Die Verabschiedung von der Verantwortung

28. Mai 2015 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Digitalisierung und ihre Folgen für den Journalismus beschäftigen auch die Forschung. Klaus Dieter Altmeppen, Journalistik-Professor in Eichstätt, erhebt nun Einspruch gegen einige der zum common sense erhobenen Schlussfolgerungen.

Newssnacker nennt die Mediennutzungsforschung diejenigen, die vor allem Nachrichten über soziale Medien empfangen

Newssnacker nennt die Mediennutzungsforschung diejenigen, die vor allem Nachrichten über soziale Medien empfangen

Liebe Newssnacker, die ihr Nachrichten über die sozialen Medien empfangt, jenen schnellen Nachrichtensnack am Morgen, wenn der Handywecker noch snoozt. Schnell die drei Schlagzeilen im Halbschlaf gelesen, nicht richtig verstanden, aber Nachrichten behalten tun wir sowieso nicht, wir wissen morgens schon nicht mehr, was die Tagesschau abends gesendet hat. Dafür können wir uns nun verbrüdern, wir alle sind das Publikum, das jetzt aktiv wird, das zu souveränen Akteuren wird. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Projekt, wir sind alle Journalistinnen und Journalisten, willkommen in der Welt. Diese digitale Newswelt ist eine einzige Redaktion, wie schon John Hartley vor zehn, elf Jahren gesagt hat. Ich habe da so meine Zweifel an der neuen Mündigkeit des Publikums, die ich gern an einigen Punkten aufspießen will.

Die Macht des Publikums ist kein Alien

Liebe Kolleginnen und Kollegen_innen da draußen im digitalen Orbit, liebe Krautreporter_innen und Connectivisten, hören Sie bitte auf zu behaupten, das Publikum sei der neue Souverän und hören Sie auf zu behaupten, Sie würden den besseren Journalismus machen. Ich fordere dies in ihrem eigenen Sinne, denn sie sollten nicht weiter die Glaubwürdigkeit des Berufsstandes in Zweifel ziehen, an dem Ihr Herzblut hängt, wie Ihre Vorträge und Publikationen gezeigt haben.

Die Macht des Publikums ist kein Alien, ist kein unbekanntes Objekt, das wie eine Lawine über uns kommt: Die Agenda-Setting-Theorie ist eine der am meisten bestätigten in der Kommunikationswissenschaft. Es gibt immer schon drei Agenden – eine Medienagenda, eine politische Agenda und eine Publikumsagenda. Was wir mit der „digitalen Moderne“ erleben, ist einfach nur, dass wir diese Publikumsagenda sehr viel schneller erkennen können. Das ist das, woran vor allem die Internetkonzerne interessiert sind, weil sich damit Geld machen lässt.

Aus dieser Publikumsagenda ergibt sich durchaus eine neue Macht, es ist vor allem die Macht der Banalisierung. Ein Beispiel? Im Februar bei Google: Udo Jürgens – 9,6 Millionen Einträge. Kathrin Oertel, Sie erinnern sich – Pegida, nicht mal zehn Prozent davon, 900.000 Einträge. Das ist die Macht der Banalisierung, und es ist nicht die Macht der Medien. Nur weil wir Google und Facebook zu Medien erklären, sind es nicht gleich Medien im Sinne journalistischer Berichterstattung, professionell, autonom, ethisch fundiert. Es ist die Macht digitaler Distributionsplattformen, die vor allem Vernetzung betreiben und damit die Macht einer großen Menge haben, massenkommunikative Macht. Facebook ist so etwas wie das digitale Viagra, immer, wenn ich öffentliche Erregung haben möchte, gehe ich auf Facebook und kann versuchen, sie dort zu stimulieren.

Das Internet ist nicht die Lösung, sondern das Problem für Misstände im Journalismus

Wenn das Publikum eine „fünfte Gewalt“ ist, woran ich gar nicht unbedingt zweifeln würde, hätte ich gern den Journalismus weiterhin als „vierte Gewalt“, der die drei bekannten Gewalten und diese „fünfte Gewalt“ in ihrer Macht hinterfragt, der sie kontrolliert, der mir sagt, wer ist das eigentlich, der dort diese Viagra-Funktion nutzt, der dort öffentliche Erregung fabriziert. Denn Social Media sind nur ein Technologiepush, der durch den Ökonomiepull monetarisiert wird. Und ich bin überzeugt davon: Wenn ein zweites 9/11 passiert werden jene Blogger, die derzeit als Hypes im Internet gefeiert werden, in der Bedeutungslosigkeit versinken. Alle Nutzer_innen werden dorthin gehen, wo sie die vertrauten und die gewohnten Informationen bekommen: zu den traditionellen Medien. Das Internet ist nicht die Lösung, sondern das Problem: die Missstände, die es im Journalismus ohne Frage gibt, sollen mit den Möglichkeiten des Internets der Dinge, des Digitalen und damit vor allem durch das Publikum behandelt und geheilt werden.

Ich halte das Publikum nicht gerade für den Missstand im Journalismus. Ein Missstand ist die Rationalisierung in den Redaktionen und Medienunternehmen, die dafür sorgt, dass der Journalismus seinen Aufgaben gar nicht mehr so nachkommen kann, wie er es sollte. Ein weiterer Missstand ist die Tatsache, dass die Internetkonzerne, die so vorschnell als Medien etikettiert werden, Inhalte brauchen. Dafür haben Sie das Publikum entdeckt, dass durch seine Posts, Einträge, Filme, Fotos – also durch seine digitalen Leistungen – zum Produzenten wird. Zum prekären Produzenten, denn bezahlt wird nichts. Der Reiz der Verführung, die Illusion einer digitalen Gemeinschaft sind die Gegenleistungen für das profitträchtige Geschäftsmodell der Internetkonzerne. Das Publikum ist Kunde und Kernkompetenz in einem. Der „Prosumer“ ist kein Akt der Befreiung von der passiven Publikumsrolle, sondern die Enteignung des Publikums am Fließband der Content-Produktion.

Und da es der Inhalte nicht genug geben kann, wird der Journalismus von den Internetkonzernen gleich selbst als eine Sozialtechnologie genutzt – als eine Sozialtechnologie zur Erstellung von Inhalten. Yahoo wie Google haben vor Jahren versucht, Newsredaktionen aufzubauen, beide Konzerne sind gescheitert, weil sie feststellen mussten: Journalismus ist eine soziale Praxis, die nicht einfach kopierbar ist. Da gehört ökonomisch wie kulturell mehr dazu als nur zu wissen, wie recherchiert, wie formuliert und wie präsentiert wird. Nun haben die Yahoos, Googles, Facebooks und Twitters den Weg gefunden zu Inhalten: Sie saugen den Journalismus mit ihrer schieren Massendistribution auf ihre Netzseiten, sie machen ihn zum Kompagnon wie zum Wettbewerber des Produzenten Publikum. Und so werden sie, ohne Eigenes zu produzieren, ohne den Ballast einer teuren Content-Produktion und ohne die Verpflichtung auf irgendwelche ethischen und verantwortlichen Dimensionen, als digitale Distributeure ganz schnell zu Medienunternehmen. Wie wunderbar!

Digitale Techniken sind nicht einfach nur Werkzeuge

Internetkonzerne und die Enteignung des Publikums sind die eine Seite der digitalen Industrie 4.0. Die andere ist die Digitalisierung des Journalismus und seiner Technik. Diese wurde, ob Fotosatz oder Online-Journalismus, immer als Werkzeug, als Instrument bezeichnet. So erleben wir es nun auch mit Roboterjournalismus, Drohnenjournalismus, Datenjournalismus, Sensorjournalismus: Das sei ja wie mit dem Telefon, nur ein Werkzeug. Da aber fängt die Verharmlosung an. Die digitalen Techniken nur als Werkzeug zu bezeichnen ist eine unzulässige Verharmlosung. Diese Techniken sind weder gut noch böse, aber sie werden in einem Aneignungsprozess in den jeweiligen Redaktionen oder auch irgendwo ganz anders – Drohnen, Roboter finden wir ja überall – angewendet. Und dieser Aneignungsprozess heißt nichts anderes als: da stehen Interessen dahinter. Interessen der Hersteller, Interessen der Datensammler, Interessen der Redaktionen, Interessen der Medienunternehmer. Diese Interessen werden in machtvollen Aushandlungen durchgesetzt. Doch wo bleibt die Moral?

Algorithmen haben keine Moral, und Roboter übernehmen keine Verantwortung. Also muss ich danach fragen, wer dahinter steht. Wer macht eigentlich was mit den digitalen Techniken? Wer sind die Menschen, die Gruppen, die Institutionen, die diese Werkzeuge einsetzen? Für welche Zwecke? Diese Fragen sollten gestellt und sie sollten geklärt werden. Denn nur die interessierten Akteure und Institutionen hinter diesen Interessen können nach ihrer ethischen Orientierung und nach ihren Verantwortungsdimensionen befragt werden.

Journalismus ist teuer, aber wertvoll

Für diese Fragen und die Antworten darauf hätte ich gern den guten, alten Journalismus, den organisierten Journalismus zurück, so wie ich ihn kenne. Gern darf dieser Journalismus mit den neuen Ideen konfrontiert werden, auch um diesem alten Journalismus in den Hintern zu treten, ihn nachhaltig daran zu erinnern, das zu machen, wofür er vorgesehen ist: zu informieren, zu kritisieren, zu kontrollieren (statt hinter dem Geld herzurennen). Und ich hätte gern ein Publikum, das den Wert dessen, was Journalismus für die Gesellschaft darstellt, zu schätzen weiß, ideell wie monetär, es ist nämlich teuer, diesen Beruf zu organisieren. Journalismus ist teuer, er sollte es uns aber wert sein.

Dieser Beitrag wurde erstmalig im März 2015 als Fazit-Vortrag des LPR-Forum Medienzukunft gehalten. Das gesprochene Wort ist in leicht überarbeiteter Form erschienen in: epd Medien, Nr. 20, 15. Mai 2015. Der hier vorliegende Beitrag ist eine erheblich überarbeitete Version.

 

Bildquelle: Bernard Glodbach/flickr.com

Schlagwörter:, , , , , ,

1 Responses to Die Verabschiedung von der Verantwortung

  1. Jain möchte ich dem Kollegen Altmeppen zurufen.
    Ja zu den Ausführungen hinsichtlich der “Macht des Publikums”:
    Dass Bürger als Publikum beteiligt werden, das hat schon eine lange Tradition. Und dass sie kostenlos Sendezeit füllen, ist zB. im Hörfunk schon lange normal: Bei Anrufsendungen, Grußsendungen, Live-Mitmachsendungen…. Die Instrumentalisierung der Bürger durch die Medien ist also ein alter Hut. Einen Rollenwechsel gibt es nur bei Offenen Radios, Offenen Kanälen, Web-Blogs etc. – doch häufig bei sehr geringen Reichweiten, die nicht einmal als “Vielfaltsreserve” geadelt werden können.

    Nein zur heute im Journalismus praktizierten “Verantwortung”. Wer nur Verlautbarungsjournalismus betreibt braucht nichts zu verantworten, er ist ja nur Weiterleiter. Das ist das Gros der heutigen Meldungen. Verantwortung beginnt da, wo ich Meinungsbildung ermöglichen will: Durch unterschiedliche Positionen im Beitrag, durch einen eigenen Standpunkt im Kommentar, durch die Schaffung von pluralistischen Plattformen mit Diskussionsmöglichkeiten. Stattdessen herrscht aber heute in der Berichterstattung “Neutralität” vor – sogar in der Tagesschau werden regelmäig Statements kein bischen hinterfragt, selbst Sachaussagen von Politikern und Wirtschaftsführen ungeprüft gesendet. Ist das nicht verantwortungslos?

    Weil es das Publikum nicht gibt, ist es schwierig über geldwerten Journalismus zu sprechen. Aber hier dürfte gelten: Je zielgruppengenauer Medienangebote sind, um so eher und höher ist die Bereitschaft zum Bezahlen. Dummerweise richten sich aber zum Beispiel die Tageszeitungen immer noch an Alle.

Schreibe einen Kommentar

Send this to a friend