Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung
Auch unter Journalismus-Lehrbüchern gibt es Mogelpackungen.
Sandra Baur lässt uns zwar wissen, was Videojournalismus ist: Von herkömmlichem Fernsehjournalismus unterscheidet er sich vor allem darin, dass der Journalist zu einer Art eierlegender Wollmilchsau mutiert, die nahezu alles kann – er ist zunächst Reporter, Kameramann und Tontechniker und dann auch noch sein eigener Redaktor und Cutter.
Als Vorteile nennt Baur neben Kostenersparnis, dass Videojournalisten im Vergleich zu herkömmlichen Fernsehjournalisten «flexibel, vielseitig einsetzbar und schnell am Ort des Geschehens» seien. Der organisatorische Aufwand, ein ganzes Team zu koordinieren, entfalle, es gebe keine zwischenmenschlichen Differenzen, keine Verständigungsprobleme, und somit entstehe «ein Endprodukt aus einem Guss». Als Nachteile des Einzelkämpfertums listet die Autorin dann immerhin – merkwürdig distanziert – «Überforderung und Dreifachbelastung» auf.
Sonst hat die Verfasserin, die als Diplom-Ingenieurin für Medientechnik weit mehr von Kamera- und Aufnahmetechnik als von Journalismus zu verstehen scheint, sich leider wenig Mühe gegeben, ihr technisches Wissen so zu übersetzen, dass Berufseinsteiger damit etwas anfangen können – und ziemlich wahllos Information angehäuft. Vieles, was Baur in den ersten Kapiteln zum Fernsehen im Wandel der Zeit, im Wandel der Technik und im Wandel der Wirtschaft und Gesellschaft ausbreitet, ist eher Schnee von gestern. Partiell mag es wissenswert sein, hat aber mit Videojournalismus im engeren Sinn nichts zu tun. Inhaltlich ist das Thema verfehlt, die Quellen sind eher dürftig. Vom Textumfang her bescheiden, wurde das Buch durch Grossdruck und doppelten Zeilenabstand zu über 200 Seiten aufgeplustert. Das ist Papierverschwendung, und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt nicht.
Sandra Baur: Videojournalismus. Grundlagen, Instrumente, Praxistipps. VDM-Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2006.
Schlagwörter:Lehrbuch, Rezension, Videojournalismus