Das US-amerikanische Journal Journalism & Mass Communication Educator beging Ende 2020 sein 75-jähriges Jubiläum und zeigt in einer Sonderausgabe auf, welche Kompetenzen in der Journalistenausbildung vermittelt werden sollten und wie wichtig die Internationalisierung der Lehrpläne ist.
Im Vorwort der Sonderausgabe fragt sich Jeremy Harris Lipschultz, Professor am Social Media Lab for Research and Engagement an der University of Nebraska Omaha, was uns bis zum Jahr 2045 erwarten könnte: Wird künstliche Intelligenz die Medien und damit die Journalistenausbildung komplett verändern? Werden Absolventinnen und Absolventen, die derzeit ihren Abschluss machen, noch die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Corona-Pandemie spüren? Wird die virtuelle Lehre, die während der Pandemie so schnell eingesetzt wurde, beibehalten? Werden die heute und später herrschenden politischen, sozialen und technologischen Kräfte komplett umkrempeln, was wir unter Journalismus, Information und Unterhaltung verstehen? Eine freie Gesellschaft erfordere einen unabhängigen Journalismus und eine relevante journalistische Ausbildung, betont Lipschultz, doch wirtschaftliche, politische und soziale Veränderungen stünden oftmals im Weg.
„Der Aufstieg des Faschismus, der Vormarsch der digitalen Technologie und die Erosion der wirtschaftlichen Grundlage der Nachrichtenmedien behindern den Journalismus und die Massenkommunikation rund um die Welt“, verdeutlichen auch John V. Pavlik, Professor für Journalismus an der State University of New Jersey, Adnan Abu Alsaad, Professor am College of Media des Dilja University College im Irak und Peter Laufer, Professor für Journalismus an der University of Oregon in ihrem Beitrag. In Kombination mit der zunehmenden Globalisierung des Journalismus und der Medien stellten diese Kräfte außergewöhnliche Herausforderungen dar – aber auch Chancen für den Journalismus und die Ausbildung, so die drei Autoren. Denn diese disruptiven Kräfte böten „einzigartige Möglichkeiten für Innovationen im Journalismus und der medialen Kommunikation“ – von neuen Methoden der Berichterstattung, die sich auf Daten, den Einsatz von Drohnen und Algorithmen stützen, bis hin zu Virtual-Reality-Journalismus.
Um zukünftige Medienschaffende auf einen nachhaltigen Journalismus vorzubereiten und damit den Grundstein für eine gut informierte Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert und darüber hinaus zu legen, sollten laut Pavlik, Alsaad und Laufer in der Journalistenausbildung weltweit zehn Kernprinzipien vermittelt werden. Sie stützen sich dabei auf die bereits 2007 entwickelten Modell-Lehrpläne für Journalistenausbildung der UNESCO, auf sekundäre Daten von Journalistinnen und Journalistenausbildern weltweit sowie auf ihre eigene Erfahrungen, die sie in den vergangenen Jahren in der Journalistenausbildung gemacht haben.
1. das Streben nach Wahrheit in der Berichterstattung
Journalistenausbilderinnen und -ausbilder weltweit sind der Überzeugung, dass die Wahrheit ein Eckpfeiler eines ethischen Journalismus und damit ein grundlegendes Prinzip ist, das alle angehenden Journalistinnen und Journalisten kennen sollten. Eine aktuelle, von der UNESCO finanzierte Studie zur Journalistenausbildung in Südosteuropa, die in dem Beitrag aufgeführt wird, unterstreicht diesen Punkt: „Sie [Journalisten] müssen objektiv, wahrheitsgetreu und aktuell bleiben und dadurch zur Förderung demokratischer Prozesse beitragen“, heißt es darin.
2. originäre Berichterstattung, d.h. Journalismus aus erster Hand
Die originäre Berichterstattung generiert die Grundbausteine (Fakten) für Beiträge und andere Formate wie Datenvisualisierungen. Eine gründliche investigative Berichterstattung ist dabei besonders wichtig, da die Wahrheit oft verschleiert wird. Bei der Nachrichtenerfassung spielt die Faktenüberprüfung eine wichtige Rolle.
3. exzellentes Storytelling
Journalistenausbilderinnen und -ausbilder rund um den Globus schreiben der Beherrschung hochwertiger Erzähltechniken im Journalismus eine entscheidende Bedeutung zu. Bei jedem journalistischen Format sollte exzellentes Storytelling ein wesentlicher Bestandteil sein, auch bei Nachrichtengrafiken, Visualisierungen, Fotos, Videos, Podcasts.
4. Meinungsfreiheit, die öffentliche Kommunikation ohne staatliche Zensur gewährleistet
Unabhängiger Journalismus ist weltweit einer zunehmenden gemeinsamen Bedrohung ausgesetzt: Angriffe auf die Pressefreiheit von Seiten der Politik. In den vergangenen Jahren haben auch in Europa immer mehr Politiker ihre starke Verachtung für die Medien zum Ausdruck gebracht und versucht, kritisch eingestellte Journalisten öffentlich als Staatsfeinde darzustellen (siehe zum Beispiel den Freedom of the Press Report der NGO Freedom House). Um einen soliden öffentlichen Diskurs führen und die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen zu können, müssen Medienschaffende aber die Freiheit haben, die Wahrheit sagen zu können. Die Rede- und Pressefreiheit ist essenziell für den Journalismus und ein unter Journalistenausbildern rund um den Globus weithin akzeptiertes Prinzip.
5. Unabhängigkeit, d.h. Verpflichtung gegenüber der Wahrheit und der Öffentlichkeit, nicht gegenüber Quellen oder Organisationen
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sind für Journalistinnen und Journalisten notwendig, um Nachrichten liefern zu können, denen die Öffentlichkeit vertraut. Sie sollten eine neutrale Position zu Themen von öffentlicher Bedeutung einnehmen und Meinungen von faktenbasierten Nachrichteninhalten trennen
6. neue Medien und Kommunikationstechnologien
Neue Plattformen und Geräte ermöglichen es Journalistinnen und Journalisten, tiefgründiger zu berichten, mehr Kontext zu liefern und ein immer breiteres Spektrum an digitalen Werkzeugen zu nutzen, um eine oft skeptische Öffentlichkeit zu erreichen, die sich von traditionellen Nachrichtenmedien nicht mehr angesprochen fühlt. Medienschaffende sollten sich auf für das Internet-Zeitalter optimierte Formate einlassen, einschließlich Multimedia, Geolocation, Augmented Reality, Virtual Reality und Mixed Reality.
7. Genauigkeit in der Berichterstattung
Journalisten müssen die Genauigkeit und Verlässlichkeit ihrer Fakten sicherstellen, indem sie sich, wo immer möglich, auf mindestens zwei verlässliche Quellen stützen. Genauigkeit in der Berichterstattung schafft Vertrauen. Wenn jedoch Fehler auftreten, was unvermeidlich ist, da Journalistinnen und Journalisten nicht unfehlbar sind, sollten Medien den Fehler umgehend korrigieren und eine Richtigstellung veröffentlichen.
8. Inklusion, d.h. Diversity und Einbeziehung aller Menschen und Standpunkte
Inklusion ist eine effektive Methode, um ein breites Spektrum an Ansichten und Stimmen einzubeziehen. Dabei sollte ein Medienunternehmen nicht nur Diversität in Bezug auf Rasse, Geschlecht und Identität bei seinen Mitarbeitenden sicherstellen, sondern auch in der Berichterstattung Vertreterinnen und Vertreter aller Gruppen, insbesondere aus marginalisierten, zu Wort kommen lassen.
9. Kontext, d.h. Einordnung der Nachrichten in einen politischen, historischen und kulturellen Zusammenhang
Einer der größten Fehler, den man im heutigen Journalismus machen kann, ist es, sich ausschließlich auf das Neue zu konzentrieren und Nachrichten ohne Kontext zu liefern. Die Öffentlichkeit kann aber erst mit eben diesem Kontext die aktuelle Nachricht und ihre Bedeutung vollständig verstehen. Journalisten sollten deshalb immer den rechtlichen, politischen und kulturellen Kontext berücksichtigen und auch breitere Verbindungen zu Geschichte, Wirtschaft und auch Bereichen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit schaffen.
10. Ethik
Ethik bietet den moralischen Kompass, der es Journalisten ermöglicht, verantwortungsbewusst zu arbeiten und die Unterstützung und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu erhalten. Journalistinnen und Journalisten sollten auf eine sozial verantwortliche Art und Weise recherchieren und immer sorgfältig abwägen, ob das Recht der Öffentlichkeit auf Information oder das Recht auf Privatsphäre höher wiegt. Sie dürfen zudem Fakten nicht absichtlich falsch darstellen und nicht plagiieren. Letztlich bedeutet eine ethische journalistische Praxis, nichts zu tun, was die Wahrheit gefährden könnte.
Internationalisierung der Journalistenausbildung vorantreiben
Wichtig sei auch, die Internationalisierung von Curricula in der Journalistenausbildung voranzutreiben und die Lehre von kollaborativem Cross-Border-Journalismus zu verankern, heißt es in einem weiteren Beitrag der Sonderausgabe. Sowohl neue digitale Kommunikationstechnologien als auch die Auswirkungen der Globalisierung hätten gezeigt, wie notwendig heutzutage ein Journalismus sei, der über den Tellerrand blickt und global ausgerichtet ist, betonen Belinda Middleweek, Senior Lecturer an der University of Technology Sydney (UTS) in Australien, Monica Attard, Professorin für Journalismus an der UTS und Bruce Mutsvairo, Professor für Journalismus an der Auburn University in den USA. Eine stärker global ausgerichtete Perspektive untermauere auch die jüngsten Forderungen nach internationaler Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Medienschaffenden (siehe hierzu auch das Handbuch zum Cross-Border-Journalismus von Brigitte Alfter).
Das 2019 gestartete Global Journalism Project, in dem sich das Autorenteam engagiert und das sie in ihrem Beitrag analysieren, ist ein Beispiel dafür. Mehr als 260 Studierende von der UTS in Australien, der Aga Khan University in Kenia, der Makerere University in Uganda, der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der Babes-Bolyai-Universität in Rumänien, der Scuola di Giornalismo Walter Tobagi in Italien und der Columbia Journalism School in den USA haben virtuell in bilateralen Gruppen zusammenarbeitet und gemeinsam multimediale Beiträge, die für ihre jeweiligen Partnerländer relevant sind, recherchiert und produziert, unter anderem zu den Themen Klimawandel, Flüchtlinge und Armut.
Wie die Projektevaluation zeigt, arbeiteten die Studierenden mit großer Begeisterung in diesem internationalen Lernumfeld – ungeachtet der Herausforderungen, die ihnen in diesem Setting begegneten. Das größte Hindernis, so Middleweek, Attard und Mutsvairo, sei die schlechte Internetverbindung in einigen Ländern wie zum Beispiel in Uganda gewesen, die die Kommunikation untereinander beeinträchtigt habe. Nichtsdestotrotz überwögen die Vorteile, allen voran die Entwicklung eines globalen Bewusstseins und Verständnisses für die Bedingungen der journalistischen Praxis in anderen Ländern, was grundlegend für die Ausübung eines ethischen Journalismus im 21. Jahrhundert sei.
Basierend auf ihrer Evaluation des Global Journalism Project empfehlen Middleweek, Attard und Mutsvairo für eine Internationalisierung des Lehrplans die Berücksichtigung folgender Leitlinien:
1. Es sollten Module eingebettet werden, die das Bewusstsein der Studierenden für Informationsarmut und digitale Spaltung und damit für Infrastrukturfragen im internationalen Journalismus sensibilisieren.
2. Mitarbeitende und Studierende sollten ermutigt werden, eine vielfältige und abwechslungsreiche Kommunikationsumgebung zu entwickeln, die den interkulturellen, technologischen und geografischen Unterschiede der Partnerländer, mit denen zusammengearbeitet wird, Rechnung trägt.
3. Die Studierenden sollten sich mit den sozialen und kulturellen Faktoren vertraut machen, die die journalistische Praxis im Land ihrer Partner beeinflussen könnten, um ein stärkeres Bewusstsein für die Arbeitsweise ihrer Partner zu bekommen.
Schlagwörter:Cross-Border-Journalismus, Ethik, Global Journalism Project, Internationalisierung, Journalism & Mass Communication Educator, Journalistenausbildung, Pressefreiheit, Storytelling