Der Aufstieg der globalen Tech-Plattformen bedrängt Schweizer Informationsmedien. Wegen sinkender Ressourcen nehmen Zusammenschlüsse zwischen Medien und der Austausch von Nachrichtenbeiträgen zu. Dies zeigen die Analysen in der Jubiläumsausgabe „Jahrbuch Qualität der Medien – Schweiz Suisse Svizzera“, das vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich zum zehnten Mal veröffentlicht wurde.
Die Schweiz ist mit vier verschiedenen Sprachregionen und 26 Kantonen und generell viel Machtbefugnissen auf kantonaler und regionaler Ebene bekanntlich ein sehr kleinräumiges, föderalistisch aufgebautes Land. Lange Zeit hat das Mediensystem diese Differenzierung reflektiert. Idealtypisch zeigte sich dies in der hohen Bedeutung und Verbreitung von Lokal- und Regionalzeitungen. Doch diese Vielfalt ist auch durch den Einfluss der globalen Tech-Giganten zurückgegangen. Facebook, Google & Co. entziehen dem Informationsjournalismus Ressourcen, weil sie einen Großteil der Werbeeinnahmen abschöpfen und weil auf ihren Plattformen News an den Rand gedrängt werden.
Das schon länger bestehende Problem der Gratiskultur im Internet und der kostenlosen reichweitenstarken Pendlerzeitungen verschärft sich so nochmals. Mit knappen Ressourcen konfrontiert, reagieren Medienhäuser mit Kooperations- und Kostensenkungs-Strategien. Eine doppelte Medienkonzentration ist in der Schweiz die Folge: Eine strukturelle und eine inhaltliche. Bei der strukturellen Medienkonzentration zeigt sich: Die Marktanteile der großen Medienhäuser wachsen, die Anzahl verschiedener Medienbesitzer (Kontrolleure) sinkt und die Anzahl der Titel nimmt ab.
Im Pressemarkt der Deutschschweiz ist die Medienkonzentration – gemessen anhand der Reichweiten der drei größten Kontrolleure – von 2001 auf 2018 um 27 Prozentpunkte auf 83% Marktanteil gewachsen, von 2010 auf 2018 im Onlinemarkt um 11 Prozentpunkte auf 71%. In der Deutschschweiz dominiert nun Tamedia (u.a. Tages-Anzeiger) noch stärker, nachdem sie 2018 die Basler Zeitung gekauft hat, die vorher im Besitz von SVP-Politiker Christoph Blocher gestanden hatte. Ebenfalls dominant sind die Unternehmen Ringier, das u.a. die Boulevardzeitung Blick herausgibt, und CH Media. CH Media wurde 2019 gegründet und ist ein Joint Venture, bei dem AZ Medien (u.a. Aargauer Zeitung) und Teile der NZZ Mediengruppe (u.a. Luzerner Zeitung) ihre Regionalzeitungen bündeln. Die Qualitätszeitung NZZ bleibt vorerst eigenständig. Noch ausgeprägter ist die Medienkonzentration aber in der Suisse romande. Im Pressemarkt ist sie seit 2001 um 10 Prozentpunkte auf 89% gewachsen, seit 2010 im Onlinemarkt um 6 Prozentpunkte auf 87%. Auch hier ist Tamedia dominant.
Der vor kurzem erfolgte Marktzutritt einiger Medien-Start-ups wie jener der Republik, Bon pour la tête, Sept, Micro oder Heidi.news hat bisher kaum daran etwas geändert, da die Reichweiten dieser neuen Player sehr beschränkt sind. Im Fernsehbereich nimmt der öffentliche Rundfunk (SRG SSR) seit Jahrzehnten eine politisch gewollte starke Stellung ein. Innerhalb des kleineren Bereichs des Privatfernsehens gibt es aber auch hier Konzentrationstendenzen. Gerade letzte Woche kündigte AZ Medien, der Besitzer der drei reichweitenstärksten Regional-Nachrichtensender, einen Zusammenschluss mit den Unterhaltungssendern der 3-Plus-Gruppe an, die u.a. Formate wie „Der Bachelor“ produziert.
Zunahme der Zentralredaktionen
Nicht nur die strukturelle Medienkonzentration nimmt zu, sondern auch die inhaltliche Medienkonzentration. Ähnlich wie in Deutschland, wo sich der Trend zu „Zentralredaktionen“ etwa bei den Medienhäusern Funke, Südwestdeutsche Medienholding oder Madsack zeigt, haben auch in der Schweiz die redaktionellen Kooperationen stark zugenommen – allen voran bei Tamedia, die nun je einen zentralen Newsroom in der Deutschschweiz und in der Suisse romande betreibt, und bei CH Media, das von Aarau aus den überregionalen Teil für die Regionalzeitungen in Aarau, Luzern oder St. Gallen bestreitet. Die aktualisierten Auswertungen zeigen auch in diesem Jahrbuch, dass die Zahl der identischen Beiträge zugenommen hat. Das von uns eingesetzte automatisierte Textvergleich-Verfahren suchte systematisch nach Beitrags-„Zwillingen“, die dann auf der Grundlage des Jaccard-Koeffizienten bestimmt wurden (n = 8006 Beiträge).
Das Hauptresultat: Immer mehr redaktionelle Nachrichtenbeiträge werden zwischen den Medien, vor allem innerhalb von Mantelredaktionen, geteilt. 26% (statt wie im Vorjahr 19%) der Beiträge erscheinen in mindestens zwei Zeitungen. Dabei sind besonders sensible Bereich betroffen: In der Politikberichterstattung werden 38% der Beiträge geteilt (plus 7 Prozentpunkte im Vorjahresvergleich) und bei meinungsorientierten Formaten wie Kommentaren auch bereits 31% (plus 11 Prozentpunkte). Das heißt, dass es in der Schweizer Medienberichterstattung immer mehr identische Meinungen gibt – für den Wettstreit der Argumente eine problematische Entwicklung. Immerhin bleibt die Lokalberichterstattung von dieser Tendenz ausgenommen: Nur 6% der Beiträge aus der Regionalberichterstattung erscheinen auch anderswo.
Qualität: Größte Verluste in der Vielfaltsdimension
Die Berichterstattungsqualität der 66 untersuchten Informationsmedien sinkt messbar, aber nur leicht und auch nicht in allen Qualitätsdimensionen. Die Orientierung an professionellen, journalistischen Standards bleibt in der Schweizer Medienarena hoch. Dagegen sinkt die Relevanz, das heißt die Softnews-Orientierung nimmt zu. Auch bei der Einordnungsleistung zeigen sich leichte Einbußen: Die Hintergrundberichterstattung verliert an Gewicht, vor allem bei Politik-Themen, während meinungsbetonte Formate (z.B. Kommentare) an Bedeutung gewinnen.
Die größten Qualitätsverluste zwischen 2015 und 2018 lassen sich bei der Berichterstattungsvielfalt beobachten. Das Spektrum an (relevanten) Themen reduziert sich also. Ein möglicher Grund, warum die Qualität angesichts der Ressourcenprobleme nicht stärker sinkt, ist die oben beschriebene Kooperation innerhalb von Mantelredaktionen. Kurz: Weiterhin gute Qualität in den einzelnen Titeln, aber weniger Unterschiede zwischen den Titeln und damit weniger Vielfalt auf der Ebene des Mediensystems.
Plattformisierung schwächt den Informationsjournalismus
Dass hinter diesen Entwicklungen die globalen Internet-Plattformen und Tech-Player die wesentlichen Treiber sind, dafür gibt es klare Anzeichen. In unseren eigenen Umfragen, die wir mit GfK Switzerland durchführen, können wir sehen, dass immer mehr Menschen Nachrichten bestenfalls sporadisch nutzen. Die Gruppe der so genannten „News-Deprivierten“ ist mittlerweile die größte Nutzergruppe in der Schweiz; ihr Anteil steigt von 21% (2009) auf 36% (2019). „News-Deprivierte“ nutzen Nachrichten relativ wenig und wenn, dann noch am ehesten auf sozialen Medien wie Facebook, WhatsApp, Snapchat oder Instagram. Die Plattformen drängen News an den Rand; das zeigt sich daran, dass auf den Plattformen die Nutzungsmotive „Socializing“ oder „Unterhaltung“ dominieren; News wird nur nebenbei konsumiert. Eine solche Plattform-Nutzung zeigt sich in der ganzen Bevölkerung und bei den „News-Deprivierten“ noch ausgeprägter.
Zu diesem Bild passt, dass die Zahlungsbereitschaft für Nachrichten anhaltend tief ist. Laut den Daten des Reuters Digital News Report, an dem wir als Schweizer Länderpartner teilnehmen, zahlen nach wie vor nur rund 11% der Befragten in der Schweiz für Online-News. Stattdessen sind die Leute eher bereit, sich für ein Digital-Abonnement eines Streaming-Dienstes wie Netflix oder Spotify zu entscheiden. Auch das zeigen die Umfrage-Daten. So würden sich von den 18- bis 24-Jährigen gerade einmal 4% für ein News-Abonnement entscheiden und 83% für ein Unterhaltungs-Angebot (13% für keines). Auch bei den älteren Altersgruppen überwiegt die Präferenz für Unterhaltungsangebote, wenn auch nicht gleich stark wie bei den Jungen.
Mehr „Medienpatriotismus“
Die Befunde im Jahrbuch belegen, dass globale Internet-Plattformen den Schweizer Informationsjournalismus unter Druck setzen. Die Leistungen, die von Informationsmedien für die demokratische Gesellschaft erbracht werden, sind dadurch gefährdet. Die Autorinnen und Autoren des Jahrbuchs fordern deshalb eine mutigere Medienpolitik mit stärkerer indirekter und direkter Medienförderung und intensivierte Kooperationen beim Aufbau einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur für Informationsjournalismus, wie sie ähnlich auch schon Netzwerke von Journalistinnen und Akademikern wie „media FORTI“ vorgeschlagen haben. In eine solche Richtung gehen beispielsweise länderübergreifende Projekte wie der „Public Open Space“ von Öffentlich-Rechtlichen oder in der Schweiz die „Login-Allianz“ zwischen privaten Medienhäusern.
Mehr „Medienpatriotismus“ bedeutet: die Einsicht ernst nehmen, dass jede demokratisch verfasste Gesellschaft funktionierende Informationsmedien braucht. Medienpatriotismus ist deshalb Demokratiepatriotismus. Und Medienpatriotismus bedeutet, dass die medienpolitische Diskussion die globale Dimension wesentlich stärker berücksichtig wie zuvor, statt sich in internen Klein-Klein-Diskussionen zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen zu erschöpfen. Vor diesem Hintergrund wären auch mehr Kooperationen zwischen Verlagshäusern und dem öffentlichen Rundfunk erforderlich.
Das ganze Jahrbuch, dazugehörige Vertiefungsstudien sowie verschiedene in Kurzform aufbereitete Analysen können auf https://www.qualitaet-der-medien.ch/downloads heruntergeladen werden. Das Jahrbuch umfasst neben Umfrage-Daten (GfK Switzerland; Reuters Digital News Report) Sekundärdaten aus der Medienindustrie und mehrere eigene manuelle und teilautomatisierte Inhaltsanalysen, so zur Qualität der Medienberichterstattung, zu den Mantelredaktionen, zu Zitationen von Medien in den Medien, zur geographischen Integrationsleistung von Medien und zur Themensetzung auf Twitter.
Schlagwörter:Medienkonzentration, Schweiz, Softnews