Fake News mit ihren eigenen Waffen schlagen

7. Juni 2021 • Aktuelle Beiträge, Digitales, Qualität & Ethik • von

Fake News, Desinformation und Fehlinformation haben seit Beginn der Covid-19-Pandemie Hochkonjunktur. Vor allem in den sozialen Medien verbreiten sie sich schnell und gezielt. Viorela Dan vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München machte jüngst einen nach eigener Aussage „unkonventionellen Vorschlag“ zur Richtigstellung solcher Botschaften: Im Journal Publizistik veröffentlichte die Wissenschaftlerin ein Konzept zur Gestaltung von Richtigstellungen nach dem Schema von Fake News, um deren „Reiz“, also die Vorteile der Viralität, Aufmerksamkeit und einfachen Argumentation, zu nutzen.

Viorela Dans Vorschlag, Fehlinformationen mit Richtigstellungen zu bekämpfen, die nach demselben Konzept funktionieren sollen wie die Fehlinformationen selbst, klingt erst einmal wie das bekannte „Feuer mit Feuer bekämpfen“, doch bei näherem Hinsehen scheint das Konzept plausibel. Um das nachvollziehen zu können, bedarf es zuallererst eines Blicks auf die Eigenschaften von Fehlinformationen.

Als Fehlinformationen definiert die Autorin „alle falschen bzw. irreführenden Informationen […], die als wahr präsentiert werden“. Es mache keinen Unterschied, ob die Informationen unwissentlich oder gezielt verbreitet werden (Fehlinformationen des letzteren Typs wird auch Desinformation genannt).

Psychologisch betrachtet bedienen Fehlinformationen häufig den Negativitätsbias der Rezipienten. Dieses Charakteristikum nennt Dan „negative Valenz“. Des Weiteren bieten Fehlinformationen vermeintlich einfache Erklärungen für komplexe Sachverhalte, häufig „indem sie […] auf eine vermeintliche zeitliche Abfolge von Ursache und Wirkung hinweisen“. Dies werde auch durch einen narrativen Stil – die „Transportation“ – unterstützt. Als Beispiel nennt die Autorin die Fake News zur Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfung), die laut einigen Menschen die Entwicklungsstörung Autismus auslösen soll.

„Eine Geschichte über ein gesundes Kind, das nach einer MMR-Impfung (‚wenn A‘) an Autismus erkrankt sein soll (‚dann B‘), ist mitreißender als die bloße Behauptung, die MMR-Impfung würde Autismus auslösen.“

Diese behauptete Kausalbeziehung sei zudem deutlich verständlicher als die Menge komplexer Faktoren, die aus wissenschaftlicher Sicht zum Zustand B führen.

Als weiteres Merkmal von Fehlinformationen stellt Dan die „visuelle Beweisführung“ fest, beispielsweise in Form von Vorher-Nachher-Videos. Dieses Charakteristikum steht in engem Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich Fehlinformationen verstärkt in den sozialen Medien verbreiten. Hier wird außerdem der Zusammenhang mit der negativen Valenz deutlich: „Neutrale und faktisch korrekte Inhalte erzielen nicht nur weniger Aufmerksamkeit, sondern verbreiten sich auch langsamer und schlechter als solche, die negativ und empörend sind.“

Ein fünftes Merkmal von Fehlinformationen sind ihre Ursprungs- und Zielgruppen selbst: Laut Dan sind diese Gruppen vor allem durch „Konservativismus, Wissenschaftsskepsis oder Selbstbestimmung“ gekennzeichnet. Innerhalb einer Gemeinschaft, die solche Werte teilt, verbreiten sich Fehlinformationen besonders effizient – also in Familien, Freundeskreisen und unter Gleichgesinnten. In diesem Kontext scheint es besonders wichtig, zu betonen, dass „Menschen dazu [neigen], Behauptungen Glauben zu schenken, die ihren Normen und Werten entsprechen“.

Die Aufgabe von Richtigstellungen

Die Autorin zeigt, dass es, um zu verstehen, was Richtigstellungen von Fehlinformationen konkret leisten sollen, wichtig ist zu klären, was Richtigstellungen leisten können. Dazu ist eine Fußnote sehr interessant, in der Dan erklärt, dass Richtigstellungen die Fehlinformation nicht einfach nur widerlegen dürfen, sondern alternative Inhalte für die so entstandene kognitive „Lücke“ anbieten müssen, „denn Menschen möchten nicht über unvollständige Modelle verfügen, weshalb sie lieber weiter an falschen Behauptungen festhalten (‚wenn A, dann B‘), als gar keine Erklärung für einen bestimmten Sachverhalt zu haben (‚wenn ???, dann B‘)“.

Im Idealfall werde durch die Richtigstellung demnach das mentale Modell der Rezipienten umstrukturiert. Jedoch gilt auch: „Im ungünstigsten Fall erreicht die Richtigstellung nicht den Personenkreis, der mit der zu korrigierenden Fehlinformation in Kontakt gekommen ist“ (i. O. mit Hervorhebungen). Jedoch seien laut Dan noch zwei weitere Szenarien möglich: Der Backfire-Effekt, „bei dem die Richtigstellung nicht nur ihr Ziel verfehlt, sondern – aufgrund der Unvereinbarkeit mit den Werten und Normen der Rezipierenden – sogar den perzipierten Wahrheitsgehalt der zu korrigierenden Fehlinformation erhöht“, und das Glaubensecho, bei dem die Fehlinformation trotz Richtigstellung einen nachhaltigen Einfluss auf das mentale Modell der Rezipienten hat.

Vorschläge zur Gestaltung von Richtigstellungen

Wie also kann sichergestellt werden, dass Richtigstellungen die Rezipienten mit derselben Effizienz wie Fehlinformationen erreichen und dort ebenso nachhaltig wirken? Dan macht dafür sechs Vorschläge, indem sie die Eigenschaften von Richtigstellungen in die zuvor herausgearbeiteten Merkmale von Fehlinformationen integriert und daraus nutzbare Vorteile ableitet, die zu einer Neukonzeption von Richtigstellungen führen sollen:

  • Richtigstellungen sollen „fesselnd“ sein, jedoch nicht sensationalistisch. Laut Dan sei das zu verwirklichen, indem man beispielsweise Personen zu Wort kommen lasse, die bereits mit der entsprechenden Fehlinformation in Kontakt gekommen sind und nun über ihre ‚Aufklärung‘ berichten.
  • Richtigstellungen sollen „einfach zu verstehen“ sein. Dies sei laut Dan vor allem durch entsprechende Stilmittel und ein narratives Format möglich.
  • Eine visuelle Unterstützung, laut der Autorin beispielsweise durch Grafiken, wirke sich positiv auf die Glaubwürdigkeit der Richtigstellung aus. Des Weiteren, so Dan, hätten bisherige Studien gezeigt, „dass der perzipierte Wahrheitsgehalt von Fehlinformationen, die aus Text und Foto bestehen, am stärksten reduziert werden konnte, wenn Richtigstellungen das gleiche Format besaßen“.
  • Richtigstellungen sollen möglichst auch die gleichen Kanäle nutzen wie die betreffenden Fehlinformationen. Diese Forderung scheint besonders schwierig in ihrer Umsetzung, wurde doch zuvor als Merkmal von Fehlinformation die Verbreitung innerhalb bestimmter Gruppen mit ähnlichem Wertehintergrund (bspw. Familien) festgestellt. Glaubwürdigkeit sei laut Dan eben nicht nur auf Kompetenz (was auf die Qualitätsmedien zutrifft), sondern eben vor allem auf „wahrgenommene […] Ehrlichkeit, Integrität und Unbefangenheit“ zurückzuführen. Daher sei eine Zusammenarbeit mit anderen Kommunikatoren laut der Autorin vorstellbar und nötig (Dan nennt hier beispielsweise Influencer), um „näher am sozialen Umfeld der Betroffenen“ zu agieren.
  • Abschließend stellt Dan fest, dass Richtigstellungen Bezug auf die entsprechenden Normen und Werte ihrer Zielgruppen nehmen, bzw. diese zumindest berücksichtigen müssen. „So ließ sich etwa belegen, dass konservativ eingestellte Personen von der Existenz des Klimawandels überzeugt werden konnten, sofern ihnen der wirtschaftliche Vorteil für die Atomkraft verdeutlicht wurde.“

Ein Konzept mit Zukunft?

Abschließend betont Dan in ihrem Beitrag, dass es noch empirischer Studien bedarf, um die tatsächliche Wirkung von Richtigstellungen, die nach dem vorgeschlagenen Konzept gestaltet sind, zu untersuchen. Außerdem müsste die ethische Vertretbarkeit des Vorgehens aufgrund der gestalterischen Nähe der Beiträge zu Fehlinformationen geklärt werden.

Sollte sich Viorela Dans Vorschlag zur Neukonzeption journalistischer Richtigstellungen durchsetzen, dürften die Massen an Fehlinformationen im Kontext von Covid-19, Vakzinen und Lockdown-Politik sicherlich das erste Anwendungsfeld werden.

 

Dan, V. Von Fehlinformationen lernen. Publizistik 66, 277–294 (2021). https://doi.org/10.1007/s11616-021-00667-y

 

Bildquelle: Carlos PX / unsplash.com

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