt es häufig an Knowhow, um Dinge allein umzusetzen.

Welche Mechanismen braucht es in Zukunft, um demokratische Stabilität und freie Medien in Südosteuropa zu stärken?

Erstens braucht es von unserer Seite ein sehr viel stärkeres Interesse an den Ländern in Südosteuropa, die so wichtig sind mit Blick auf die Geschichte. Ändern kann sich nur etwas, wenn sich die gesamte Gesellschaft in eine demokratische Richtung entwickelt und wenn die Menschen, die hier leben – und um die geht es ja – selbst ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Demokratie wichtig für sie ist. In Bezug auf Medien und Journalismus muss ein stärkeres Bewusstsein für Qualitätsjournalismus, für unabhängigen Journalismus, für modernen Journalismus gefördert werden. Wenn sich jeder Unternehmer und jede Politikerin darüber bewusst ist, was die Rolle von Journalist:innen in einer Demokratie ist und dass es eine unabhängige Medienlandschaft braucht, dann wissen sie auch, dass Journalist:innen das Recht haben zu recherchieren und nicht dafür verklagt werden können.

Die ganzen Abhängigkeiten innerhalb einer Gesellschaft sind extrem komplex und ambivalent. Der Transformationsprozess beinhaltet Höhen und Tiefen, es geht mal zwei Schritte vor, dann wieder einen Schritt zurück. Aber man darf die Hoffnung nicht verlieren und man muss das große Ganze sehen. Wir haben schon so viele dunkle Kapitel in Europa gehabt und wir sollten dankbar dafür sein, dass wir hier so friedlich leben können – mit Ausnahme des Krieges in Jugoslawien und jetzt des schrecklichen Krieges in der Ukraine. Das ist der Ansatz, warum es die Europäische Union gibt und warum wir unbedingt alles tun müssen, um ein einheitliches, friedliches und demokratisches Europa zu erhalten.

 

Bildquelle: pixabay

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