Datenjournalismus: Fünf Tipps aus Portugal

9. August 2019 • Digitales, Internationales • von

Als ich 2016 in der Redaktion von Rádio Renascença anfing, hatte ich ein klares Ziel vor Augen: eine der ersten Datenjournalismus-Einheiten Portugals aufzubauen und mit Hilfe von Daten und Programmierung neue Wege des Geschichtenerzählens zu finden. In den drei Jahren, die seitdem vergangen sind, habe ich viele neue Dinge ausprobiert, die von Blogposts, Twitter-Threads und Antworten von Stack Overflow (eine Internet-Plattform für Software-Entwickler; Anm. d. Red.) inspiriert wurden, unzählige Misserfolge erlebt und viel aus meinen Fehlern gelernt. 

Die portugiesische Medienlandschaft hat sich in dieser Zeit nicht viel verändert. Es gibt nach wie vor nicht mehr als eine Handvoll Datenjournalisten. Immer wieder wird betont, wie wichtig Daten und Programmierkenntnisse sind, aber nur wenige Journalismus-Studiengänge haben eine datenjournalistische Ausbildung in ihre Lehrpläne integriert. Hackathons sind immer noch auf den IT-Sektor und den Regierungsapparat beschränkt, „open data” sind eine Illusion und selbsternannte Datenjournalisten (mich eingeschlossen) kommen nur gelegentlich dazu, vertieft mit Daten zu arbeiten.

Diese Beschreibung könnte den Eindruck erwecken, dass der Datenjournalismus Portugal links liegengelassen hat. Das stimmt so aber nicht. Das Tempo des Wandels ist nur sehr langsam – zu langsam im Vergleich mit anderen Ländern.

Während ich eine Datenjournalismus-Einheit aufgebaut und sie in den Workflow eines Mediums integriert habe, das seit 83 Jahren besteht, habe ich einige Lektionen gelernt, die ich an alle weitergeben möchte, die vergleichbare Projekte in ihrer Redaktion umsetzen möchten.

1. Werden Sie ein journalistisches Einhorn

Journalisten, die programmieren können, sind die Einhörner der Medienindustrie: Sie sind seltene Kreaturen, die nicht nur über journalistische Kenntnisse verfügen, sondern sich auch beim Programmieren und der Datenanalyse (und bis zu einem gewissen Punkt beim Design) auskennen. Diese besondere Mischung von Fähigkeiten macht sie sehr begehrt. Diese „Unicorns“ sind aber noch seltener, als viele glauben. Deshalb lautet mein Rat an alle, die datenjournalistische Projekte in ihrer Redaktion umsetzen möchten: Werden Sie selbst eins. Es hat keinen Sinn, darauf zu warten, dass Ihre Redaktion einen Programmierer beauftragt, der Ihnen hilft, Ihre Idee umzusetzen – das wird einfach nicht passieren. Aber die gute Nachricht ist: Es gibt viele Möglichkeiten, wie Sie anfangen können. Es gibt zahlreiche kostenlose Online-Kurse, GitHub ist voll von tollem Material, und die Community ist immer bereit, Hilfe anzubieten. Haben Sie keine Angst zu fragen!

2. Passen Sie Ihre Erwartungen an

Sie haben sich die Shortlist der Data Journalism Awards angeschaut, das Data Journalism Handbook gelesen und einige datenjournalistische Projekte vom Guardian, der New York Times, FiveThirtyEight, La Nación oder der Berliner Morgenpost angesehen (um nur einige zu nennen). Diese Projekte sind Meisterwerke.

Selbstverständlich würde man selbst gerne auch etwas so Großartiges produzieren, aber man sollte lernen, seine Erwartungen anzupassen und wissen, was mit den eigenen verfügbaren Ressourcen möglich ist. Das bedeutet nicht, dass Sie nicht hoch zielen sollten. Sie sollten sich aber nicht frustrieren lassen, wenn das Ergebnis noch nicht perfekt ist. Der Weg ist das Ziel.

3. Lernen Sie, wie man Zeit gewinnen kann

Meine Redakteurin macht sich immer über mich lustig, wenn sie eine verrückte neue Idee hat und ich dann antworte. „Das ist möglich. Aber ich brauche etwas Zeit, um zu lernen, wie man das macht.“ Selbst wirklich talentierte und erfahrene Programmierer brauchen Zeit zum Lernen (und zum Denken sowie zum Schreiben und Debuggen von Code). Wenn Sie also wirklich dieses neue unglaubliche Projekt starten möchten: lernen Sie, mit Ihrer Redaktion die Zeit auszuhandeln, die Sie dafür benötigen.

(Noch ein Hinweis: Mit der Annahme, dass es nur ein paar Minuten dauert, liegt man immer daneben.)

4. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie sich wie ein Hacker in Ihrer eigenen Redaktion fühlen

Die meisten Medienunternehmen können mit Journalisten, die programmieren können, noch nicht umgehen: Journalisten dürfen keinen Zugriff auf Server, interne Programmierschnittstellen oder ähnliches haben – das ist das Reich des IT-Teams.

Ich verstehe das schon. Datenjournalisten sind etwas Neues und IT-Mitarbeiter sind es nicht gewohnt, mit ihnen umzugehen. Sie sagen deshalb weiterhin: „Das ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich.“

IT-Teams macht es auch nervös, dass viele Datenjournalisten keine formale Ausbildung in Informatik haben. Das bedeutet, dass sie manchmal einen etwas unorthodoxen Ansatz verfolgen, Hauptsache es funktioniert. Und wir Journalisten sind nun einmal neugierige Kreaturen – so kann es kann durchaus passieren, dass wir etwas kaputtmachen.

Die gute Nachricht ist: Wenn Sie über Programmierkenntnisse verfügen, sprechen Sie mit etwas Glück die gleiche Sprache wie das IT-Team. Sie werden keine Schwierigkeiten haben, den Kollegen zu erklären, warum etwas Ihren Workflow stört – und Sie könnten sogar neue Freunde finden. Lassen Sie sich einfach nicht von scheinbaren Barrieren davon abhalten, neue Dinge auszuprobieren.

5. Hören Sie auf, so zu tun, als hätten Sie einzigartige Superkräfte

Die Fähigkeit, Daten zu kodieren und zu analysieren, kann einem das Gefühl geben, mit magischen Kräften ausgestattet zu sein. Das ist verständlich. Aber das Gefühl, als Programmierer in der Redaktion allein auf weiter Flur zu sein, kann sich auch plötzlich in ein „Diva-Syndrom“ verwandeln. Sie können leicht das Gefühl bekommen, dass niemand Ihre Mühen wirklich versteht – aber haben Sie jemals versucht, sie zu erklären?

Jedes Mal, wenn ich mit „traditionellen“ Journalisten an einem Projekt arbeite, erkläre ich ausführlich, wie die Datenanalyse durchgeführt wird. Wenn es notwendig wird, zu „scrapen“, sage ich ihnen, dass es keinen einfachen Weg gibt, Daten auf einmal herunterzuladen, weshalb man einen kleinen „Roboter“ erstellen muss, der von Seite zu Seite geht, um die benötigten Daten zu sammeln.

Und plötzlich beginnen die Kollegen zu verstehen, was man da tut. Nicht nur das, sie machen auch Vorschläge zur Lösung bestimmter Probleme. Das ist eines der schönsten Dinge, die einem Datenjournalisten passieren können.

 

Bildquelle: jwyg / Flickr CC: Data Journalism Handbook – Chapter 6: Delivering Data; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

 

Dieser Beitrag wurde auch auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht. 

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer.

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