Die Ergebnisse einer computergestützten Analyse zeigen, zu welchen Medien und Themen Bundestagsabgeordnete auf Twitter Links teilen und wie vielfältig die damit verbundene Themenagenda ist. Die AfD nimmt dabei eine Sonderrolle ein.
In der Vergangenheit wurde viel über Echokammern geschrieben, also über die Gefahr, dass soziale Medien ein verzerrtes Bild der Realität vermitteln; dass sie User ausschließlich mit Gleichgesinnten vernetzen und Inhalte präsentieren, die ihre Weltsicht bestätigen. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass diese Gefahr nicht für alle Menschen gleichermaßen besteht – für viele User sind soziale Medien auch eine Möglichkeit, mit vielfältigen Informationen und Meinungen in Kontakt zu kommen. Daneben gibt es jedoch auch eine Gruppe von Nutzern, auf die die Filterblasen-Hypothese besser zuzutreffen scheint. So zeigen Studien, dass insbesondere Vertreter extremer Ideologien Medien auswählen oder empfehlen, die ihrer Weltsicht entsprechen und ihre Identität stärken. Sie sind zudem stärker untereinander vernetzt und isolieren sich deutlicher von Andersdenkenden. Eine große Rolle spielen hierbei politische Meinungsführer – sie sind zentrale Knoten in den Selbstbestätigungsnetzwerken.
Der Praxis des Teilens journalistischer Inhalte kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Der Verweis auf etablierte Medien unterstreicht den eigenen Geltungsanspruch als legitime Partei im politischen Diskurs. Gleichzeitig nutzen Populisten die Möglichkeiten sozialer Medien, um entsprechend ihrer ideologischen Ausrichtung Themen besonders hervorzuheben. Es ist bisher unklar, wie sich diese Verschiebung der Gatekeeper-Instanz inhaltlich auswirkt. Wir haben daher das ‚Verlinkungsverhalten‘ deutscher Bundestagsabgeordneter auf Twitter untersucht – mit besonderem Augenmerk auf der rechtspopulistischen AfD.
Den Ausgangspunkt unserer aktuell erschienenen Untersuchung bildeten 846.744 Tweets, die in dieser Legislaturperiode von Bundestagsabgeordneten gepostet wurden, sowie 56.107 darin verlinkte Texte.
Unsere Resultate zeigen zunächst, dass populistische Akteure häufiger als andere auf Medien verlinken und dabei durchaus vielfältige Quellen nutzen – würde man allein die Vielfalt verlinkter Medien vergleichen, käme man zum Schluss, dass sich das Gatekeeping von AfD-Bundestagsabgeordneten nicht deutlich von dem der anderen Politiker unterscheidet. Selbst die von AfD-PolitikerInnen am häufigsten verlinkten Seiten setzen sich fast ausschließlich aus journalistischen Medien zusammen (siehe Tabelle). Mit Ausnahme von Junge Freiheit, Tichys Einblick und der Seite der AfD-Fraktion im Bundestag finden sich keine per se populistischen Quellen; im Gegenteil teilen AfD-PolitikerInnen sowohl Inhalte von Medien, die als konservativ gelten, als auch Links zu liberalen Medien, Boulevard-Inhalte genauso wie Texte aus Qualitätszeitungen.
Vergleicht man nun die externe Vielfalt anhand der Anzahl der unterschiedlichen, verlinkten Informationsmedien[1] pro Partei, ergibt sich folgendes Bild: Die Grünen verlinkten auf 179 verschiedene Quellen, die AfD auf 175, die Linke auf 174, die FDP auf 165, die SPD auf 164 und die CDU/CSU auf 157 externe Seiten. Die Quellen allein sind indes nicht sonderlich aussagekräftig. Die PolitikerInnen können schließlich als secondary Gatekeeper (Singer 2013) auch aus einer Vielfalt von Quellen Texte zu sehr speziellen Themen kuratieren – wie vielfältig ihre Agenda ist, sieht man erst, wenn man die Inhalte analysiert.
Zu diesem Zweck haben wir eine computergestützte Methode angewandt: Das Themenmodell LDA findet automatisiert inhaltliche Zusammenhänge in großen Textsammlungen. So war es uns möglich festzustellen, zu welchen Themen die ParlamentarierInnen Links teilen und – in einem weiteren Schritt – wie vielfältig die damit verbundene Themenagenda ist. Dafür haben wir auf Basis des Topic-Modeling-Verfahrens den Gini-Koeffizienten der Themenverteilung berechnet (getestet mit insgesamt 56 verschiedenen Variablenkonstellationen).
Betrachtet man nun die Durchmischung der Themen (siehe Abb. 1), lassen sich zunächst grob zwei Kategorien von Topics unterscheiden: Cluster, die deutlich von einer (oder von wenigen) Parteien dominiert werden und Themen, die eine relativ gleichmäßige Durchmischung aufweisen.
Insbesondere der Blick auf die Themen der letztgenannten Kategorie verdeutlicht die inhaltliche Nähe der Verlinkungspraxis zur jeweiligen politischen Programmatik. So gibt es Expertentopics, die eindeutig von einer bestimmten Partei bedient werden: Die Grünen besetzen beispielsweise die Themenbereiche Daten- und Naturschutz; FDP-PolitikerInnen posten intensiv zu Themen wie Verkehr und Wirtschaft; PolitikerInnen der Linken posten vermehrt zu internationalen Konflikten.
Neben diesen durch Issue-Ownership (Petrocik 1996) charakterisierten Topics gibt es Themenbereiche, in denen eine deutliche Polarisierung zwischen zwei Parteien sichtbar wird: Beispielsweise dominieren Grüne und FDP in den umstrittenen Bereichen Klimaschutz und Autoindustrie (in der Heatmap sind die Themen für beide Parteien rötlich eingefärbt). Neben diesen Topics, die von zwei diametral positionierten Parteien dominiert werden, gibt es solche, in denen die Regierung kritisch thematisiert wird, besonders deutlich im Topic Innere Sicherheit – hier äußern sich alle Parteien bis auf die Regierungsfraktionen.
Die rechtspopulistische AfD nimmt eine Sonderrolle ein: Die vier Themen, die am deutlichsten durch eine Partei besetzt werden und daher auch den höchsten Gini-Koeffizienten aufweisen, sind populistische Kernthemen, die von der AfD bedient werden (unten links in der Heatmap – in geringer thematischer Distanz: Migration, Kriminalität, Rechtsextremismus[2] und Minderheiten). Gleichzeitig spielt die AfD in vielen Themenbereichen keine Rolle, beispielsweise in den Bereichen Daten-, Klima- und Umweltschutz oder bei Fragen des Mietmarktes.
Die AfD ist damit eindeutig die Partei, deren thematisches Engagement sich am ungleichmäßigsten über die Palette der Topics verteilt. Mit anderen Worten: Die Themenpalette der AfD weist deutlich weniger Vielfalt auf als die der anderen Parteien (siehe auch Abbildung 2).
Der Mehrwert einer Analyse auf Inhaltsebene – statt nur auf Quellenebene – wird hier evident. Die Kontrastierung beider Ebenen ermöglicht darüber hinaus, die Beobachtung der Paradoxie populistischer Kommunikation (vgl. Haller und Holt 2019) auf die Ebene des Gatekeepings zu übertragen: Die Verlinkung traditioneller journalistischer Quellen verleiht der dahinterstehenden populistischen Agenda Seriosität. Diese unterstützt als Zerrspiegel der journalistischen Agenda paradoxerweise gleichzeitig die populistische Kritik an journalistischer Themensetzung.
[1] In diese Auswertung wurden alle Quellen einbezogen, die mindestens zehnmal verlinkt wurden (296 Seiten, aussoziiert mit 88,5 Prozent aller Verlinkungen) – abgezogen wurden politische und staatliche Informationsangebote, also beispielsweise Politikerblogs, Parteiseiten, Seiten von Ministerien etc. (resultierend in einer Liste von 206 Seiten).
[2] Dieses Thema wird im Sinne einer Strategie der doppelten Differenzierung (Groshek und Engelbert 2013) instrumentalisiert: Die AfD-Politiker empören sich hier über den Vorwurf der rechten Ideologie (Abgrenzung zum Extremismus) und bekunden gleichzeitig Sympathien für rechte Demonstrationen etc. (Abgrenzung zur Elite).
Studie:
von Nordheim, G., & Rieger, J. (2020). Im Zerrspiegel des Populismus: Eine computergestützte Analyse der Verlinkungspraxis von Bundestagsabgeordneten auf Twitter. Publizistik, 65(3), 403–424. https://doi.org/10.1007/s11616-020-00591-7 https://link.springer.com/article/10.1007/s11616-020-00591-7
Weitere Ressourcen zur Studie finden Sie unter https://github.com/JonasRieger/zerrspiegel
Referenzen:
Groshek, J., & Engelbert, J. (2013). Double differentiation in a cross-national comparison of populist political movements and online media uses in the United States and the Netherlands. New Media & Society, 15, 183–202.
Petrocik, J.R. (1996). Issue Ownership in Presidential Elections, with a 1980 Case Study. American Journal of Political Science, 40, 825–850.
Haller, A., & Holt, K. (2019). Paradoxical populism: how PEGIDA relates to mainstream and alternative media. Information, Communication & Society, 22:12, 1665–1680.
Singer, J.B. (2013). User-generated visibility: Secondary gatekeeping in a shared media space. New Media & Society, 16, 55–73.
Bildquelle: pixabay.com
Schlagwörter:AfD, Bundestagsabgeordnete, Gatekeeping, LDA, links, Twitter