Werbewoche, Nr. 34, September 27, 2007
Von Sprechexhibitionisten, Kommunikationssoziopathen und vom „Glück der Unerreichbarkeit“
„Man kann nicht nicht kommunizieren“ – der kluge Aphorismus von Paul Watzlawick erhält womöglich auf neue Weise zusätzlich Sinn.
Das Originalzitat des Psychoanalytikers und Meisters des subtilen Wortspiels stammt noch aus der guten alten Zeit, als es kein Internet, keine Natels und keine Blackberrys gab. Es sollte darauf hinweisen, dass man auch dann etwas kommuniziert, wenn man sich in Schweigen hüllt und keinen Kontakt zu seinem Gegenüber sucht.
In der neuen Welt der vernetzten Computer und der mobilen Empfangsgeräte, die sich überall hin mitnehmen lassen – im Zweifelsfall eben auch auf eine Matterhorn-Tour oder in den Strandkorb – soll es immer mehr Leute geben, die gar nicht mehr nicht kommunizieren können, weil sie einfach die Aus-Taste ihres technischen Geräts nicht kennen. Leute wie Sie und mich, die ernsthaft meinen, Professionalität zeige sich auch darin, dass sie rund um die Uhr erreichbar sind. Und darüber hinaus auch immer mehr „Kommunilkationssoziopathen“ und „Sprechexhibitionisten“, die uns mit ihren exorbitanten Kommunikationsbedürfnissen hemmungslos behelligen, weil sie den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Raum nicht mehr kennen – also zum Beispiel im Zugabteil oder im Restaurant in voller Lautstärke alle Anwesenden in ihre Telefongespräche einbeziehen.
Solchen Menschen, die in der „Kommunikationsfalle“ sitzen, spürt Miriam Meckel in ihrem soeben erschienenen Buch nach. Es ist „Das Glück der Unerreichbarkeit“ betitelt, und die Kommunikationsforscherin weiss, wovon sie spricht. Denn bevor sie einem Ruf an die Universität St. Gallen gefolgt ist, war sie als Staatssekretärin die Kommunikationschefin eines deutschen Ministerpräsidenten und hat ausserdem als TV-Journalistin und -Moderatorin Karriere gemacht. Informations-Überlastung und die Probleme, die entstehen können, wenn wir dank moderner Kommunikationstechnologien rund um die Uhr und überall in der Welt erreichbar sein wollen oder müssen, kennt sie aus eigener Erfahrung – und beschreibt diese auch in bemerkenswert-selbstkritischer Offenheit.
Noch spannender sind allerdings die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sie aufbereitet: Weltweit würden inzwischen täglich 171 Milliarden E-Mails verschickt. Über 70 Prozent davon seien Spam Mails. Sozial- und Wahrnehmungspsychologen zufolge könnten wir aber ohnehin nur zwei Prozent der auf uns einprallenden Informationen „wirklich wahrnehmen und verarbeiten“ – der Rest sei ungenutzter Informationsmüll.
Britische Forscher hätten jüngst hochgerechnet, dass Manager insgesamt 3,5 Jahre ihrer Lebenszeit mit irrelevanten E-Mails verschwenden. Wenn mancher von uns zwischen 250 und 350 E-Mails am Tag zu empfangen oder zu senden habe, dann lasse sich leicht ermessen, wie viel Stress ein Tag offline zur Folge habe: „Am nächsten Tag sind dann eben zwischen 500 und 700 Mails zu lesen, zu löschen und zu beantworten.“
Vor allem warnt Meckel, unsere Talente beim „Multitasking“ nicht zu überschätzen. Man könne nicht „nebenbei“ kommunizieren, es sei denn, es handle sich um sinnloses Geplänkel. Dass wir glaubten, wir seien Weltmeister und könnten vieles gleichzeitig anpacken, bedeute nicht, dass dies auch stimme. Sie führt eine Studie an, die am King’s College in England durchgeführt wurde: In einem grossangelegten Experiment, an dem insgesamt 1000 Menschen beteiligt waren, sei getestet worden, inwieweit wir zeitgleich bestimmte Aufgaben lösen und E-Mails empfangen können. Eine Kontrollgruppe habe statt E-Mails Marihuana bekommen. Das überraschende Ergebnis: Die Kiffer erzielten deutlich bessere Ergebnisse als die E-Mailer.
Als Meckel darüber zu räsonnieren begann, wie man der Kommunikationsfalle entrinnen könne, ist sie zu zwei Einsichten gelangt: Erstens sei, wer technisch angeschlossen ist, nicht unbedingt sozial verbunden – im Gegenteil, wir müssten „gelegentlich aus dem Strom der Informationen ausscheren“ und „einen Stop einlegen am Rande des Datenhighway“. Zweitens sei, wer immer erreichbar ist, eigentlich für nichts und niemanden da.
Dabei wäre das Glück, unerreichbar zu sein, so leicht zu haben. Ein Knopfdruck genügt ja meist. Warum es uns so schwer fällt, die Aus-Taste des Blackberrys, des Mobiltelefons oder des Laptops zu bedienen, weshalb fehlt uns der Mut zum Rückzug? Natürlich müsse niemand ständig E-Mails checken, aber irgendwie hätte, wer mobil kommuniziere, eben doch das Bedürfnis, immer wieder nachzusehen. „Pawlow lässt grüssen“, so Meckel. Und wäre Watzlawick noch am Leben, er würde wohl ebenfalls freundlich mit dem Kopf nicken. Denn seine „Anleitung zum Unglücklichsein“ hat die St. Galler Forscherin soeben um ein spannendes Kapitel erweitert.
Miriam Meckel, Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle. Hamburg: Murmann Verlag, 2007